Festung Europa demontieren – Flüchtlingsleben im Mittelmeer wirksam schützen !

Vorschlag für eine Entschließung für die kommende Sitzungswoche des Europarates (english version below)

Ende März 2009 erfuhr die europäische Öffentlichkeit von einer neuerlichen Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer. Mehrere Flüchtlingsboote waren vor der libyschen Küste gekentert, wobei über 200 Menschen ertranken. Die Flüchtlinge stammten aus afrikanischen Ländern und dem Nahen Osten.

1. Ihr Tod bei der höchst riskanten Flucht nach Europa, heraus aus Verzweiflung, Verfolgung und Armut, stellt den vorläufigen Höhepunkt einer katastrophalen Entwicklung dar. Bis zum Jahr 2008 sind an den abgeschotteten Grenzen Europas über 11.000 Menschen ums Leben gekommen, von weiteren, lediglich nicht dokumentierten Opfern muss ausgegangen werden.

2. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass es sich bei den Opfern der Schiffe aus Libyen keinesfalls um isolierte Einzelfälle handelt, auch wenn es die ‚größte Flüchtlingskatastrophe in der Geschichte der EU‘ (Pro Asyl) war. Vielmehr muss festgestellt werden, dass das Grenzregime, das die Mittelmeeranrainer unter maßgeblicher Anleitung der Europäischen Union installiert haben, hauptverantwortlich für diese humanitäre Katastrophe ist. Wer mit Kanonenbooten Flüchtlinge auf hoher See aufgreift und wieder abschiebt, trägt dazu bei, dass die künftigen Fluchtrouten zur illegalen Einreise noch riskanter und noch mehr Menschenleben gefährdet werden.

3. Aufgrund ihrer traditionellen Verantwortung für den Schutz der universellen Menschenrechte stehen der Europarat und die Parlamentarische Versammlung in der Pflicht, die genannten Missstände zu diskutieren, Verantwortungen klar zu benennen und die beteiligten europäischen Akteure dringend zu einer humanitären Lösung aufzurufen.

Die Parlamentarische Versammlung des Europarats fordert die Mitgliedstaaten dazu auf,

1. Nicht Flüchtlinge, sondern Fluchtursachen zu bekämpfen. Daher sollten die Mitgliedstaaten des Europarates ihre Entwicklungshilfe für die armen und ärmsten Länder massiv erhöhen, um dort eine soziale Infrastruktur aufzubauen, die Lebensperspektiven und politische Stabilität schafft. Im Rahmen der Welthandelsorganisation und zukünftiger bi- und mutlinationaler Wirtschaftsabkommen sollten sich die Mitgliedstaaten des Europarates dringend für eine gerechtere Verteilung des globalen Reichtums einsetzen, um insbesondere die Beseitigung der Armut in Afrika strukturell zu ermöglichen.

2. Die Illegalisierung und die damit einhergehende Entrechtung der Boatpeople im Mittelmeer sind umgehend zu beenden. Das fundamentale Recht auf körperliche Unversehrtheit muss wieder oberste Priorität genießen und darf nicht weiterhin dem Fetisch der Abschottung Europas geopfert werden. Alle beteiligten europäischen Akteure werden dringend zur Einhaltung der geltenden völkerrechtlichen Abkommen aufgerufen, wozu selbstverständlich auch die Genfer Flüchtlingskonvention zählt.

3. Erst die polizeiliche und militärische Kontrolle der kurzen Seewege zwischen afrikanischem und europäischem Kontinent durch die europäischen Sicherheitsbehörden zwingt die Flüchtlinge zu gefährlichen, langen Auswegrouten. Die Öffentlichkeit in den Mitgliedstaaten des Europarates muss daher über den ursächlichen Zusammenhang von Abschottung und gestiegenen Opferzahlen aufgeklärt werden.

4. Die Mitgliedstaaten des Europarates, die an den Küsten des Mittelmeeres Lager für diejenigen Flüchtlinge unterhalten, die in Europa landen, werden aufgefordert, den Charakter dieser Lager genau zu überprüfen und gegebenenfalls zu verändern. Die Menschen, die es nach Europa schaffen brauchen jede erdenkliche medizinische, logistitische und finanzielle Hilfe – und nicht einen Aufenthalt in einem Internierungslager, das sie zu Kriminellen stempelt. Endlich müssen die Kapazitäten der Auffanglager der ankommenden Zahl von Flüchtlingen angepasst werden.

5. Die Mitgliedstaaten des Europarates, die an den Küsten des Mittelmeeres Auffanglager für Boatpeople unterhalten, sollten überprüfen, ob es in ihrem Einflussbereich lokale, regionale oder nationale politische Akteure gibt, die die Flüchtlingsfrage für xenophobe, rassistische Kampagnen missbrauchen. In diesem Falle werden die Mitgliedstaaten zu konsequentem rechtlichem und polizeilichem Vorgehen aufgefordert.

6. Ein der weltweiten Mobilität und kulturellen Interaktion angemessenes Einwanderungsrecht muss in den Mitgliedstaaten des Europarates die überkommenen Regelungen ersetzen. Nach Jahrzehnten, in denen sich die westlichen Industrienationen erfolgreich für die globale Reisefreiheit von Gütern und Geldern eingesetzt haben, muss eben diese Freiheit auch den Menschen zugestanden werden.

7. Solange die Institutionen der Europäischen Union nicht ansatzweise in der Lage sind, demokratisch legitimierte, politische Kontrolle über Sicherheitsapparate auszuüben, muss jede weitere Machtausweitung des europäischen Grenzregimes FRONTEX suspendiert werden. Die über ihre Mitgliedschaft in der Europäischen Union an FRONTEX beteiligten Mitgliedstaaten des Europarates werden aufgefordert, ihren Einfluss geltend zu machen, FRONTEX aufzulösen beziehungsweise in eine Agentur zum Schutz der Flüchtlinge im Mittelmeer zu verwandeln und die Fähigkeiten zur Seenotrettung massiv zu verbessern. Die Jagd auf Flüchtlinge mit europäischen Steuergeldern darf nicht länger andauern.

8. Der routinierte Umgang der Behörden, Regierungen und Medien in den Mitgliedstaaten des Europarates mit den Toten an den europäischen Außengrenzen muss ein Ende finden. Die Mitgliedstaaten des Europarates werden aufgefordert, detaillierte Untersuchungen über die humanitäre Situation im Mittelmeerraum anzustellen und die Ergebnisse einer breiten Öffentlichkeit vorzulegen.

Dateien:

empfehlung_fluechtlingskatastrophe_engl.doc