Europäische muslimische Gemeinschaften in der Auseinandersetzung mit dem Extremismus – Rede in der Parlamentarischen Versammlung

Zunächst möchte ich mich in aller Form bei Herrn Amaral bedanken, der einen meiner Meinung nach hervorragenden Bericht zur Situation der muslimischen Gemeinschaften, die sich mit dem Extremismus konfrontiert sehen, vorgelegt hat.

Die Ereignisse der letzten Tage und Wochen zeigen erneut auf drastische und zugleich tragische Weise, wie aktuell das Thema – leider – ist: In den Niederlanden hat der Rechtspopulist Geert Wilders mit seinem Anti-Koran-Film zum wiederholten Mal die Muslime in aller Welt in den Pauschalverdacht gerückt, sie würden grundsätzlich mit dem Terrorismus sympathisieren, eine generelle Gewaltneigung besitzen und Frauenrechte grundsätzlich negieren. Dahinter verbirgt sich die Absicht, die in der westlichen Welt vorhandenen Ängste vor einer angeblichen Unterminierung der liberalen Kultur und der demokratischen Zivilgesellschaft durch die Muslime zu schüren. Der Islam erscheint somit als Bedrohung für die Errungenschaften seit der modernen Aufklärung und für die Liberalität.

Diese Extremsituationen überschatten den Alltag aller friedliebenden Menschen in Europa – egal welchen Glaubens! Das Ziel dieser rechtsgerichteten Propaganda ist völlig klar: die Darstellung des Islams als Terrorreligion soll die Muslime zu spontanen Gewalttaten provozieren, die dann als Vorwand für eine restriktivere Einwanderungspolitik und minderheitenfeindliche Maßnahmen genommen werden.

Gerade vor diesem Hintergrund verdient es tiefen Respekt, wie besonnen die niederländischen Muslime auf diese ungeheuerliche Provokation reagiert haben. Genauso wichtig ist aber auch die berechtigte Empörung der niederländischen Mehrheitsbevölkerung über Wilders Film gewesen: Sie zeigt, dass sich Liberalität und Islam keineswegs einander ausschließen und beide gemeinsam die liberale, demokratische Kultur verteidigen können.

Die durch den Film angestoßene Debatte über die Grenzen der Meinungsfreiheit ist daher berechtigt: Sie darf auch in einer liberalen Gesellschaft nicht völlig schrankenlos sein! Meine sehr geehrten Damen und Herren,

auch diese fremdenfeindliche Dimension in manchen Islamdebatten muss klar erkannt werden! Denn ansonsten verkommt der Dialog mit den Muslimen in Europa zu einer primären Sicherheitsdebatte und unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit kann sich praktisch eine Variante des Kulturrassismus ungehindert ausbreiten!

Die seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 anhaltende Debatte bei Teilen der Gesellschaften, die den Islam zuallererst als Gefahr ansieht, hat bereits zu einem verheerenden Meinungsbild geführt: Laut Umfrage des renommierten Allensbach-Instituts aus dem Jahr 2006 stimmten 83 Prozent der Befragten in Deutschland der Aussage zu, der Islam sei fanatisch – 71 Prozent hielten ihn für intolerant und über 90 Prozent meinten, dass sie beim Stichwort Islam an die Benachteiligung und Unterdrückung von Frauen denken würden!

In der Bundesrepublik Deutschland hat diese Sichtweise dazu geführt, dass mittlerweile von einer ’steigenden Islamophobie‘ gesprochen werden muss. Drei Viertel der Bundesbürger sind der Meinung, Islam und westliche Kultur passten nicht zueinander.

Pauschal verdächtigt und abgelehnt von den Aufnahmegesellschaften ziehen sich viele Muslime zurück, so dass erst unter diesen Bedingungen eine kleine extremistische und terroristische Minderheit weiter Zwietracht sähen kann. Und genau diese feindselige Atmosphäre ist es, die die Extremisten benötigen, um gewaltbereite Anhänger zu finden.

In diesem – zugegebenermaßen – äußerst komplexen Spannungsfeld zwischen Extremismus und Islamophobie müssen die individuellen Freiheitsrechte und die Trennung von Staat und Religion ebenso verteidigt werden wie die Freiheit zur Ausübung des eigenen Glaubens.

Konsequent müssen die Werte Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechte – und insbesondere der Laizismus – verteidigt werden. Ein Aufweichen dieser Werte wäre Ausdruck einer falsch verstandenen Toleranz. Die muslimischen Gemeinschaften und Individuen müssen sich wie alle anderen auch zu den Menschenrechten und Verfassungsnormen bekennen und an die Gesetze halten.

Die Menschen islamischen Glaubens müssen aber gleichzeitig alle Rechte eines demokratischen Rechtsstaates uneingeschränkt und ohne Diskriminierung genießen können. Nur dann kann mit einem loyalen und solidarischen Verhalten der muslimischen Minderheiten gerechnet werden! Vorverurteilungen und Generalverdächtigungen sind dabei der größte Fehler, den Europa begehen kann. Dies würde unsere Gesellschaften trennen und spalten, anstatt sie solidarisch zusammenzubringen. Einem ‚Kampf der Kulturen‘ darf unter keinen Umständen das Wort geredet werden!

Völlig zu Recht weist der Bericht daher darauf hin, dass es in der staatlichen und gesellschaftlichen Verantwortung liegt, Diskriminierung, Rassismus, mangelnde Chancengleichheit und soziale Ausgrenzung als Nährboden des Extremismus auszutrocknen. Wirksame Antidiskriminierungsmaßnahmen sind dringend notwendig, um die verschiedenen Formen der Ungleichbehandlung aufzuheben und die Migrantinnen und Migranten muslimischen Glaubens als Gleichberechtigte in die Gesellschaft aufzunehmen.

Ignoranz und Abschottung gegenüber den Migranten müssen im sozialen, ökonomischen und kulturellen Bereich energisch bekämpft werden!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Bilder:

Europäische muslimische Gemeinschaften in der Auseinandersetzung mit dem Extremismus - Rede in der Parlamentarischen Versammlung