Deutschland ignoriert europäische Standards bei der demokratischen Teilhabe von MigrantInnen !

In ihrer 24. Sitzung am 25. Juni 2008 zum 'Stand der Demokratie in Europa' hat die Parlamentarische Versammlung des Europarats in Straßburg die enorme Bedeutung der demokratischen Teilhabe von Migrantinnen und Migranten am demokratischen Leben in Europa hervorgehoben.

Die Versammlung empfahl den Mitgliedstaaten daher eine Reihe von Maßnahmen, um die demokratische Partizipation von MigrantInnen zu ermöglichen. Hierzu zählt die Versammlung das kommunale Wahlrecht für AusländerInnen aus Nicht-EU-Staaten. Als ganz zentral wird weiterhin die Erleichterung des Erwerbs der Staatsbürgerschaft, auch unter Hinnahme der Beibehaltung der bisherigen Staatsbürgerschaft, empfohlen. Denn nur auf diesem Wege können volle politische Rechte erlangt werden. Es handelt sich bei beiden Empfehlungen und Entschließungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarats um Beschlüsse einer hohen internationalen Organisation, der insgesamt 47 Staaten angehören, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland. Die Beschlüsse wurden mit großen, interfraktionellen Mehrheiten gefasst, auch mit Zustimmung vieler konservativer Parteien.

Um die Einhaltung dieser Beschlüsse zu überprüfen, haben Abgeordnete der LINKEN eine Kleine Anfrage (‚Demokratische Teilhabe von MigrantInnen verbessern – Empfehlungen des Europarats unverzüglich umsetzen‘, 16/11505) an die Bundesregierung gestellt. In ihrer Antwort hätte die Bundesregierung skizzieren können, wie sie auf die Straßburger Initiative reagieren will. Stattdessen weicht sie den entscheidenden Fragen der Fragesteller aus oder ignoriert die Problemlage gänzlich.

Im Falle der Bundesrepublik besteht eines der gravierendsten Probleme nach wie vor in den staatsbürgerrechtlichen Regelungen, die einem erheblichen Teil der MigrantInnen in Deutschland fundamentale Grundrechte vorenthalten, da sie den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft massiv erschweren. Laut Bundesregierung bestehe hier, wie in einer Vielzahl anderer Problembereiche, jedoch ‚kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf‘.

Die Bundesregierung verweigert es, sich rasch mit der Umsetzung der Entschließungen des Europarates zu befassen und die aktive wahlrechtliche Partizipation von Migrantinnen und Migranten zu ermöglichen. Diese ist jedoch nur durch die Reform des Wahl- und Staatsbürgerschaftsrechts möglich. Migrantinnen und Migranten sollen sich laut Antwort des Innenministeriums anscheinend mit Versammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit zufrieden geben – volle demokratische Partizipationsmöglichkeiten durch erleichterten Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft sind nicht vorgesehen.

Die Parlamentarische Versammlung in Straßburg erwägt deshalb zu Recht die Einsetzung von Monitoringmissionen, die sich prüfend und kritisch mit dem Zustand der demokratischen Verhältnisse in den europäischen Einwanderungsgesellschaften auseinandersetzen sollen. Dieser Schritt basiert auf der Befürchtung, dass die europäischen Einwanderungsländer die Defizite bei der demokratischen Partizipation weiter aussitzen werden, statt sie zu lösen. Die deutsche Bundesregierung dokumentiert mit ihrer Antwort, wie berechtigt diese Befürchtungen sind! Während die Bundesrepublik in ihrer eigenen Außenpolitik immer gerne die Einhaltung demokratischer Standards einfordert und mit Sanktionen droht, nimmt sie ihre Verantwortung gegenüber der migrantischen Wohnbevölkerung in Deutschland selbst nicht wahr.

Ich sehe es als Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats und als Mitglied des Monitoring-Ausschusses als meine Aufgabe an, die Bundesregierung an die Einhaltung der europäischen Mindeststandards zu erinnern, wie sie in den Beschlüssen der Versammlung formuliert wurden. Die demokratische Partizipation der migrantischen Bevölkerungsteile am demokratischen Leben in Deutschland macht die erleichterte Einbürgerung und die Tolerierung von doppelten Staatsbürgerschaften zur dringenden Notwendigkeit.

Keinesfalls reicht es aus, wie die Bundesregierung glaubt, ‚die Empfehlungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zur Kenntnis‘ zu nehmen. Gefordert ist die rasche Umsetzung dieser Empfehlungen!

Hakkı Keskin

Dateien:

soru_oenergesi_goecmenlerin_demokratik_katilimi.doc

anfrage_11505.pdf

antwort_11505.pdf

sab230120092.pdf