Vor genau dreißig Jahren, am Weihnachtsabend 1994, kam ich als junger Abiturient nach Hamburg. Ich wollte hier Politikwissenschaften mit dem Ziel studieren, später als Politiker oder Wissenschaftler tätig zu sein, dachte dabei aber an die Türkei. Jetzt übe ich beide Berufe gleichzeitig, jedoch in Deutschland aus.
Vor genau dreißig Jahren, am Weihnachtsabend 1994, kam ich als junger Abiturient nach Hamburg. Ich wollte hier Politikwissenschaften mit dem Ziel studieren, später als Politiker oder Wissenschaftler tätig zu sein, dachte dabei aber an die Türkei. Jetzt übe ich beide Berufe gleichzeitig, jedoch in Deutschland aus.
Dreißig meiner aktivsten und bewußtesten Lebensjahre verbrachte ich in Hamburg, Berlin und wieder in Hamburg; dazwischen lagen rund dreißig Monate politischer Arbeit in der Türkei. In Hamburg und Berlin, für mich die schönsten und anziehendsten Städte Deutschlands, fühle ich mich richtig zu Hause und wohl. Berlin und Hamburg sind auch jeweils die Geburtsorte meiner beiden Töchter. Mit vielen hundert Menschen, Deutschen, Türken aber auch Angehörigen anderer Nationalitäten, habe ich bereits als Student poli-tisch gestritten, gearbeitet und auch sehr enge Bekanntschaften und Freundschaften geschlossen. Nicht selten stelle ich mir trotzdem die Frage, inwieweit ich eigentlich ohne Unterschied zu den Deutschen in diese Gesellschaft aufgenommen worden bin.
Es gehört möglicherweise zur Biographie eines großen Teils der Immigranten, daß sie zwischen ihrem Herkunftsland und dem Einwanderungsland, zwischen der alten und der neuen Heimat, zwischen der Kultur des Herkunftslandes, in der sie aufwuchsen, und der neuen Kultur des Einwanderungslandes, in und mit der sie leben, keinen endgültigen Trennungsstrich ziehen können oder wollen. An meiner eigenen Entwicklung habe ich erfahren, daß auch die zwanzig Jahre meines Lebens in der Türkei untrennbar zur Bio-graphie meines Lebens gehören. Annerkennungs- oder Akzeptanzprobleme habe ich hier in Deutschland zwar nicht gehabt, kann aber trotzdem das Gefühl nicht loswerden, als habe diese Gesellschaft und ihre Politik Schwierigkeiten damit, mich vorurteilsfrei als ihr zugehörig anzuerkennen. Dies hat sicherlich mit einem Politikverständnis zu tun, das nach wie vor den mehr als sieben Millionen nach Deutschland eingewanderten Men-schen ein gleichberechtigtes Zusammenleben verwehrt. Die deutsche Gesellschaft muß sich auf allen Ebenen weit mehr als bisher diesen Menschen, potentiellen Staatsbürgern, öffnen und sie als ihren festen Bestandteil begreifen und akzeptieren. Ihre Loyalität kann nur in dem Maße erwartet werden, wie ihre Zugehörigkeit zu Deutschland rechtlich, poli-tisch und praktisch erreicht ist.
Die Weltstadt Hamburg sollte bei diesem Prozeß eine beispielgebende Vorreiterrolle spielen. Die kulturelle Vielfalt und die damit verbundene Toleranz gegenüber ‚anders Seienden‘, ist nach wie vor das beste Aushängeschild einer Metropole. Sie sollte von ihren Politikern aber besonders von ihren Bewohnern als etwas Kostbares begriffen, ge-pflegt und gegen Angriffe verteidigt werden.