CDU vs doppelte Staatsangehörigkeit

Die unsachlichen Argumente der Unionsparteien gegen eine doppelte Staatsbürgerschaft

In den letzten Wochen gehörte die Diskussion über die Reform des Staatsangehörig-keitsrechts zu den Hauptthemen in der deutschen Öffentlichkeit, in den Medien wie in der Politik.

Gerade die Türkische Gemeinde und ihrer Gründervereine fordern seit Jahren (und ich persönlich seit rund zwei Jahrzehnten, wenn ich dies an dieser Stelle hinzufügen darf) eine grundlegende Reform des Staatsbürgerschaftsrechts. Wir haben rechtzeitig er-kannt, daß die Eingewanderten kulturellen Minderheiten nur mit dem Erwerb der deut-schen Staatsangehörigkeit zu gleichen Rechten in Deutschland kommen können. Auch andere berechtigte Forderungen der Einwanderer und ihrer Nachkommen können erst dann bei den Parteien und Regierungen Gehör finden, wenn sie volle Bürgerrechte be-sitzen und somit auch über das Wahlrecht verfügen. Deshalb hat diese Reform für uns in den letzten zehn Jahren die höchste Priorität.

Bekanntlich sind in den letzten Wahlperioden alle Versuche, das Staatsangehörigkeits-recht zu reformieren, an der starren Ideologisierung des Themas durch die Unionspartei-en gescheitert.

Was nun sind die Argumente der CDU/CSU gegen diese Reform des Staatsangehörig-keitsrechts?

1. Die Einbürgerung müsse, so die CDU/CSU, am Ende der Integration stehen und nicht am Anfang. Daher würde diese Reform die Integration verhindern.

Dafür aber, wann und nach welchen Kriterien die Menschen, die seit drei oder vier Jahr-zehnten in Deutschland leben oder gar hier geboren und aufgewachsen sind, als ‚in-tegrrationsreif‘ anzusehen seien, werden keine Kriterien genannt. Die Maßstäbe bleiben also unbekannt.

Die Erfahrungen, die in vielen anderen Ländern inzwischen gemacht wurden, belegen jedoch, daß die Einbürgerung als ein ganz entscheidendes Instrumentarium für die Integ-rationspolitik ist. Daher wird die Beibehaltung der bisherigen Staatsbürgerschaft von Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, Niederlanden, Irland, Schweden, Portugal, Schweiz, Spanien, Türkei sowie von den klassischen Ein-wanderungsländern USA, Kanada und Australien regelmäßig hingenommen. Nur Deutschland, Österreich und Luxemburg innerhalb der EU machen die erzwungene Aufgabe der bisherigen Staatsbürgerschaft zur Voraussetzung bei der Einbürgerung. Bei den Aussiedlern und Kindern der binationalen Ehen wird der Doppelpaß auch von Deutschland akzeptiert.

Wie soll eine Integration, also eine Angleichung, ein ‚Zusammenwachsen‘ der kulturel-len Minderheiten mit der deutschen Bevölkerung möglich sein, so lange diese Minderhei-ten mit einem Sonderrecht, dem Ausländerrecht nämlich, abgesondert, abgeschottet, rechtlich, sozial und politisch von der Gesellschaft diskriminiert leben muß. Wenn wir heute, vier Jahrzehnte nach der Anwerbung der ersten sogenannten ‚Gastarbeiter‘ im-mer noch Integrationsdefizite und Reibungsfelder, die es durchaus gibt, beklagen, so deshalb, weil die deutsche Politik es versäumt hat, diese Menschen als einen fester Be-standteil der deutschen Gesellschaft zu akzeptieren und zu behandeln

Als Befürworter wird der Doppelpaß von uns nicht als Ziel, sonder als Mittel des Ziels der rechtlichen, politischen und sozialen Gleichstellung und somit der Integration angese-hen.

Dieses Recht soll selbstverständlich auch den rund eine Millionen Deutschen zugute kommen, die im Ausland spanische, Italienische, griechische, us-amerikanische und türkische Staatsbürgerschaft erwerben wollen, aber zurecht auf die eigene Staatsange-hörigkeit nicht verzichte wollen.

2. Man könne nicht zwei Ländern gegenüber loyal sein, deshalb müsse die Ent-scheidung eindeutig für die deutsche Staatsbürgerschaft fallen, wenn man sich einbürgern lassen wolle.

Loyalität ist eine Frage der gleichberechtigten Aufnahme in die Gesellschaft. Es ist eine Frage, ob man sich einer Gesellschaft zugehörig und in ihr Zuhause fühlen kann, sich als ein Teil des Ganzen betrachtet. Die bisherige Politik hat aber genau dieses versäumt. Bereits der Begriff ‚Ausländer‘ für Menschen, die seit 20, 30 und gar 40 Jahren hier leben, die sogar gebürtiger Hamburger, Berliner oder Hannoveraner sind, ist diskriminie-rend und provokativ. Dies scheinen die Gegner der erleichterten Einbürgerung nicht beg-riffen zu haben.

Wahr ist aber auch, daß die Eingewanderten und ihre Kinder auch Wurzeln im Herkunftsland haben. Die Sozialisation der ersten Generation fand vollständig dort statt. Diese prägt bis heute die eigene Identität nachhaltig. Auch die Eltern und Verwandten, zu denen sie in der Regel immer noch enge Kontakte pflegen, leben dort.

Die Staatsbürgerschaft ist nicht nur ein Stück Papier, sondern ein Teil der Identität.

Wurzeln in zwei Ländern zu haben ist eben für viele Menschen durch die Migration in die Nord und Westeuropäischen Staaten in unserer Zeit zu einer Realität geworden. Wem aber könnte dies schaden? Ich denke, eher das Gegenteil ist der Fall. Die Migranten könnten als eine Art menschlicher Brücke zwischen Deutschland und den Herkunftslän-dern dienen und dazu beitragen, die Beziehungen zwischen diesen Ländern nachhaltig zu verbessern.

3. Die deutsche Bevölkerung wolle die doppelte Staatsbürgerschaft mehrheitlich nicht, sagen die Unionsparteien. Hierzu gebe es Erhebungen.

Ich bezweifele die Seriosität dieser Erhebungen. Es ist, das wissen wir alle bei einer Be-fragung sehr entscheidend für die Antwort, wie die Frage formuliert ist.

Im August/September 1994 führte INFAS eine repräsentative Befragung durch. Die da-mals gestellte Frage war nach meinem Dafürhalten korrekt formuliert, sie lautete: ‚Wie stehen Sie zum Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft von Türken, die lange Jahre hier bei uns leben bzw. hier geboren wurden und weiter hier bleiben wollen?‘ Hier ist der Sachverhalt neutral und richtig formuliert. Man konnte zwischen vier mögli-chen Antworten wählen:

Sie sollten deutsche werden 28%

Sie sollten die doppelte

Staatsbürgerschaft erwerben können 43%

Sie sollten Türken bleiben 24%

keine Angaben 5%

71 Prozent der Befragten sind also hier für die Verleihung der deutschen Staatsbürger-schaft an Türken, darunter 43 % sogar für den Doppelpaß. Würde man heute mit der gleichen Fragestellung diese Erhebung wiederholen, würden wir möglicherweise eine noch eindeutigere Antwort erhalten.

Am 3. Dezember 1998 wurde bei einem regionalen Hamburger Fernsehsender, bei der Sendung ‚Schalthoff live‘ das Pro und Contra einer doppelten Staatsangehörigkeit dis-kutiert. Die Hörer wurden gebeten, sich per Telefon dafür oder dagegen auszusprechen. Für eine doppelte Staatsangehörigkeit

waren 52%

Dagegen 48%

Wir sehen, auch dieses Argument ist nicht ganz korrekt. Abgesehen davon, es ist die Aufgabe der verantwortlichen Politiker, bei der Bevölkerung für eine richtige Entschei-dung zu werben.

4. Die doppelte Staatsbürgerschaft würde die innere Sicherheit Deutschlands ge-fährden, sagt die CDU/CSU.

Bekanntlich gibt es bei der Einbürgerung Kriterien, die als Voraussetzung zur erfüllen sind. Unter anderem die Straflosigkeit. Es wird gesetzlich festgelegt, die straffällig ge-wordenen und diejenigen, die für die innere Sicherheit nachweislich eine Gefahr darstel-len, nicht einzubürgern.

5. Die doppelte Staatsbürgerschaft wäre verfassungswidrig.

Namhafte Verfassungsrechtler, darunter auch der konservative Jurist Prof. Heilbronner, sehen keinerlei verfassungsrechtliche Bedenken für den Doppelpaß. Das Bundesverfassungsgericht hatte 1990 in seiner Entscheidung zum Kommunalen Wahlrecht für Ausländer abgelehnt und zugleich den Gesetzgeber aufgefordert, die Ein-bürgerung zu erleichtern, damit das Wahlrecht eingeführt werden könne.

6. Die doppelte Staatsbürgerschaft würde zur Masseneinwanderung führen

Art. 6 des Grundgesetzes garantiert Ehe und Familie den besonderen Schütz der staatli-chen Ordnung. Dieses Recht gilt auch uneingeschränkt für die hier lebenden nichtdeut-schen Ehen und Familien. Dementsprechend können heute die in Deutschland lebenden Ausländer ihre Kinder unter 16 Jahren und ihre Ehepartner auch nach geltendem Recht bereits zu sich holen, wenn sie ihren Lebensunterhalt garantieren und ausreichenden Wohnraum nachweisen können. Diese Voraussetzungen sind aber auch im Entwurf der Bundesregierung festgeschrieben. Insofern ist auch diese Befürchtung unbegründet. Wir sehen, die Gegenargumente der Unionsparteien sind in keiner Weise überzeugend und sachgerecht.

Der wahre Grund für ihre ablehnende Haltung ist nach meiner Einschätzung ein anderer. CDU und CSU haben in ihrer 16-jährigen Regierungszeit aufgrund ihrer restriktiven Aus-länderpolitik und wegen ihrer ablehnenden Haltung gegenüber allen berechtigten Forde-rungen der Einwandererbevölkerung bei diesen keinerlei Sympathie erwerben können. Zurecht befürchten sie daher, von den neuen Staatsbürgern kaum Stimmen bei Wahlen zu erhalten.

Nach dem vorgelegten Gesetzentwurf könnten rund vier Millionen Einwanderer und ihre Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben. Diese Stimmen werden sicherlich die Wahlergebnisse beeinflussen. Diese Angst ist es, weshalb die Unionsparteien mit einer Reihe Hilfsargumenten ihre wahre Haltung zu verschleiern suchen und daher eine unan-gemessen radikale Politik verfolgen.

Zugleich versuchen sie mit diesem Kurs, Stimmen der rechtsradikalen Parteien bei den zahlreichen in diesem Jahr anstehenden Wahlen zu fangen. Dadurch entfernen sich die Unionsparteien aber noch weiter von der Einwandererbevölkerung, was dann auch mit-tel- und längerfristig negative Konsequenzen für CDU und CSU haben wird. Diese pola-risierende Politik zu Lasten der kulturellen Minderheiten ist einer demokratischen Volks-partei wie der CDU nicht würdig. Diese kurzsichtige Politik wird, davon bin ich überzeugt, der CDU viel mehr Schaden bringen als erhofften Nutzen. Deshalb appelliere ich an die CDU, ihre Ausländerpolitik ernsthaft zu überdenken.

Es ist längst an der Zeit, das aus dem Jahre 1913 stammende Einbürgerungsrecht und die Verordnungen der Jahre 1934 und 1942, also aus der Nazi-Zeit, grundlegend zu reformieren.

Der von der rot-grünen Koalition vorgelegte Entwurf beinhaltet in seinen Grundzügen und seiner Zielrichtung unsere Grundforderungen.

Nach diesem Entwurf kann unter Beibehaltung der ursprünglichen Staatsbürger-schaft die deutsche Staatsangehörigkeit erworben werden, d.h. die doppelte Staatsbür-gerschaft wird akzeptiert. Neben dem bis heute gültigen Abstammungsrecht erhalten Kinder von Migrantinnen und Migranten unter bestimmten Voraussetzungen die deutsche Staatsangehörigkeit nach dem Territorialprinzip durch Geburt in Deutschland. Somit werden zwei große Hindernisse bei der Übernahme der deutschen Staatsangehörigkeit beseitigt sein.

Ein für uns wichtige Orientierung ist: Das Reformgesetz darf keine Verschlechterun-gen gegenüber den derzeit gültigen Regelungen enthalten !

Dies ist aber vor allem in zwei Paragraphen der vorgelegten Gesetzentwurfes leider der Fall. Deshalb müssen diese Nach Meinung der Türkischen Gemeinde verbessert wer-den:

§ 86/4: Nach dieser Bestimmung können Empfänger von Sozial- und Arbeitslosenhilfe nicht die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen. Bedenkt man, daß die Arbeitslosen-quote unter der türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland 23,2 % beträgt und viele der Rentnerinnen und Rentner wegen der kurzen Beitragsdauer und den niedrigen Bei-tragssätzen während ihrer Beschäftigungszeit auf Sozialhilfe angewiesen sein werden, würde durch diese Regelung jeder vierte Deutschland – Türke nicht eingebürgert werden können.

Es ist nicht hinnehmbar, daß die Angehörigen der ersten Generation, die durch Schwerstarbeit zum Wohlstand in der Bundesrepublik beigetragen haben, nun von die-ser Möglichkeit der Gleichstellung ausgeschlossen werden.

So müßte zumindest die derzeitige Regelung beibehalten werden, die nach einem Bezug von Sozial- und Arbeitslosenhilfe ‚ohne eigenes Verschulden‘ differenziert und in diesem Fall die Einbürgerung ermöglicht.

§ 89/2: Hiernach soll die Einbürgerungsgebühr von derzeit DM 100,– auf DM 300,– er-höht werden. Wir sind der Meinung, daß die geltende Gebühr von 100,– DM weiterhin ausreicht, zumal sich das Einbürgerungsverfahren vereinfachen wird.

Zur Zeit sind in allen Bundesländern längere Wartefristen bei der Bearbeitung der Ein-bürgerungsanträge festzustellen. Durch die Reform ist eine starke Erhöhung der Zahl der Antragsteller zu erwarten. Deshalb muß das Personal aufgestockt werden.