Jahresrückblick

Auch 2003 blieben die Migranten auf der Strecke: Reformen gehen meist auch zu Lasten der Einwanderer Zuwanderungs- und Antidiskriminierungsgesetz bleiben aus Dem Iranischen Volk möchten wir unsre tief empfundene Anteil-nahme aussprechen. Zugleich bitten wir alle, das große Leid der Erdbebenopfer mit Spenden lindern zu helfen!

In der öffentlichen Meinung werden die zu guter Letzt doch noch beschlossenen Refor-men überwiegend positiv bewertet. Das Jahr 2003 könnte gar als ‚Jahr der Reformen‘ in Erinnerung bleiben, wenn nicht diese Neuerungen mehrheitlich die sozial schwächeren Bevölkerungsteile in der Gesellschaft belasteten. Hierzu zählen vor allem auch die Migranten.

Gerade die Migranten sind es, die von der Arbeitslosigkeit doppelt so stark wie ihre deut-schen Nachbarn und Kollegen betroffen sind. Die Kritik mancher als ‚Abweichler‘ titu-lierten Abgeordneten der Regierungskoalition an der ‚Agenda 2010‘ ist aus Sicht großer Teile der Migrantenbevölkerung berechtigt. Insgesamt sind die neuen Gesetze sozial unausgewogen und ungerecht. Die Verteilung der Lasten verstärkt die ohnehin krassen Unterschiede bei den Einkommensgruppen statt für Ausgleich zu sorgen. Entsprechend wird die Kluft zwischen den unteren und oberen Einkommensgruppen in der Gesellschaft weiter zunehmen.

Der Sozialstaat, auf den wir alle als ein Markenzeichen der Bundesrepublik Deutschland stolz waren und sein möchten, dessen verfassungsmäßiges Ziel es ist, für mehr sozialen Ausgleich, soziale Sicherung und soziale Gerechtigkeit durch das staatliche Handeln zu sorgen, erlitt gerade durch diejenigen Parteien, die bislang zu dessen wichtigsten Vertei-digern zählten, einen gravierenden Bruch. Wir haben die Befürchtung, dass diese Art der ‚Sanierungspolitik‘ des Sozialstaates in Konkurrenz mit den Oppositionsparteien zu Lasten der Schwächern weitergehen wird.

Diese politische Philosophie und Zielrichtung lehnen wir entschieden ab. Trotz aller Be-teuerungen haben wir große Zweifel daran, ob hierdurch die Massenarbeitslosigkeit spürbar verringert werden kann. Wir benötigen vielmehr global-politische Konzepte als Antwort gegen die weltweite Expansion der Wirtschaft, welche die Niedriglöhne in ande-ren Staaten stets als Druckmittel gegen den Sozialstaat einsetzt.

Wo bleiben Zuwanderungs- und Antidiskriminierungsgesetz?

Die Konsensfindung zwischen Regierung und Opposition blieb beim Zuwanderungsge-setz aus. Die Unionsparteien wollen ein Gesetz nur dann den Bundesrat passieren las-sen, wenn es ausschließlich ihren politischen Stempel trägt. Auf solch ein Gesetz kann aus der Sicht der Einwandererbevölkerung gänzlich verzichtet werden.

Nach der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaft vom 29. Juni 2000 muss-ten die Mitgliedsstaaten bis spätestens Ende Juni 2003 ein Antidiskriminierungsgesetz verabschieden. Die meisten EU-Staaten haben bereits seit vielen Jahren solche Geset-ze, die die Gleichbehandlung der Einwanderer gesetzlich garantieren. Auch in diesem Jahr bleib dieses Gesetz, welches seit Jahren zu unseren Hauptforderungen gehört, in Deutschland unrealisiert.

Für das Jahr 2004 müsste nunmehr die Umsetzung eines Antidiskriminierungsgesetzes zu den dringendsten Aufgaben der Bundesregierung gehören.

Die politische Integration der Migranten fördern

Im nächsten Jahr werden in einigen Bundesländern Landtagswahlen stattfinden. Wir for-dern alle politischen Parteien auf, bei den anstehenden Wahlen mehr Kandidatinnen und Kandidaten mit Migrationshintergrund in ihre Wahllisten aufzunehmen. Nur so kann zur Partizipation und politischen Integration der Einwandererbevölkerung in die deutsche Gesellschaft beigetragen werden.

Nach wie vor gehört es zu den primären Aufgaben von Politik und Parteien, weitere Schritte zur erleichterten Einbürgerung vorzunehmen. Es ist für einen demokratischen Rechtsstaat nicht zu vereinbaren, wenn mehr als 7 Millionen Dauerbewohner dieses Landes vom Wahlrecht ausgeschlossen bleiben, obwohl sie alle Pflichten eines Staats-bürgers erfüllen und die meisten von ihnen seit Jahrzehnten in Deutschland leben.

Eine klare EU-Perspektive für die Türkei dient auch der Integration der Deutschlandtürken!

Ende nächsten Jahres wir die EU entscheiden, ob die Türkei eine klare EU-Perspektive und einen Termin für den Beginn der Beitrittsverhandlungen erhält. Die 2,6 Millionen Deutschlandtürken erwarten von der Bundesregierung, ihre bisherige Politik für eine solche klare Entscheidung unbeirrt fortzusetzen. Eine klare EU-Perspektive für die Türkei wird ganz entscheidend auch zur Integration der in den EU-Staaten lebenden 3,5 Millionen Türken beitragen. Zugleich fordern wir die Unionsparteien und die FDP auf, ihre bisher ablehnende Haltung gegenüber einem EU-Beitritt gründlich zu überdenken, denn die Ablehnung des Antrags käme einer Ausgrenzung und Ableh-nung der Deutschlandtürken gleich. Eine solche Ausgrenzungspolitik kann von den Deutschlandtürken nicht hingenommen werden.

Prof. Dr. Hakkı Keskin