Parteien zur Integration
Viele unserer mehr als 200 Mitgliedsvereine, in denen einige Zehntausend Mitglieder organi-siert sind, aber auch die türkische Medien fragen uns nach unserer Wahlempfehlung anläss-lich der Bundestagswahl am 22. September dieses Jahres. Dieser Bitte möchten wir ent-sprechen und so dazu beitragen, dass sich die Wählerinnen und Wähler türkischer Herkunft ein eigenes Meinungsbild zu den für sie wichtigen Themen machen können. Daher haben wir uns entschlossen, alle im Bundestag vertretenen Parteien direkt anzusprechen. Für unsere Beurteilung des jeweiligen Programms sind vor allem integrations- und migrati-onspolitischen Fragen von großer Bedeutung. Da dieser Themenkomplex – was wir durch-aus begrüßen! – bei den strittigen Wahlkampfthemen bis jetzt weitgehend ausgeklammert ist, haben wir die Vorsitzenden der 6 im Bundestag vertretenen Parteien gebeten, uns durch die Beantwortung der folgenden Fragen Ihre Vorstellungen und programmatischen Eckpunk-te deutlich zu machen.
Die Fragen
1. Die seit über einem Jahrzehnt anhaltende hohe Arbeitslosigkeit belastet gerade auch die Migranten.
Mit welchen konkreten Maßnahmen will Ihrer Partei gegen dieses Problem konsequent vorgehen?
2. Seit rund 20 Jahren nehmen die Belastungen, vor allem durch eine sozial ungerechte Steuer- und Abgabenpolitik, stetig zu. Dadurch entsteht eine zunehmende Kluft zwischen den oberen und unteren Einkommensgruppen. Zu dieser zweiten Gruppe gehört in ho-hem Maße die Migrantenbevölkerung. Diese Entwicklung ist nicht nur sozial ungerecht , sie gefährdet auf Sicht auch den sozialen Frieden.
Was sind die konkreten Pläne ihrer Partei, etwas dagegen zu unternehmen?
3. Rund 7,3 Millionen Migranten, darunter mehr als 2 Millionen Türken, haben immer noch einen Ausländerstatus, obwohl sie zum größten Teil seit Jahrzehnten in Deutschland le-ben. Dieser Zustand ist auf Dauer mit dem Gebot eines demokratischen Rechtsstaates nicht zu vereinbaren. Das neue Staatsangehörigkeitsrecht hat zwar mit der Einführung des Territorialprinzip für die hier geborenen Kinder auch nichtdeutscher Eltern dieses Problem gelöst, nicht jedoch für die erste und zweite Einwanderergeneration. Wir sind nach wie vor der festen Überzeugung, dass dieses Problem nur behoben werden kann, wenn die Beibehaltung der bisherigen Staatsbürgerschaft zumindest für diesen Perso-nenkreis toleriert wird.
Wie will Ihre Partei die Frage des Erwerbs der deutschen Staatsbürgerschaft, der bei der Integration dieser Menschen einer zentrale Bedeutung zukommt, lösen?
4. Im Gegensatz zu vielen anderen Staaten in der EU hat Deutschland immer noch kein spezielles Gesetz, welches jegliche Art von Diskriminierung der kulturellen Minderheiten zu verhindern hilft. Gemäß den Beschlüssen der EU muss Deutschland spätestens bis Mitte Juni 2003 ein solches Gleichbehandlungsgesetz verabschieden.
Welche Elemente sollte ein solches Gesetz nach Auffassung Ihrer Partei haben? 5. Die TGD tritt ganz entschieden für eine Integration, deren Grundbedingung die völlige rechtliche, politische und soziale Gleichstellung ist, der dauerhaft in Deutschland leben-den türkischen Bevölkerung ein.
Seit Jahren werben wir daher dafür, dass türkische Eltern ihre Kinder spätestens nach dem dritten Lebensjahr in einen Kindergarten schicken, damit sie rechtzeitig die deut-sche Sprache bestmöglich erlernen. Dies sehen wir als Grundvoraussetzung für eine er-folgreiche Schulkarriere an
Gleichzeitig wollen wir aber auch, dass die Minderheiten ihre kulturelle Identität, ihre Herkunftssprache und ihre Religion weiterentwickeln und pflegen können. Das Erlernen von Türkisch als Muttersprache und die Erteilung einer religiösen Unterweisung (unserer Meinung nach in Türkischer Sprache) über den Islam in der Schule unter Obhut der Schulbehörde, hat für uns eine unverzichtbare Bedeutung. Wie steht Ihre Partei zu diesen Forderungen?
6. Die Deutschlandtürken treten entschieden für eine EU-Mitgliedschaft der Türkei in ab-sehbarer Zeit ein. Die Kopenhagener Kriterien, deren Erfüllung zur Voraussetzung für den Beginn von Beitrittsverhandlungen zur Bedingung gemacht wurden, sind zwischen-zeitlich durch die Verabschiedung zahlreicher Verfassungsänderungen und mit einem umfangreichen Reformpaket des Parlaments der Türkei Anfang August dieses Jahres erfüllt worden. Die EU und ihre Kommission wird nun die Umsetzung dieser Reformen beobachten und darüber im Oktober 2002 einen Bericht veröffentlichen. Wenn die Tür-kei, wovon wir überzeugt sind, auch dieser Prüfung besteht, dann erwartet die Türkei und erwarten die Eurotürken zu Recht die Einlösung des Versprechens der EU-Staaten, nämlich der Türkei beim EU-Gipfel im Dezember dieses Jahres für den Beginn der Bei-trittsverhandlungen ein Datum und eine klare Perspektive für ihre Mitgliedschaft zu ge-ben und damit eine Gleichbehandlung mit den anderen Beitrittskandidaten zu gewähr-leisten.
Die EU Mitgliedschaft der Türkei wird vor allem den Integrationsprozess der Deutsch-landtürken beschleunigen und ihre Identifikation mit ihren neuen Heimat Deutschland stärken. Bereits heute verstehen sich die Eurotürken als eine menschliche Brücke zwi-schen ihrem Herkunftsland Türkei und dem neuen Heimatland in der EU.
Wie stehen Sie zu dieser Erwartung der Deutschlandtürken und der Türkei? 7. Alle Bundesregierungen haben bis heute die Verbände der Migrantenorganisationen bei den Gesetzesvorhaben und Entscheidungen, die unmittelbar die Einwandererbevölke-rung Deutschlands betreffen, kaum in den Meinungsbildungs- und Gestaltungsprozess einbezogen Dies finden wir inakzeptabel und undemokratisch. Deshalb sind wir der Ü-berzeugung, dass die Migrantenverbände von Beginn des Gesetzgebungsprozesses ak-tiv an diesem beteiligt werden müssen.
Wie steht Ihre Partei zur Partizipation der Einwanderer am Meinungsbildungsprozess bei allen sie betreffenden Fragen?
Mitte September werden wir die eingegangenen Antworten analysieren und daraus eine Wahlempfehlung ableiten. Anschließend werden wir unsere Mitgliedsverbände und die Medien über die Ergebnisse unterrichten.