Rede in Zypern

Rede von Prof. Keskin, die er im Namen aller dort anwesenden türkischstämmigen Abgeordneten in Zypern gehalten hat.

Sehr geehrter Herr Staatspräsident Mehmet Ali Talat, Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Ferdi Sabit Soyer, Sehr geehrter Herr stellvertretender Parlamentspräsident Ahmet Kasif, Sehr geehrter Herr Handelskammerpräsident Hasan Ince, Sehr geehrter Herr Botschafter der Türkischen Republik, Sehr geehrte Abgeordnetenkollegen, sehr geehrte Medienvertreter,

Ich begrüße Sie alle auf das herzlichste auf dem schönen Zypern. Ich und meine Kollegen sind außerordentlich glücklich, hier mit Ihnen zusammen gekommen zu sein. Wir sind aus drei Gründen glücklich.

Erstens sind wir glücklich, weil wir auf dieser schönen Mittelmeerinsel, auf Zypern, in dieser sonnigen und warmen Atmosphäre mit Ihnen zusammen sein können.

Zweitens sind wir glücklich, weil wir unsere Solidarität mit Ihnen, die eine Lösung auf Zypern suchen, für sie kämpfen und einen dauerhaften Frieden für das Wohlbefinden aller Volksgruppen Zyperns anstreben, bekunden.

Drittens sind wir glücklich, weil wir als türkischstämmige Abgeordnete westeuropäischer Länder offen zeigen, dass wir neben unseren primären Aufgaben in den Ländern, in denen wir leben, unsere Beziehungen zu unserem Heimatland, mit der Türkei und mit dem türkischen Volk nach wie vor aufrecht erhalten.

Es mag sein, dass Menschen, die politische Tätigkeiten in sehr engen Grenzen betrachten, unsere Solidarität mit der türkischen Volksgruppe auf Zypern als ein Zeichen des Nationalismus auffassen. Diesen Vorwurf konnten wir während unseres letzten Besuches in den Medien beobachten.

Die Anhänger dieser Ansicht befinden sich in einem großen Irrtum. Existiert auf Zypern ein wichtiges Problem, das auf eine Lösung wartet? Ja, es existiert. Wenn dem so ist, warum ist man dagegen, wenn wir zur Lösung dieses Problems beitragen könnten? Warum sollen ausgerechnet wir, die türkischstämmigen Abgeordneten, stumm bleiben, warum sollen wir nicht aktiv werden, in einem Zusammenhang, der die Türkei, Zypern und insbesondere die Beziehungen der Europäischen Union mit der Türkei betrifft, und damit uns besonders interessiert?

Ich erwähne dieses Thema, weil wir mit ähnlichen Fragen und Problemen konfrontiert werden können.

• Wir, meine sehr verehrten Parlamentarierkollegen, müssen wissen, dass unsere Anwesenheit hier richtig ist. • Denn wir zeigen eine Haltung nicht nur für einen dauerhaften Frieden, sondern auch für diejenigen, die sich im Recht befinden gegen das Unrecht. Das offenkundige Unrecht gegenüber dem Volk der Türkischen Republik Nordzypern damit begann, dass ein Land mit noch nicht gelösten inneren Problemen, ein geteiltes Land, in die EU aufgenommen wurde. • Dieser Fehler wurde nachträglich bereits erkannt. • Die Bundeskanzlerin Merkel bestätigte dies, bei ihrer Stellungnahme zu meiner diesbezüglichen Kleinen Anfrage im Deutschen Bundestag. • Durch die Ablehnung des Annan-Planes wurde aus dem Unrecht die Unlösbarkeit des Problems. • Das Unrecht hält an, weil die Sanktionen gegen Nordzypern trotz entsprechender Versprechungen nicht aufgehoben wurden.

Natürlich müssen wir gegen dieses Unrecht vorgehen. Wir müssen dies selbstbewusst tun. Die rechtschaffenste politische Linie ist die, auf der Seite der Gerechten gegen das Unrecht zu stehen. Nachdem ich meine, diese, als Warnung gegen bestimmte, von Ihnen leicht zu erratende, Kreise gemeinte Ansicht betont habe, möchte ich zu den aktuellen Entwicklungen kommen. Die Jahren während meines Studiums verbrachte ich in West-Berlin. Wie bekannt, wurde Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg von den Siegermächten besetzt. West-Berlin hatte eine Inselstellung innerhalb des von den Sowjets besetzten Ost-Deutschlands. Ost- und West-Berlin waren durch eine Mauer geteilt. So konnten Menschen, die in der selben Stadt lebten nur unter sehr erschwerten Bedingungen und an wenigen bestimmten Punkten in den anderen Teil der Stadt gelangen. Und das nur, wenn sie eine entsprechende Erlaubnis dafür bekommen konnten. Es gab Menschen, die ihre Verwandten wegen dieser Mauer jahrelang nicht sehen konnten. Ein mit mir sehr gut befreundeter Kommilitone konnte seine Freundin in Ost-Berlin – später heirateten sie – nur ein mal im Monat, und das sehr befristet, treffen. Es gibt zahllose Anekdoten über die berühmte Berliner Mauer, ebenso viele Filme handeln davon.

Heute existieren wenige hundert Meter von dieser Mauer, die als Denkmal geschützt werden. Kleine Mauersteine werden als Andenken verkauft. Leider gelang es mir aus Zeitgründen nicht, ein solches Mauerstück als Geschenk für unseren sehr verehrten Staatspräsidenten mitzubringen. Ich bin nämlich von einer Sitzung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates direkt hierher gekommen.

Warum ich Ihnen diese persönlichen Erinnerungen schildere?

Ich weiß zu genau, was es bedeutet, Menschen, Nachbarn, Verwandte, die seit Jahrhunderten zusammen gelebt haben, durch eine Mauer voneinander zu trennen. Gerade aus diesem Grunde ist es besonders wichtig, dass Mauern, die im 21. Jahrhundert keinerlei Existenzberechtigung haben, die Menschen, Städte voneinander trennen, verschwinden müssen. Wir wissen, dass die zypriotischen Türken in der Vergangenheit großes Leid erdulden, lange um ihre Existenz kämpfen mussten. Zweifelsohne dürfen wir die Vergangenheit, die Geschichte nicht vergessen, nicht außer Acht lassen. Auf der anderen Seite erlebten auch die Länder, aus denen wir kommen, Jahrhunderte währende Kriege. Der grausamste von diesen war der Zweite Weltkrieg. In diesem, vom faschistischen Deutschland entfachten Krieg verloren 50 Millionen Menschen ihr Leben, Städte wurden bis zur Unkenntlichkeit zerstört. Aber heute bilden 27 europäische Länder die EU, um gemeinsame Werte zu verfolgen, vor allem aber den Frieden dauerhaft zu sichern. Der größte Gewinn dieses Zusammenschlusses ist der Frieden. Länder, die Jahrhunderte lang verfeindet waren, untereinander Krieg geführt haben, zum Beispiel Deutschland und Frankreich, leben seit 50 Jahren als bestens befreundete Nachbarn.

Ich bin davon überzeugt, dass die Völker Zyperns, der türkische und der griechische Teil unter dem Dach eines gemeinsamen Staates in Frieden und Solidarität zusammen leben können. Ohne Zweifel muss dies von Parteien und Regierungen beide Seiten mit Nachdruck und innerlicher Überzeugung gewünscht sein. Wir sehen und erleben, dass dieser Wunsch auf der türkischen Seite vorhanden ist. Die Erklärungen des in Südzypern gerade gewählten Staatspräsidenten Christofias vor und nach seiner Wahl geben Anlass zur Hoffnung.

Die Öffnung des Lokmaci-Überganges durch die gemeinsame Entscheidung ist ein erfreulicher Schritt dieses Neuanfanges. Wir, als türkischstämmige Parlamentarier in Westeuropa, sind dafür, dass diese schöne Mittelmeerinsel, Zypern, vereint wird und unter dem Dach eines gemeinsamen Staates in Solidarität und Einheit lebt.

Sicherlich ist die völlige Gleichstellung beider Volksgruppen, der griechischen und der türkischen, auf allen Ebenen die Vorbedingung dieses Projektes eines gemeinsamen Staates, der auf dieser Grundlage stehen muss.

Diese berechtigte Bedingung muss aufrichtig verinnerlicht sein. Andererseits müssen die Türkei und Griechenland auch in Zukunft als Schutzmächte fungieren, damit die zypriotischen Türken in Sicherheit leben können. Meiner Meinung nach kann der gewünschte Frieden und die Stabilität erst mit der EU-Mitgliedschaft der gesamten Insel dauerhaft erreicht werden.

Mit Interesse verfolgen wir die diesbezügliche, nachhaltige Bemühung der Bevölkerung Nordzyperns. Es muss allen klar sein, dass wir Sie bei Ihren Aktivitäten in dieser Richtung unterstützen. Sehr verehrter Herr Staatspräsident, Sie schilderten soeben die bestehende Situation in aller Klarheit.

Wir erwarten von der griechisch-zypriotischen Seite, in diesem Prozess positiver Entwicklungen ihre neue Politik unter Beweis zu stellen, indem sie eine entgegenkommende Haltung einnimmt und die Aufhebung der gegen Nordzypern bestehenden Sanktionen nicht länger blockiert.

In erster Linie sollte der Einsatz Südzyperns in Richtung der Aufhebung der gegen Nordzypern bestehenden Isolation das Symbol dieser neuen Politik sein.

Der griechische Teil würde eine vertrauensbildende und das Zusammenleben fördernde Haltung an den Tag legen, wenn er seine Türen für all diejenigen offen halten würde, die auf dem Flughafen Ercan in Nordzypern landen, einen Dialog mit beiden Seiten suchen und zum Frieden und zur Lösung des Konfliktes beitragen wollen.

Wir wollen an die Zukunft eines Zyperns mit zwei Volksgruppen, zwei Gebieten und auf der Grundlage der Gleichstellung beider Volksgruppen auf allen Ebenen glauben.

Wir wünschen den Arbeitsgruppen und technischen Ausschüssen, deren Bildung gestern beschlossen wurde, schon jetzt viel Erfolg.

Die Europäische Union muss diese Bemühungen unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen.

Somit erhielt die Europäische Union eine wichtige und womöglich letzte Chance, ihren großen Fehler zu bereinigen. Diese wichtige Möglichkeit auf dem Wege zur Lösung des Konfliktes darf nicht ungenutzt bleiben. Ich persönlich wünsche, dass bei diesem historischen Engagement keine Fehler begangen werden und möchte auch meine Hoffnung zum Ausdruck bringen, dass dies nicht geschehen wird.

Für die Türkei und für das türkische Volk ist Zypern nicht ein Land, wie jedes andere. Die Türkei, die so nahe liegt, dass wir deren Küste wir von hier aus mit bloßem Auge sehen können, hat auf 500 Jahre zurückreichende historische, menschliche, kulturelle und geopolitische Verbindungen und Rechte auf dieser Insel. Ich bin davon überzeugt, dass keiner das Recht besitzt, diesen Umstand außer Acht zu lassen. Die Berechtigung der Präsenz der Türkei hier kann um so deutlicher verstanden werden, wenn man sich den Umstand in Erinnerung ruft, dass Großbritannien ohne jegliche rechtliche Begründung Militärbasen auf der Insel unterhält. Ich bedanke mich bei allen, die diese, meiner Meinung nach sehr nutzbringende Zusammenkunft organisiert haben.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Dateien:

ortak_basin_aciklamasi.pdf