Die Lage der Menschenrechte und der Stand der Demokratie in Europa

Rede in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, Straßburg

Sehr geehrte Damen und Herren,

Herrn Gross möchte ich für seinen sehr gelungenen Bericht danken.

Allerdings möchte ich auf ein Demokratiedefizit, in einem für mich sehr wichtigen Bereich, insbesondere in den Westeuropäischen Staaten aufmerksam machen. Ich möchte die Europäische Versammlung bitten, in diese Frage eine gemeinsame Position einzunehmen und den Mitgliedsstaaten eine verbindliche Lösung vorzuschlagen.

Zu recht wird im Bericht bei Punkt 51 unterstrichen, dass ‚die Repräsentativität der Parlamente offensichtlich ein Kernbestandteil einer repräsentativen Demokratie ist‘ ‚In diesem Zusammenhang muss‘ so der Bericht weiter ‚was das aktive und passive Wahlrecht angeht, jede Art von Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Rasse, der Religion oder aus sozialen Gründen beseitigt werden.‘

Im Punkt 52 wird ergänzt: ‚Die Staatsbürgerschaft ist die wesentliche und gesetzliche Verbindung zwischen dem Staat und dem Individuum.‘

Dass die jungen Demokratien in einigen Mitgliedstaaten des Europarates, was den Stand der Demokratie und Menschenrechte anbetrifft, eine Reihe von Defiziten aufweisen, wissen wir alle.

Aber auch die weit gereiften Demokratien in den Westeuropäischen Staaten müssen sich ebenfalls selbstkritisch mit der Lage ihrer eigenen Demokratien auseinandersetzen.


Meine Damen und Herren,

Ist es mit Demokratie zu vereinbaren, wenn knapp zehn Prozent der Gesamtbevölkerung eines Landes wie Deutschlands, oder 30 bis 40 Prozent einer Kommune oder 15 bis 30 Prozent mancher Großstädter, wie Berlin, Hamburg, München, Köln oder Frankfurt, von jeglichen politischen Entscheidungen ausgeschlossen werden? Und nicht einmal über das kommunale Wahlrecht verfügen?

Ist es demokratisch, den niedergelassenen Menschen, die beispielsweise ihren Lebensmittelschwerpunkt in Deutschland haben, jegliche politische Beteiligungsrechte zu verwehren, weil sei die deutsche Staatsbürgerschaft nicht besitzen?

Ist es demokratisch, den Erwerb der Staatsbürgerschaft so zu erschweren, dass viele der Immigrierten, obwohl sie seit vielen Jahrzehnten, ja sogar in der zweiten oder dritten Generation in manchen der europäischen Staaten leben, die jeweilige Staatsbürgerschaft nicht erwerben können?

Ist es damit getan, sich in dieser wichtige Frage der Demokratie und der Repräsentativität damit zu entschuldigen, dass diese Millionen Migranten offiziell einfach keine Staatsbürger sind?


Meine Damen und Herren,

Es geht um die Behebung dieses Demokratiedefizits. Da ich als deutscher Abgeordneter hier spreche, beziehe ich mich zunächst auf die Lage in Deutschland. Ich weiß, dass diese Demokratiedefizite auch für manche andere Länder gelten.

Wir in den Westeuropäischen Staaten zeigen sehr oft mit dem erhobenen Finger auf andere Länder, erkennen aber aus Selbstgefälligkeitsgründen selten unsere eigenen Defizite.

Ich appelliere deshalb an uns alle, lassen sie uns gemeinsam einen Weg finden, um dieses Problem zu lösen. Nicht nur die neuen Demokratien, sondern auch die erfahrenen Demokratien brauchen manchmal einen Anstoß von außen, um ihren Handlungsbedarf zu erkennen.

Der Erwerb der Staatsbürgerschaft ist das am besten geeignete Mittel, die Identifikation mit den jeweiligen Gemeinwesen zu stärken und die Voraussetzungen für ein solidarisches Miteinander unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen deutlich zu verbessern.

Dies erfordert die volle rechtliche, politische und soziale Gleichstellung und Gleichbehandlung von Migranten und anderen kulturellen Minderheiten mit der einheimischen Bevölkerung. Diese Praxis ist in denjenigen Staaten Europas mit einer liberalen Einbürgerungspolitik und einem umfassenden Diskriminierungsschutz wie beispielsweise in Schweden schon eine längst vollzogene Realität geworden!

Auch eine andere Entwicklung bereitet mir große Sorgen. Nämlich die Gefahr, dass der zivilisatorische Beitrag Europas für Demokratie und Menschenrechte auf dem Spiel steht, wenn sich die Staaten Europas immer stärker von den Flüchtlingsströmen abschotten und wenn sich im Inneren der europäischen Gesellschaften Rassismus und Fremdenfeindlichkeit weiter ausbreiten.

Flüchtlinge besitzen dieselben elementaren Menschenrechte wie alle anderen Menschen auch, die ihnen somit nicht vorenthalten werden dürfen. Und selbstverständlich bedeutet dies auch, dass die Fluchtursachen vor Ort besser konkret bekämpft werden müssen. Hier kann und muss Europa im Rahmen von ziviler Entwicklungszusammenarbeit noch mehr leisten als bislang.

Und die Ächtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit bleibt eine Aufgabe für alle demokratischen Kräfte, gerade weil ansonsten der moralische Anspruch und die in der Aufklärung und im Humanismus verwurzelten zivilisatorischen Traditionen Europas Schaden nehmen würden.


Meine sehr geehrte Damen und Herren, ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!


Bericht „Die Lage der Menschenrechte und der Stand der Demokratie in Europa“ auf der Homepage des Europarates