Stellungnahme der Türkischen Gemeinde in Deutschland anlässlich der Anhörung der Kommission 'Zuwanderung' am 26./27. April 2001 in Berlin
Die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) befasst sich vornehmlich mit Fragen der Integration der Türkischen Bevölkerung in die deutsche Gesellschaft. Gerade deshalb sehen wir es als unsere Aufgabe an, der Unabhängigen Kommission ‚Zuwanderung‘ unserer Vorschläge insbesondere zu Integrationsfragen vorzulegen.
Wir begrüßen den nunmehr stattfindenden Paradigmenwechsel in der Politik, die allmählich die Realität ‚Bundesrepublik Deutschland als Einwanderungsland‘ anzuerkennen beginnt. In der Einsetzung der unabhängigen Zuwanderungskommission sehen wir einen wichtigen Beitrag. Es widerspricht jedoch den Grundprinzipien einer Demokratie, vor allem einer Basisdemokratie, die zukünftige Zuwanderungs- und Integrationspolitik weiterhin ohne Mitwirkung der Betroffenen selbst zu gestalten. Ein solches Politikverständnis ist für uns inakzeptabel und muss überdacht werden. Hierbei kann vor allem von den Niederlanden und Schweden viel gelernt werden.
Deutschland ist längst unumkehrbar ein Einwanderungsland und eine multikulturelle Gesellschaft geworden. Die Politik muss sich an dieser Realität orientieren.
Das Verständnis der Politik für und die Sichtweise gegenüber den Eingewanderten und ihren Familienmitgliedern sollte dabei auf neue Grundlagen gestellt werden:
• Die Eingewanderten und ihre Kinder und Enkel sind ein fester Bestandteil der deutschen Gesellschaft. Deutschland ist auch ihre Heimat. Diesen Menschen eine gleichberechtigte Aufnahme in die Gesellschaft zu ermöglichen, ist die Grundvoraussetzung der Integration und die primäre Aufgabe der Politik. Wären die diesbezüglichen Vorschläge des ersten Ausländerbeauftragten der Bundesregierung, Heinz Kühn, in seinem Memorandum von 1979 realisiert worden, wären wir heute in allen Bereichen der Integration substanziell weiter.
• Die in Deutschland niedergelassenen Einwanderer und ihre Familien sind weder Gäste noch Ausländer auch nicht ausländische Mitbürger. Es ist an der Zeit sie so zu benennen, wie es der Lebensrealität dieser Menschen entspricht: sie sind Deutschland-Türken, Deutschland-Italiener, Deutschland-Griechen, Deutschland-Spanier usw. Sie sind die neuen ‚kulturellen Minderheiten‘ Deutschlands. Kulturelle Minderheit sollte nunmehr als gängiger allgemeiner Oberbegriff für alle in Deutschland dauerhaft lebenden Menschen ohne deutsche Herkunft Anwendung finden.
I. Der weitaus größte Teil der Zuwanderung erfolgt auf der Basis der geltenden nationalen und internationalen Rechtslage Auch in Zukunft wird es Einwanderung in die Bundesrepublik geben. Ein Großteil der Einwanderungsbewegungen wird sich dabei nicht nur auf deutsches sondern auch auf internationales Recht berufen können:
• Der Familiennachzug zu Ehepartnern und Eltern beruht auf Artikel 6 GG und einer Vielzahl internationaler Konventionen
• Asylbewerber und politische Flüchtlinge berufen sich auf Artikel 16 a GG und die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK)
• Spätaussiedler auf Artikel 116 GG
• Staatsangehörige von EU-Mitgliedstaaten auf das Gemeinschaftsrecht. Hinzukommen wird aber auch eine
• Gezielte und quotierte Einwanderung entsprechend den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes und der demographischen Entwicklung. Die Befriedigung des Bedarfs der deutschen Wirtschaft an Menschen aus dem Ausland mit ganz spezifischen Qualifikationenist verständlich. Daher unterstützen auch wir die ‚Greencard-Aktion‘ der Bundesregierung.
Diese darf jedoch nicht zu Lasten von Flüchtlingen erfolgen, die auch weiterhin den durch das Grundgesetz garantierte Schutz in Deutschland benötigen. Hier teilen wir die Auffassung vom Bundespräsident Johannes Rau, dass Zuwanderung und Asyl voneinander völlig getrennt betrachtet werden sollten.
Der Nachzug von Ehegatten und Kindern ist ebenfalls grundgesetzlich geschützt und darf keinen weiteren Einschränkungen unterliegen.
Im Gegensatz zur landläufigen Meinung ist bereits heute die Einwanderung größtenteils geregelt und zwar sehr restriktiv und undurchschaubar. Im Interesse einer größeren Transparenz und damit auch Akzeptanz seitens der Bevölkerung sollte jedoch eine Steuerung und Neustrukturierung der Einwanderung vorgenommen werden.
II. Asylbewerber und politische Flüchtlinge
Dieser Themenkomplex liegt nicht primär im Aufgaben- und Kompetenzbereich der TGD. Dennoch wollen wir uns kurz und zusammengefasst hierzu äußern: Das Grundrecht auf Asyl und die Möglichkeit überhaupt nach Deutschland zu gelangen, darf nicht weiter eingeschränkt werden. Deutschland darf sich als eine der reichsten Nationen der Welt und wegen der eigenen Erfahrungen der Väter des Grundgesetzes nicht von humanitären Verpflichtungen verabschieden. Eine vertretbare Beschleunigung der Asylverfahren wäre jedoch im Interesse aller Beteiligten, hierbei dürfen aber die Rechtswege nicht eingeschränkt werden.
Den Asylbewerbern sollte die Erwerbsmöglichkeit und vor allem Kindern und Jugendlichen Möglichkeiten zur beruflichen Qualifizierung gestattet und ermöglicht werden. Die angestrebte europäische Harmonisierung muss auf hohem Niveau stattfinden. Die Verteilung der Personen und Kosten sollte auf alle EU-Mitgliedsstaaten gleichmäßig vorgenommen werden.
III. Die Integration kann ohne gleiche Rechte nicht gelingen
Der Rechtsstatus ‚Ausländer‘ ist eines demokratischen Rechtsstaats nicht würdig und für Menschen, die seit 20,30 oder 40 Jahren in Deutschland leben oder die sogar in Deutschland geboren wurden, integrationshemmend. Der Erwerb der Deutschen Staatsbürgerschaft spielt bei der Gleichstellung eine wichtige Rolle. Die Zuwanderungskommission sollte sich zu diesem Thema äußern, obwohl die ‚Reform‘ des Staatsangehörigkeitrechts gerade vollzogen worden ist.
Das neue Staatsangehörigkeitsrecht hat mit der Einführung des Territorialprinzip für in Deutschland geborene Kinder rückwirkend bis zum zehnten Lebensjahr einen ganz wichtigen Schritt getan. Für die ganz überwiegende Mehrheit von Angehörigen der kulturellen Minderheiten, vor allem für die Türken, wurden die Einbürgerungskriterien allerdings erschwert.
Die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts bedarf dringend einer Reform, wie die rückläufigen Einbürgerungszahlen beweisen.
• Ähnlich wie in vielen EU-Staaten muss auch Deutschland die Beibehaltung der bisherigen Staatsbürgerschaft tolerieren, damit der Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft auch von großen Teilen der kulturellen Minderheiten angenommen wird.
• Das neue Staatsangehörigkeitsgesetz verlangt beim Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft ‚ausreichende Deutschkenntnisse in Wort und Schrift‘. Dieses Kriterium kann von großen Teilen der ersten und auch noch der zweiten Einwanderergeneration nicht erfüllt werden. Daher sollte man sich wie im alten Gesetz darauf beschränken, dass man sich ‚in der deutsche Sprache mündlich verständigen‘ kann.
• Die Gebühren sollten wie im alten Gesetz für die Antragsteller wieder auf DM 100,– gesenkt werden.
IV. Bisherige Integrationspolitik
Die Feststellung von durchaus erheblichen Mängeln und Fehlentwicklungen in der Integration von Migranten/innen – z.B. Stagnation bei den Bildungsabschlüssen, hohe Arbeitslosigkeit, mangelnde Deutschkenntnisse – darf nicht die unübersehbaren Integrationserfolge überschatten. Die Eingewanderten und ihre Nachkommen sind in ihrer großen Mehrzahl Teil dieser Gesellschaft geworden.
Festzustellen ist allerdings, dass vor allem die bisherige Ausländerpolitik in Deutschland die Eingewanderten und ihre Nachkommen nicht als integralen Bestandteil der bundesdeutschen Gesellschaft betrachtet hat und ihre Anwesenheit vielfach in Frage stellte. Vor allem auch deshalb fühlen sich Teile der Eingewanderten und ihrer Nachkommen in der Bundesrepublik immer noch nicht heimisch.
Gegenseitige Vorwürfe und Schuldzuweisungen helfen nicht weiter; gefragt sind vielmehr konkrete Lösungsvorschläge. Es darf auch nicht übersehen werden, dass viele Probleme nicht aus der ethnischen Herkunft der Betroffenen resultieren, sondern aus ihrem sozialen Status. Viele sind mit den steigenden Ansprüchen einer modernen Wissensgesellschaft überfordert. Bei allen integrationspolitischen Vorschlägen sollte darauf geachtet werden, dass Migranten/innen sich nicht gegenüber der Mehrheit zurückgesetzt behandelt fühlen.
Unstrittig ist, dass das Erlernen der deutschen Sprache die Grundlage der Integration bildet. Diese Feststellung darf aber nicht dazu führen, dass die Ausübung von Grundrechten wie z.B. das Recht auf freie Wahl des Wohnortes, des Ehepartners und der Freizeitgestaltung in Frage gestellt werden. Unbestritten ist, dass Stadtteile mit ethnischer und sprachlicher Vielfalt zum Teil weniger Gelegenheit bieten, Deutsch als ‚Begegnungssprache‘ zu erfahren, daher müssen sie u.a. durch städtebauliche Maßnahmen für alle Bewohner/innen attraktiver gestaltet werden.
V Die Integration von Zuwanderern muss aktiv gefördert werden: Integrationskurse für Neuzugewanderte
Für die mangelhaften Deutschkenntnisse bei Teilen der ersten und zweiten Einwanderergeneration ist vor allem die perspektivlose Ausländerpolitik verantwortlich, die anders als bei Aussiedlern und im Gegensatz zu anderen Ländern keine Integrationsmaßnahmen und Deutschkurse für die angeworbenen Menschen vorsah. Menschen im Rentenalter oder nahe davor mit Sanktionen zum Erlernen des Deutschen zu zwingen, ist inakzeptabel und inhuman. Für die Zukunft sollte aus diesem Fehler allerdings gelernt werden.
Für eine erfolgreiche Eigliederung von Personen, die mit der Perspektive eines längerfristigen Aufenthalts in die Bundesrepublik einreisen (Familiennachzug, Asylberechtigte, Aussiedler), in die Gesellschaft, sollten durchaus Integrationsprogramme wie z.B. in den Niederlanden aufgelegt werden:
Integrationskurse für neu Zugewanderte sind ein wichtiges Integrationselement, diese dürfen allerdings nicht nur auf den Deutschkurs reduziert werden. Im Rahmen dieser Deutschkurse sollten auch Gesellschaftskunde sowie berufliche Orientierung angeboten werden.
Das Erlernen der deutschen Sprache und die Integration kann nicht durch Zwang erreicht werden. Wo Zwang ausgeübt wird, regt sich Widerstand, und zwar bei allen Menschen. Deshalb muss die Teilnahme an den Integrationskursen durch Anreize gefördert werden. Sanktionen wie z.B. aufenthaltsbeendende Maßnahmen wären nicht nur demotivierend, sondern auch rechtlich höchst bedenklich. Allerdings sollte eine verpflichtende Beratung und ein Einstufungstest vor der Teilnahme an den Integrationskursen eingeführt werden. Wer sich für einen Integrationskurs entscheidet, sollte darüber mit dem Träger einen Vertrag abschließen und bei unbegründeter nicht regelmäßiger Teilnahme für einen Teil der Ausfallkosten aufkommen.
Unsere Vorschläge hierfür wären:
• Es werden einjährige Integrationskurse (600 Stunden insgesamt) angeboten, die drei Stufen beinhalten
a) Deutschkurse: Für diesen Bereich müssen neue Curricula und Lehr- und Lernmaterialien (‚Deutsch als Umgangssprache‘) entwickelt werden. Die herkömmliche ‚Deutsch für Ausländer‘-Methodik ist für dieses Klientel nicht geeignet, da es in dem sprachlichen Teil nicht darum gehen kann, einen modalen Deutschunterricht anzubieten. Deutsch als Umgangssprache enthält keine Zielsetzungen, die der Neuankömmling innerhalb der festgesetzten Frist erzielen soll. Eine Zielsetzung ist deshalb nicht möglich, da zu Beginn starke Unterschiede bei der Sprachkompetenz zwischen den Neuankömmlingen bestehen. Angestrebt ist, dass mindestens so viel Deutschkenntnisse vermittelt werden sollen, wie erforderlich sind, um sich an allgemeinen Gesellschaftsaktivitäten beteiligen zu können oder auch die Teilnahme am Arbeitsmarkt oder weiterführendem Unterricht zu ermöglichen. Von den Kursteilnehmern wird verlangt, dass sie sich bemühen, dieses Niveau zu erreichen.
b) Gesellschaftliche Orientierung: Ziel der gesellschaftlichen Orientierung ist es, den Neuankömmling auf eine Partizipation am Leben in der bundesdeutschen Gesellschaft vorzubereiten, die sich oft stark von der im Herkunftsland unterscheidet: Vorschriften, Institutionen, Verfahrensweisen sind anders gestaltet; Umgangsformen erscheinen ungewohnt und Werte und Normen haben einen anderen Erfahrungshintergrund. Die Immigration ist jedoch ein unumgänglicher Anpassungsprozess, in dem Verhaltensnormen und Werte kontinuierlich überprüft und neu bewertet werden müssen. In einem pluralistischen Land ist es überdies besonders schwer zu entdecken, worin Norm und Abweichung in welcher Situation und bei welcher Bevölkerungsgruppe bestehen. Außerdem ist es für den Neuankömmling wichtig, zu wissen, was alles für sein Leben in Deutschland geregelt werden muss, bei welchen Institutionen ihm geholfen werden kann, an welche Prozeduren er sich dafür halten muss und welche Rechte und Pflichten er hat. Gesellschaftliche Orientierung heißt demnach zum einen Vermittlung konkreter Auskunft, die es dem Neuankömmling ermöglicht, seine Belange selbständig zu regeln und zum anderen Unterstützung beim Prozess der Neuorientierung, die ein Neuankömmling zwingend bewältigen muss. Das Maß, in dem sich der Neuankömmling am Ende des Kurses auf die Umgangsformen, Werte und Normen der deutschen Gesellschaft orientiert hat, wird nicht abschließend überprüft.
c) Berufliche Orientierung: Im Rahmen der beruflichen Orientierung sollten die heimatlichen Qualifikationen in größtmöglichem Umfang berücksichtigt werden. Anstelle von Sanktionen sind Anreize zu schaffen, die bei nicht ordnungsmäßiger Teilnahme entfallen.
Diese können sein: a. Sofortige Arbeits- und Gewerbeerlaubnis
b. Schnellere Aufenthaltsverfestigung
c. Schnellere Einbürgerung
VI. Mit einem Antidiskriminierungsgesetz Rassismus, Antisemitismus und Ausländerhass bekämpfen und Benachteiligungen der kulturellen Minderheiten schrittweise aufheben
Rassismus, Antisemitismus und Ausländerhass stellen keine Meinungsfreiheit dar:
• Parteien, Vereine und Medien, die offen oder mittelbar rassistische, antisemitische und ausländerfeindlichen Ideen verbreiten und somit für die rechtsradikale Gewalt den Boden bereiten, müssen mit aller Härte der Gesetze, wenn nötig durch neue Gesetze, verfolgt und gegebenenfalls verboten werden.
• Durch eine Änderung der Strafgesetze soll ein rassistischer, antisemitischer oder ausländerfeindlicher Hintergrund bei Gewalttaten strafverschärfend wirken. Die von der EU beschlossene Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29.Juni 2000 zur ‚Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft‘ muss konsequent und ohne Ausschöpfung der Dreijahresfrist in innerstaatliches Recht umgesetzt werden.
• Eine ganze Reihe von Gesetzen in verschiedenen Bereichen sehen ungleiche Behandlung von Migranten und ihren Familienangehörigen, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, gegenüber deutschen Staatsbürgern vor. Diese gesetzlichen Diskriminierungen müssen aufgehoben werden.
• Behörden, Firmen, Dienstleistungsbetriebe, Wohnungsgesellschaften, Sportvereine etc., die Menschen wegen anderer Herkunft, Nationalität, Religion oder Hautfarbe diskriminieren, müssen mit strafrechtlichen Folgen rechnen, ähnlich wie dies in den Niederlanden, Großbritannien, den USA und Kanada der Fall ist.
• Den kulturellen Minderheiten sollte zivilrechtlicher Schutz vor Diskriminierung zugesichert werden, indem man ihnen einen Anspruch auf Schadensersatz aufgrund materieller und immaterieller Diskriminierung einräumt, wie in den Niederlanden, in Großbritannien, den USA und Kanada.
Einführung gesetzlicher und sonstiger Maßnahmen, um die kulturellen Minderheiten solange besonders zu berücksichtigen und zu fördern (ähnlich wie bei der Frauenförderung!), bis die Ungleichheiten behoben sind.
• Staatliche Subventionen und Aufträge an private Unternehmen sollten an die Bedingung gebunden sein, dass diese Firmen die Beschäftigung von Angehörigen kultureller Minderheiten besonders fördern, wie in den Niederlanden, in Großbritannien und den USA.
• Gesetzlich gewährte Förderung der benachteiligten kulturellen Minderheiten im Schul- und Ausbildungsbereich mit dem Ziel, Chancengleichheit herzustellen, wie in Großbritannien und den Niederlanden.
• Errichtung von unabhängigen Beschwerdestellen als Anwalt der Betroffenen zur Abwehr und Beseitigung von Diskriminierungen in Gemeinden und Städten sowie Einführung der Verbandsklage, wie in den Niederlanden, in Großbritannien, den USA, Schweden und Kanada.
• Bei Beschwerden über Diskriminierung aufgrund kultureller Herkunft ist die Beweislast umzukehren.
VII. Die kulturelle Vielfalt ist die Zukunft und eine Bereicherung für Deutschland
In Deutschland leben rund 7,4 Mio. Menschen nichtdeutscher Herkunft (knapp 9 % der Gesamtbevölkerung) aus unterschiedlichen Kulturen mit der deutschen Bevölkerung zusammen. Der Anteil dieser kulturellen Minderheiten nimmt stetig zu und wird auch weiterhin steigen. Diese Menschen bilden eine Brücke zwischen ihren Herkunftsländer und Deutschland. In einer Zeit der Globalisierung ist diese Ressource ein für den ‚global player‘ Deutschland unverzichtbarer Standortvorteil. Diese Menschen machen Deutschland in bezug auf Sprache, Musik, Literatur, Kunst, Sport, Religion, auf unterschiedliche Lebensweise und nicht zuletzt in der Gastronomie bunter, reicher und attraktiver. Dieser Reichtum verdient gefördert zu werden: • Kindergärten, Schulen, Hochschulen sind die besten Orte dieser lebendigen und dynamischen kulturellen Vielfalt. Diese Orte können mit einem seit Jahren von Wissenschaftlern geforderten ‚interkulturellen Ansatz‘ im Erziehungs- und Bildungsbereich für alle Kinder zu Laboratorien der sprachlichen Vielfalt, des gegenseitigen Verstehens und Lernens, der Toleranz, der Dialogfähigkeit, der Verständigung und des Abbaus von Vorurteilen gemacht werden. Die Förderung dieses interkulturellen Ansatzes ist das beste Bollwerk gegen rechtsradikale und neonazistische Ideen und damit gegen die von der rechten Szene ausgehende Gewalt. • Das Erlernen der Muttersprache ist als Reichtum und als eine berufliche Chance für die Zukunft der Kinder zu verstehen und sollte gezielt gefördert werden. • Schulbücher und Materialien über Geschichte sowie Geographie müssen gemäß dem Ansatz der interkulturellen Erziehung gründlich überarbeitet werden. • Die Erzieherinnen, Lehrer, Sozialpädagogen und Professoren müssten durch Fort- und Weiterbildung befähigt werden, diesem interkulturellen Ansatz und der neuen Schulrealität gerecht zu werden.
VIII. Neue Strukturen zur Gestaltung der Einwanderung und Integration – Mitbestimmung und finanzielle Förderung der kulturellen Minderheiten
Einwanderung darf nicht wie bisher als eine Sicherheits- und Wohlfahrstaufgabe betrachtet werden. Daher muss sie aus dem Bereich der Innenministerien abgekoppelt werden. Eine neue Einwanderungs- und Integrationspolitik bedarf neuer Strukturen. Sowohl auf Bundes-, als auch auf Landesebene sowie in den Kommunen muss dies als Querschnittsaufgabe erkannt und die Zuständigkeiten gebündelt werden. Auf Bundesebene wie in den Ländern ist ein Ministerium für Einwanderung und Integration wünschenswert, zumindest sollte aber eine Behörde errichtet werden, die mit Staatssekretärsrang und Querschnittskompetenzen ausgestattet ist.
Nach bestimmten Kriterien ausgewählte Migrantenorganisationen sollten als Vertreter der jeweiligen Bevölkerungsgruppen anerkannt, mit Kompetenzen und Mitentscheidungsmöglichkeiten in den zu schaffenden Einrichtungen ‚für Einwanderung und Integration‘ vertreten sein und institutionell gefördert werden. Nur so wird ein stetiger Dialog und die Einbeziehung der kulturellen Minderheiten in die sie direkt betreffenden Aufgabenbereiche gewährleistet sein. Ihnen sollten auch bestimmte integrationspolitische Aufgaben übertragen werden. Auf allen Ebenen sollten Gremien geschaffen werden, an denen die Migrantenorganisationen gleichberechtigt beteiligt werden.
Diese Gremien sollten mit weitreichenden Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechten ausgestattet werden. Hierbei stellen vor allem die Niederlande und Schweden mit ihren diesbezüglichen Erfahrungen positive Beispiele dar.
Integration ist nicht zum Nulltarif zu haben. Vorhandene Mittel müssen ausgeweitet gegebenenfalls auch gebündelt und nur im Kontext von Integrationsprogrammen weiter- bzw. ausgegeben werden.