Historische Hintergrundinformationen und Begründung meiner Position in der Kontroverse um die Armenierfrage im Osmanischen Reich.
Historischer Entstehungskontext und Verlauf des armenisch-türkischen Konflikts
Das Osmanische Reich war Zeit seines Bestehens ein Vielvölkerstaat. Die tolerante Haltung gegenüber christlichen, jüdischen und anderen Minderheiten und vielen Dutzenden Ethnien mit eigener Sprache und Kultur wird dem Osmanischen Staat von renommierten internationalen Historikern bescheinigt und über Generationen anhaltende praktische Lebenserfahrung belegt. Nur so ist es zu verstehen, dass Griechen, Bulgaren, Rumänen, Serben, Albaner, Araber, Armenier, Juden, Kurden und viele andere Minderheiten ihre jeweilige Religion, Sprache und Kultur unter osmanischer Herrschaft über Jahrhunderte erhalten und festigen konnten. Dies ist gemessen an der damaligen Zeit durchaus beispielhaft. Mehr noch: die Osmanen haben sogar verfolgten Minderheiten aus anderen Ländern Schutz und Zuflucht gewährt. Das bekannteste Beispiel stellen die vor über 500 Jahren wegen ihres eigenen Glaubensbekenntnisses verfolgten rund 120.000 spanischen Juden dar, die im Osmanischen Reich eine neue Heimat fanden.
Die Ursachen des armenisch-türkischen Konflikts lagen nicht in der sozioökonomischen Stellung der Armenier, die sich durch ihre beachtlichen wirtschaftlichen Erfolge im Handwerk und Handel hohe Anerkennung unter den Türken erworben hatten. Die Probleme begannen vielmehr in der allgemeinen Niedergangsphase des spätosmanischen Imperiums, als sich unter den verschiedenen Völkern der Nationalismus rasant ausbreitete. Im Fall der osmanischen Armenier waren auch ausländische Interessen im Spiel. Großbritannien und Russland instrumentalisierten den radikalen Nationalismus eines Teils der armenischen Minderheit zu einer generellen ‚Armenierfrage‘, um ihre eigenen imperialistischen Interessen durchzusetzen und das Osmanische Staatswesen von innen heraus zu schwächen. Bereits vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs kam es zu periodischen Armenieraufständen, die maßgeblich von Russland finanziell und mit illegalen Waffenlieferungen unterstützt wurden.
Die Bestrebungen von politisch radikalisierten, armenischen Nationalisten waren auf die Abspaltung vom Osmanischen Reich und die Schaffung eines ‚Großarmeniens‘ unter russischer Schutzherrschaft gerichtet, das wegen der historisch bedingten Bevölkerungsmischung neben den osmanischen Armeniern auch beträchtliche Anteile von nichtarmenischen Bevölkerungsgruppen (vor allem Türken und Kurden) umfasst hätte. Die entstehende jungtürkische Nationalbewegung verfolgte dagegen die innere Stabilisierung des osmanischen Staatsverbandes und die Erhaltung des ohnehin schon deutlich reduzierten territorialen Besitzstands.
Das Osmanische Reich geriet daher in eine akute Zusammenbruchskrise, als es während des Ersten Weltkriegs an der Seite der Mittelmächte (Deutschland, Österreich-Ungarn) gleichzeitig an drei Fronten kämpfen musste und in Ostanatolien erneut lokale Armenierunruhen ausbrachen. Die Entdeckung umfangreicher, illegaler Waffenlager von armenischen Milizen weckte auf Seiten des osmanischen Staatsapparats die Befürchtung vor einem unmittelbar bevorstehenden, allgemeinen Armenieraufstand, der dem kämpfenden osmanischen Heer in die Flanke zu fallen drohte, wodurch der vorrückende russische Gegner unter Umständen die kriegsentscheidende Möglichkeit erhalten hätte, den Frontdurchbruch zu erzielen.
Hinzu kam, dass zahlreiche armenische Aufständische zur russischen Armee übergelaufen waren und in dieser sogar eigene Freiwilligenbataillone aufstellten, wohl auch deshalb, damit sich Russland im Fall eines siegreichen Kriegsausgangs seinen getroffenen Zusagen für einen ‚unabhängigen‘ armenischen Staat nicht wieder entzog.
Hierbei handelt es sich keineswegs um die türkische Version einer ‚Dolchstoßlegende‘, sondern die damaligen bürgerkriegsähnlichen Zustände werden übereinstimmend durch völlig unterschiedliche Quellen als höchst real beschrieben und bisweilen selbst von armenischen Vertretern eingeräumt:
‚Man brauchte Provokation und Terror, um die Stimmung des Volkes zu reizen. […] Der Zeitpunkt, zu dem die Türkei in den Krieg verwickelt war, wurde als beste Gelegenheit betrachtet, um einen allgemeinen Aufstand zur Verwirklichung des ‚unmittelbaren Zieles‘ [der Schaffung eines eigenen armenischen Staates] anzustiften.‘ (Nalbandian, L., Armenian Revolutionary Movement, University of ‚California Press, 1963, S. 110 f.).
Vor diesem konkreten Hintergrund verhängte der damalige osmanische Innenminister Talat Pascha seinen folgenschweren Deportationserlass für die armenische Bevölkerung Ostanatoliens, die aus den interventionsgefährdeten Siedlungsgebieten zurückgenommen und ins Landesinnere, nach dem heutigen Syrien, das damals zum Osmanischen Reich gehörte, umgesiedelt werden sollte.
Zwischen der armenischen und der türkischen Historiographie ist bis heute hochgradig umstritten, ob die angeordnete Zwangsumsiedlung Ausdruck eines langfristigen Plans zur Vernichtung des gesamten armenischen Volkes gewesen sein soll, für den die Kriegsumstände nur den geeigneten Anlass boten oder ob die Umsiedlung als eine zeitlich befristete Strafmaßnahme gedacht war, die aufgrund schlechter Organisation einer großen Anzahl von Armeniern das Leben kostete?
Während die armenische Seite eine solche vorbestimmte Vernichtungsabsicht für erwiesen ansieht, schließt dies die türkische Geschichtswissenschaft in ihrer überwältigenden Mehrheit vehement aus und verweist hierbei auf die Tatsache, dass die Zwangsumsiedlung unverzüglich vollstreckt wurde, so dass ihr folglich insbesondere die administrative Planung fehlte, die als Beleg für einen langfristigen Vernichtungswillen dienen könnte. Hinzu kommt, dass die außerhalb Ostanatoliens, vor allem in den Großstädten Istanbul und Izmir lebende armenische Bevölkerung von staatlicher Verfolgung und Vertreibung verschont blieb, sofern sie nicht zuvor an bewaffneten Aktionen beteiligt gewesen war.
Dass bei der Deportation dennoch unzählige Armenier den Tod fanden und schweres menschliches Leid ertragen mussten, wird von der türkischen Seite nicht bestritten. Es ist nicht auszuschließen, dass die Größenordnung der Zahl umgekommener Armenier in der Tat bis zu einer Million betrug. Diese enormen Menschenverluste führt die türkische Seite jedoch ursächlich auf die kriegsbedingten, anarchischen Zustände zurück, die zur Folge hatten, dass die staatliche Bürokratie mit einer menschlich halbwegs erträglichen Durchführung der Sanktionsmaßnahme völlig überfordert war. Ein Transportsystem existierte nicht oder war völlig veraltet, der Großteil der Flüchtlinge war daher zu Fuß unterwegs. Viele Armenier gingen hierbei an Entkräftung und Epidemien zugrunde.
Es ist ebenfalls unbestritten, dass sich türkische Offiziere an armenischen Flüchtlingen bereichert und vergriffen haben. Wo aber derartige Vorfälle den Vorgesetzten zur Kenntnis kamen, wurden sofort drakonische Strafen verhängt. So ließ beispielsweise der Oberbefehlshaber der türkischen Ostarmee, Wahit Pascha, zwei Offiziere aus diesen Gründen standrechtlich erschießen. Zudem wurden die Flüchtlingstrecks häufig von regionalen, marodierenden Banden angegriffen, die sowohl die Flüchtlinge als auch die militärischen Begleitmannschaften massakrierten.
Türkische Historiker werten all diese Fakten als klares Indiz dafür, dass die osmanische Bürokratie nicht Herr der realen Umstände war, unter denen sich die Deportation der ostanatolischen Armenier vollzog. Infolgedessen wird mehrheitlich die Position vertreten, dass hinter der Deportation keine völkermordtypische, vorsätzliche Vernichtungsabsicht der jungtürkischen Regierung stand, sondern die Umsiedlungsmaßnahme primär aus militärstrategischen Überlegungen erfolgte, um den Ausbruch eines offenen Bürgerkrieges zu verhindern.
Diese höchst unterschiedliche Beurteilung des Konfliktgeschehens betrifft aber nicht nur die hinter den politischen Handlungen liegenden Motive, sondern führt vor allem in der Frage der Täter-Opfer-Dimension zu einer verhärteten Frontenbildung, die bis zum heutigen Tag anhält. Die armenische Geschichtsschreibung vertritt zur Bestätigung ihrer Sichtweise eines Völkermordes offensiv die Singularisierung armenischen Leids, wonach die Jungtürken völlig grundlos über die wehrlose armenische Bevölkerung hergefallen seien, um diese endgültig auszurotten. Neben der erwähnten Ausblendung der aufstandsbedingten Gründe für den Deportationserlass wird von der armenischen Seite heftigst bestritten, dass im Rahmen der bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen auch Hunderttausende Muslime ihr Leben verloren haben. Verschiedene seriöse Quellen belegen die muslimischen Opfer eindeutig.
Da sich angesichts des Kriegszustands alle waffenfähigen Muslime beim türkischen Heer befanden, kam es schon vor der Deportation zu Massakrierungen der muslimischen Zivilbevölkerung vorwiegend in denjenigen Gebieten, in denen armenische Aufständische mit dem Ziel wüteten, inmitten des Krieges einen allgemeinen armenischen Volksaufstand anzuzetteln. In den anschließend von Russland zeitweilig eroberten ostanatolischen Gebieten wurden Muslime von freiwillig im russischen Heer dienenden armenischen Söldnern und sympathisierenden Banden regelrecht niedergemetzelt, wohl auch aus Rache für die erfolgte Deportation der armenischen Bevölkerung. Hierbei wurden Grausamkeiten begangen, von denen der deutsche Generalleutnant von Schellendorf als Augenzeuge berichtete, dass diese schlimmer gewesen wären als die den Türken später zur Last gelegten Armeniergräuel (Vgl. Ein Zeugnis für Talat Pascha, in: Deutsche Allgemeine Zeitung, Nr. 342, 24.07.1921). Die Schilderungen Schellendorfs werden durch sowjetische Quellen, durch Komminternbeschlüsse sowie durch die Schreiben des Botschafters der Sowjetunion in Ankara 1920 ähnlich bewertet (Vgl. Perincek, D., Die Armenische Frage von der Geschichte bis zur Gegenwart – Analysen -Belege – Beschlüsse, Istanbul, 2001, S.13-71).
Solche auf höchst subjektiven Wahrnehmungen beruhenden Schilderungen sind letztlich aber nicht in der Lage, historische Forschung zu ersetzen, zumal die armenische Seite mit ähnlichen Erlebnisberichten aufwarten kann und wird, die das genaue Gegenteil bezeugen. Es ist allerdings ein historisches Faktum, dass nach konservativen Schätzungen zwischen 100 000 und 600 000 Muslime (vorrangig Türken und Kurden) umkamen. Die Zahl der armenischen Opfer dürfte jedoch tendenziell deutlich höher ausfallen, weil die Armenier in den meisten ostanatolischen Provinzen die Bevölkerungsmehrheit stellten.
Angesichts der gravierenden Menschenverluste beider Seiten gehen türkische Historiker von einer zunehmenden Radikalisierung in einer wechselseitigen Gewaltspirale aus, die in der Gesamtbeurteilung des Konfliktverlaufs berücksichtigt werden muss. Hierdurch geriete aber die armenische Geschichtsversion eines von Türken begangenen ‚Völkermordes‘ ins Wanken, wenn ausgerechnet dasjenige Volk, dem im Rahmen dieses Verbrechens die eindeutige Täterrolle zugewiesen wird, plötzlich eigene, massive Opferzahlen zu beklagen hat.
Die bislang obligatorische Ablehnung ergebnisoffener, wissenschaftlicher Forschung zu diesem Thema insbesondere durch die Diasporaarmenier könnte somit dem Wunsch entspringen, die eigene Deutungshoheit über die historischen Ereignisse zu behalten und zu diesem Zweck die Durchsetzung der eigenen, ideologisch dogmatisierten Sichtweise politisch voranzutreiben.
Hierbei steht jedoch völlig außer Frage, dass die über Generationen weitergegebene jeweilige Sichtweise längst in die kollektive Identitätsbildung eingeflossen ist und das heutige nationale Geschichtsbild beider Seiten bestimmt. Die Motivation der armenischen Seite, ihr subjektiv als richtig empfundenes Geschichtsbild verteidigen zu wollen, ist vor diesem Hintergrund zwar verständlich, jedoch wird solange keine Aussöhnung zwischen beiden Völkern gelingen, wie hierfür von der türkischen Seite die Selbstaufgabe der gleichermaßen subjektiv für richtig befundenen Sichtweise verlangt wird. Dies gilt natürlich auch spiegelbildlich für die türkische Position.
Aus diesem Grund bildet weitere wissenschaftliche Forschung den einzigen Weg, um auf der Grundlage einer möglichst authentischen Rekonstruktion des Konfliktgeschehens zu einer objektiveren Bewertung zu finden, welche die Voraussetzung schaffen könnte, dass beide Seiten diesen traurigen Abschnitt in ihrer letztlich gemeinsamen Geschichte endlich aufarbeiten.
Die Türkei hat auf offizieller Regierungsebene im Jahr 2005 Armenien den Vorschlag unterbreitet, eine Historikerkommission unter UN-Leitung einzusetzen und damit ihrem Wunsch nach Versöhnung zum Ausdruck gebracht.
III. Zur Armenienresolution des Deutschen Bundestags
Infolge der intensiven Kampagnen zahlreicher Diasporaarmenierverbände haben in den letzten Jahren verschiedene europäische Staaten Resolutionen verabschiedet, die inhaltlich überwiegend der armenischen ‚Völkermordthese‘ folgen. Auch der Deutsche Bundestag hat im Jahr 2005 eine Resolution (BT-Drucksache 15/5689) verabschiedet, die zwar nicht in allen Details, jedoch weitestgehend die armenische Geschichtsversion übernimmt.
Die Bundestagsresolution folgt inhaltlich dem beschriebenen ideologischen Dogma eines organisierten Vernichtungsfeldzuges der Jungtürken gegen die wehrlose armenische Minderheit. Erwartungsgemäß wird hierbei ausgeblendet, dass der Deportation schwere Massaker armenischer Milizen an muslimischen Zivilisten vorausgingen. Die muslimischen Opfer finden demzufolge an keiner Stelle der Resolution Erwähnung. Hinzu kommt, dass in den letzten Jahren nach der längst überfälligen Novellierung des türkischen Strafgesetzbuches in der Türkei eine breite gesellschaftliche Debatte über die historischen Ereignisse schon längst stattfindet. In diesem Zusammenhang wurden sogar Massengräber mit dem Ziel exhumiert, die Identität der Toten zu ermitteln, was für ein Land mit einer überwiegend islamischen Bevölkerung alles andere als eine Normalität darstellt. In diesem Punkt ist die verabschiedete Bundestagsresolution also bereits von der Realität überholt worden.
Neben den genannten kritikwürdigen Aspekten enthält die Resolution aber auch einige positive Punkte. Beispielsweise wird mein eigener Vorschlag aus dem Jahr 2001 zur Einsetzung einer triparitätisch zusammengesetzten Historikerkommission aufgegriffen und die diesbezügliche Initiative der türkischen Regierung auch gewürdigt. Hinzu kommt, dass die Armeniervertreibungen vom Bundestag interessanterweise nicht als Völkermord bezeichnet werden, sondern es wird stattdessen erklärt, dass ‚[z]ahlreiche unabhängige Historiker, Parlamente und internationale Organisationen […] die Vertreibung und Vernichtung der Armenier als Völkermord [bezeichnen würden]‘ (BT-Drucksache 15/5689, S. 3 f.). Dies ist mitnichten dasselbe, als wenn der Bundestag die Armeniervertreibungen selbst als staatlich organisierten Völkermord verurteilt hätte.
Die vom Bundestag praktizierte Zurückhaltung verdeutlicht vielmehr, dass sich das oberste deutsche Parlament offenbar bewusst gewesen ist, dass für eine solch bindende Festlegung doch noch weitere wissenschaftliche Forschung benötigt wird. Vor diesem Hintergrund sehe ich meine eigene, differenzierte Position durch die Bundestagsresolution gedeckt, zumal die türkische Geschichtswissenschaft ohnehin die zahlreichen armenischen Opfer nicht bezweifelt (wenngleich unterschiedliche Auffassungen zur konkreten Höhe der Opferzahl existieren).
Deshalb sind die heftigen Attacken der deutschen Armenierlobby auf meine Forderung nach weiterer wissenschaftlicher Aufarbeitung des Konfliktgeschehens, für die ich stets als Völkermordleugner diffamiert werde, mit aller Entschiedenheit zurückzuweisen. Es sollte schließlich keinen Unterschied ergeben, ob ein und dieselbe Forderung von einem gebürtigen oder einem türkeistämmigen Deutschen vertreten wird.
IV. Der Relativierung des Holocaust keine Chance geben!
Zu den wirklichen Unerträglichkeiten, die im Kontext der politischen Kontroverse von armenischer Seite regelmäßig vorgebracht werden, gehört die Behauptung, dass derjenige, der am Völkermord an den Armenier zweifle, auch den Holocaust leugnen würde. Der an der US-Universität Princeton lehrende, anerkannte britische Historiker und Islamwissenschaftler Bernhard Lewis hat schon im Jahr 1994 darauf hingewiesen, dass nichts falscher sein könnte als eine derartige Gleichsetzung, die seiner Meinung nach völlig ahistorisch ist. Zu seinen diesbezüglichen Gründen zählen im Einzelnen:
1. Es gab keinerlei Dämonisierung der Armenier im Osmanischen Reich, die vergleichbar mit dem Antisemitismus gewesen wäre, der damals in Europa grassierte.
2. Die Deportation der Armenier, obzwar von großem Ausmaß, erfasste nicht die gesamte armenische Bevölkerung und erstreckte sich nicht auf die beiden Großstädte Istanbul und Izmir.
3. Die Aktionen des jungtürkischen Staates entstanden nicht aus dem Nichts, sondern ihnen lag die konkrete Abwehr von gewaltsamen politischen Untergrundaktivitäten armenischer Ultranationalisten zugrunde.
4. Deportationen aus kriminellen, strategischen oder anderen Gründen stellen historisch keine türkeispezifische Erscheinung dar.
5. Die osmanischen Deportationen zielten nicht ausschließlich auf die Armenier. Beispielsweise überlebte ein Großteil der muslimischen Bevölkerung der Stadt Van, die aus Angst vor der russischen Bedrohung evakuiert wurde, diese ‚freundschaftliche‘ Deportation ebenfalls nicht, was den realen Kriegsbedingungen geschuldet war.
6. Es existiert bislang kein zuverlässiger Beweis für eine Entscheidung und einen Plan der osmanischen Regierung, die darauf abzielten, das armenische Volk auszulöschen. Diesbezügliche türkische Dokumente beweisen nach Lewis Einschätzung zwar den klaren Willen zur Deportation, nicht jedoch zur Vernichtung! (Vgl. Bernhard Lewis in ‚Le Monde‘ v. 1. Januar 1994).
Diese wissenschaftlich fundierten Argumente widerlegen m. E. die diesbezüglichen armenischen Gleichsetzungen gänzlich.
Es existiert schlichtweg keine historische Parallele zum planmäßigen, fabrikmäßig organisierten Massenmord der Nationalsozialisten am europäischen Judentum. Auschwitz steht eben nicht für ein Beispiel unter vielen anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sondern für ein einzigartiges Verbrechen in der Menschheitsgeschichte. Die Singularität des Holocaust ist daher für mich als Demokraten nicht verhandelbar!
Vor diesem Hintergrund sind die engen, freundschaftlichen Arbeitsbeziehungen armenischer Diasporaverbände zu deutschen Vertriebenenorganisationen in der Tat äußerst beunruhigend. Und es ist wohl auch kein Zufall gewesen, dass die Armenienresolution des Bundestags von der CDU/CSU-Fraktion eingebracht wurde. Die deutschen Vertriebenenverbände haben über sechzig Jahre nach Kriegsende oftmals immer noch ein Problem damit, den vorangegangenen, barbarischen Eroberungs- und Vernichtungskrieg Nazideutschlands als Ursache für das eigene, schwere Schicksal als Vertriebene zu akzeptieren und die hieraus erwachsene historische Verpflichtung zu übernehmen. Entsprechende Verweise auf vermeintlich ähnliche Verbrechen anderer Völker, in diesem Fall der Türken gegen die Armenier, dienen zu nichts anderem als der eigenen Schuldentlastung und zur Bagatellisierung des Holocaust, ähnlich wie dies Neonazis nur deutlich unverhüllter propagieren.
Aus wissenschaftlicher Sicht ist dringend anzumahnen, dass die notwendige Trennschärfe von Völkermorden zu anderen Massenverbrechen erhalten bleibt. Denn anderenfalls müssten die Ausrottung der indigenen Urbevölkerungen Amerikas durch verschiedene europäische Staaten, die Verbrechen der Roten Khmer in Kambodscha, der blutige Kolonialkrieg Frankreichs in Algerien und diverse andere schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen ebenfalls in die Kategorie von Völkermorden fallen. Dies bedeutet ausdrücklich keine Geringschätzung oder gar Leugnung des unermesslichen Leids, dass allen Opfern dieser Ereignisse angetan wurde. Eine Gleichsetzung mit dem Schicksal des europäischen Judentums während der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft verbietet sich jedoch auf das Schärfste, da Auschwitz zu Recht als Zivilisationsbruch bezeichnet wird