Reise nach Indien im Auftrag der Fraktion

vom 11.11.- 18.11.2006 mit den Abgeordneten Monika Knoche und Hans-Kurt Hill.

Indien – Land der extremen sozialen Gegensätze

Ich möchte gern meine Eindrücke von einer Reise nach Indien wiedergeben. Seit geraumer Zeit kann ich mich selbst als einen Anhänger der Kultur Indiens bezeichnen: mich beeindruckt die kulturelle Vielfalt und hohe Toleranz in der Gesellschaft ebenso wie die kunstvoll in Szene gesetzte Melodramatik des indischen Films.

Auf meiner Reise nach Indien habe ich aber auch die anderen Seiten des Landes kennengelernt. Zusammen mit einer Abgeordnetenkollegin von der Fraktion Die LINKE. wollte ich mich über die Situation in Indien informieren. Auch darüber, wie es derzeit um die Multikulturalität in diesem Lande steht. Bevor wir überhaupt nach Bombay gereist sind, habe ich natürlich auf der Karte geschaut, wo unser Hotel in Bombay liegt. Wir sollten untergebracht werden in einem sehr schönen Hotel mit Namen ‚Taj Mahal‘- direkt an der Bucht gelegen (übrigens dort, wo Ende 2008 ein Terrorattentat stattfand). Ich hatte Freunden vor der Reise erzählt, wo wir sein würden und auch meinen Mitreisenden vorgeschlagen, dass wir dort auch den Strand besuchen könnten oder in den Pausen schwimmen könnten, weil Mumbai ja an einer Bucht liegt. Meine Freunde, die die Zustände dort kannten, wussten es besser und sagten, nein, das könne man nicht.

Wir sind also nach Bombay, heute Mumbai, gereist. Als wir angekommen waren, habe ich dann gesehen, dass man wirklich dort nicht schwimmen kann. Mumbai liegt zwar sehr schön an einer Bucht und es ist sehr grün und es gibt Hügel, von wo die ganze Stadt gut zu überblicken ist. Allerdings fließen unverständlicherweise die ganzen Abwässer ins Meer. Das ist ein Gestank, den man sich nicht vorstellen kann. Damit die Menschen nicht direkt mit der Abwässerlauge in Berührung kommen, hat man Blechmauern gebaut an der Straße zum Ufer hin. Sie sind zwei, drei Meter hoch. Man kann den Strand nicht sehen, aber man sieht in der Ferne das azurblaue Meer. Dennoch riecht man diesen fürchterlichen Gestank. Es ist unbeschreiblich. Es war für mich eine unerwartete Situation.

Aber noch unglaublicher war folgendes: Wenn man von oben schaut, gibt es – wie soll ich das nennen – massenhafte, primitivste Behausungen. Nur zwei oder drei Quadratmeter groß, dicht aneinandergereiht und ineinander verkeilt. Und man kann allenfalls einen Menschen dazwischen erkennen. Es ist wie ein einziger Blechhaufen – es sind zehntausende von Slums dicht an dicht – ein einziges Blechmeer. Es ist unbeschreiblich.

Dann sieht man Menschen, die wahrscheinlich nicht die Möglichkeit haben, ihre Wäsche zuhause zu waschen. Diese Menschen bringen ihre Wäsche an Stellen, wo Leute sind, die das Wäschewaschen für sie übernehmen. Aber wie das gemacht wird. Da gibt es so was wie große Brunnen mit Rinnen aus gegossenem Beton. Ungefähr eineinhalb oder zwei Meter lang und da wird dann die ganze Wäsche reingeworfen und mit nackten Füßen im Wasser getreten. Sortiert wird nichts, alles kommt einfach zusammen in das Wasser, das sich schnell zu einer trüben Brühe färbt. Ich habe gehört, dass sogar Hotels auf diese Weise ihre Wäsche waschen lassen. Es war wirklich grauselig und wirkte sehr unhygienisch.

Und noch eines – in Indien gibt es ja seit Urzeiten das sogenannte Kasten-System. Einerseits habe ich die Inder immer bewundert für ihre Vielfalt, ihre Toleranz und für ihre innere Ruhe und Ausgeglichenheit. Von außen betrachtet habe ich den Hinduismus immer so wahrgenommen. Die Leute sind nicht immer so hektisch, wie wir dies von Europa her kennen. Aber dann dieses Kasten-System! Es gilt die Regel, dass Leute, die zu den untersten Schichten der Gesellschaft gehören, nicht berührt werden dürfen, weil sie als schmutzig und aussätzig gelten. Mit denen soll man, wenn man nicht zu dieser Schicht gehört, nichts zu tun haben. Man kann ja auch nur innerhalb der Kaste heiraten. Innerhalb dieses starren Kastensystems existiert keine soziale Durchlässigkeit, alle Kasten riegeln sich hermetisch voneinander ab.

Die ganze Situation hat mich tief erschüttert. Dieses unbeschreibliche Ausmaß an Armut und gleichzeitig eine dünne Schicht von sehr Reichen. Es gibt in Indien immerhin Gewerkschaften, es gibt dort zahlreiche linke Organisationen, es gibt sogar eine kommunistische Partei, zu der wir auch Kontakt aufgenommen haben. Ich habe unsere Gesprächspartner vor Ort mehrmals gefragt, warum haben Persönlichkeiten wie Gandhi oder seine Mitstreiter und späteren Nachfolger, die ich auch sehr bewundere, gegen dieses unmenschliche Gesellschaftssystem nichts unternommen und diese unerträglichen sozialen Zustände nicht beseitigt? Warum kann oder will heute niemand diese Zustände ändern, warum sind die sozialen Extreme in diesem Land so groß? Die Gesprächspartner erklärten mir, dass man dies als eine von Gott gegebene Tatsache betrachtet, die nicht ohne weiteres zu verändern sei.

Diese Reise hat mich sehr bewegt. Ich dachte, ich muss darüber etwas schreiben. Wir müssen ja sowieso immer Berichte über unsere Reisen schreiben. Aber hier dachte ich mir, muss ich etwas für mich selbst verfassen, die Eindrücke, die hängengeblieben sind. Die Reise hat mir soziale Abgründe vor Augen geführt, an denen eine Gesellschaft zerbrechen kann. Ich kannte dies bisher nicht aus eigenem Erleben, sondern nur aus Filmen: Es gibt ja viele dieser Leute, die so reich sind, dass sie nicht wissen, was sie mit ihrem Geld machen sollen. Aber hier gibt es Leute, die wirklich nichts, überhaupt nichts haben.

Eine Woche ist vielleicht nicht genug, um ein so großes Land zu erfassen. Aber diese Reisestation während meiner Abgeordnetenzeit ist ein Ereignis, das mich in vielfältiger Weise erschrocken und betroffen gemacht hat. Ich habe mit vielen Leuten darüber gesprochen. Und heute wieder.

Bilder:

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