Deutschtürken hoffen nach der Wahl des US-Präsidenten auf ähnliche Karrieren hierzulande. Immerhin wird einer von ihnen bald Parteichef – eine Betrachtung |
Sabine Rennefanz
Die deutsche Ausgabe der türkischen Zeitung Hürriyet hat Obama nach seiner Wahl quasi zum Ehren-Integrationsbeauftragten ernannt für die deutschen Türken. ‚Wo bleibt der erste türkische Kanzler‘ lautete die Schlagzeile des Massenblatts am Mittwoch. Tatsächlich haben die deutsch-türkischen Politiker den Wahlkampf des Demokraten aufmerksam verfolgt. ‚Die Wahl zeigt, dass Migranten nicht zum Nichtstun verurteilt sind‘, sagt Hakki Keskin, Abgeordneter der Linken.
Die SPD-Abgeordnete Lale Akgün sagt, sie könne sich vorstellen, dass Nachfahren von Migranten in zehn bis fünfzehn Jahren in der Regierung vertreten sein könnten. Und Berliner Grüne träumen davon, dass die Wahl Obamas dem Kreuzberger Abgeordneten Özcan Mutlu den Karriereschritt vom Landes- zum Bundespolitiker erleichtern könnte. ‚Yes, we can‘, sprechen sich auch die Grünen Mut zu.
Es gibt die Sehnsucht nach einem Typen, der wie Obama die Grenzen von Herkunft, Rasse, Geschlecht überbrückt und die Menschen inspiriert. Immerhin wird demnächst ein Einwanderersohn zum ersten Mal eine deutsche Partei führen. Am 14. November soll Cem Özdemir zum Parteichef gewählt werden. Als vor wenigen Monaten klar war, dass der bisherige Europaabgeordnete der einzige Kandidat für den Parteivorsitz wird, kürte ihn die taz zum ‚Öbamale‘, zum schwäbischen Obama. Özdemirs Wahl dürfte auch für Deutschland ein bedeutsamer Tag sein, wenn auch von geringerem historischen Ausmaß als die Wahl eines schwarzen US-Präsidenten.
Auf den ersten Blick gibt es Gemeinsamkeiten: Beide sind Einwandererkinder. Özdemirs Eltern kamen aus Anatolien nach Schwaben, Obamas Vater, ein Kenianer, lebte eine Zeit lang in den USA. Sie wissen beide, wie es ist, anders zu sein als die Mehrheit der Bevölkerung. Özdemir wurde noch ausgelacht, als er aufs Gymnasium wollte, weil es das in der schwäbischen Provinz nicht gab, dass Arbeiterkinder türkischer Herkunft weiter kamen als ihre Eltern. Obama wurden die Autoschlüssel zugeworfen, wenn er vor einem Hotel auf den Parkwart wartete, weil man ihn genau dafür hielt. Beide haben erkannt, dass man nicht andere für sich sprechen lassen darf, wenn man was erreichen will, und dass man sich aus der ethnischen Gruppe lösen muss, dass man durch Leistungen überzeugen muss, nicht durch die Herkunft. Beide haben Herkunft und Rasse transzendiert: Obama ist vom Habitus und Auftreten her der pragmatische, unaufgeregte Liberale, der nicht zuerst als Schwarzer wahrgenommen wird. Özdemir redet und denkt wie ein Schwabe, weniger wie ein Türke.
Doch damit hören die Gemeinsamkeiten auf. Wie groß die Unterschiede zwischen den Politikern sind, erkennt man bereits an den Titeln der Bücher, die beide veröffentlichten: Özdemir brachte in diesem Herbst ‚Die Türkei‘ heraus, eine Art Lehrbuch, es geht um Geschichte, Vergangenheit. Es ist ein sehr ausgewogenes Buch, in dem er auch um Verständnis für Traditionen und Bräuche wie arrangierte Ehen wirbt. Özdemir ist ein Mittler zwischen den Kulturen, einer, der die Probleme erkennt und versucht, sie zu erklären. Er ist der Realo, so heißt auch der Flügel, dem er in der Partei zugeordnet wird. Realo klingt ungefähr nach dem Gegenteil von ‚Hoffnung wagen‘, dem Titel des letzten Buchs von Obama.
Der Amerikaner hat neue Wähler für sich begeistert. Den Deutschtürken hat nicht mal sein eigener Landesverband Baden-Württemberg unterstützt, als er sich vor wenigen Wochen erfolglos um einen sicheren Listenplatz für den Bundestagswahlkampf bemüht hatte. Soweit ging die Liebe zu Multikulti dann doch nicht. Özdemir wird nicht auf einen Wahlkreis als Basis vertrauen dürfen. Außerdem muss er sich den Job an der Spitze teilen. Mit Özdemir als Parteichef wird es also höchstens einen kleinen ‚Öbama-Effekt‘ geben, der durch die Präsenz in der Öffentlichkeit kommt, der Einwandererkinder zu politischem Engagement ermutigt. Doch zu viel sollte man davon nicht erwarten.
Seit 1994, damals wurde Özdemir als erster Deutschtürke in den Bundestag gewählt, hat sich wenig getan. Zwar gibt es mittlerweile fünf Deutschtürken im Bundestag, aber keiner von ihnen gehört der CDU oder der FDP an. Auch in den großen Länderkammern von NRW, wo die meisten Türken leben, sind keine Mandatsträger vertreten. Die Parteien klagen, dass die Türken sich nicht engagieren, dass sie eine Ablehnung und Verachtung für die deutsche Gesellschaft und ihre Institutionen kultiviert haben.
Die Deutschtürken, die ein Parteibuch haben, klagen, dass sie nicht weiterkommen. Viele sind von vornherein von politischer Einflussnahme ausgeschlossen, nur zwanzig Prozent von rund drei Millionen Türken haben einen deutschen Pass. Die Zahl der Einbürgerungen hat sich im vergangenen Jahr halbiert. Linken-Abgeordnete Keskin, der jahrelang Vorsitzender der türkischen Gemeinde war, urteilt: ‚Viele Menschen stehen nach wie vor an der Tür der Gesellschaft.‘
Er sagt, dass es Jahrzehnte dauern wird, bis Deutschland reif für einen türkischen Kanzler ist. Es klingt so, als ob die türkischen Politiker längst dazu bereit wären. Bis sie sich durchsetzen, dürfen wir uns damit trösten, dass wir etwas haben, was Amerika nicht hat: eine Frau an der Spitze. Und sie ist Ostdeutsche. Angela Merkel ist unser Obama.