zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts
Grundelemente dieses Gesetzentwurfes sind:
1. Ergänzung des Abstammungsprinzips (ius sangui-nis) um das Prinzip des Geburtsortes (ius soli) im ‚Reichs- und Staatsangehöigkeitsgesetz‘ vom 22.7. 1913.
Zwar wurde in den Artikeln 85, 86 und 87 des Aus-ländergesetzes vom 9. Juli 1990 das Abstam-mungsprinzip gelockert, das Reichs- und Staatsan-gehörigkeitsgesetz blieb jedoch in dieser Hinsicht unverändert.
Nach diesem Gesetzentwurf werden diejenigen Ausländer, die in Deutschland geboren worden sind und von denen zumindest ein Elternteil einen ver-festigten Aufenthaltsstatus besitzt, automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben.
Nicht also die zufällige Geburt eines Kindes, wie z.B. in den USA, ermöglicht den Erwerb der deut-schen Staatsbürgerschaft. Dieser ist nur möglich, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.
2. Ausländer, die seit 8 Jahren rechtmäßig in Deutschland leben und bestimmte Voraussetzun-gen erfüllen, erhalten einen Rechtsanspruch auf den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft.
- Sie dürfen keine schwere Straftat begangen haben und
- sie sollen ihren Lebensunterhalt und ihre Bei-träge zur Krankenversicherung aus eigener Erwerbstätigkeit oder sonstigen Mitteln be-streiten.
Hierbei bleiben wir auf der Linie der Art. 85-87 des Ausländergesetzes. Die Aufenthaltsfrist wird jedoch auch für Erwachsene von derzeit 15 auf 8 Jahre reduziert.
Wer jedoch ohne eigenes Verschulden Arbeitslo-sen- oder Sozialhilfe bezieht, soll die deutsche Staatsbürgerschaft beanspruchen können.
- In Belgien, Finnland, Frankreich, Großbritan-nien, den Niederlanden oder Schweden rei-chen lediglich 5 Jahre für den Erwerb der dor-tigen Staatsbürgerschaft aus.
3 Auch nach 5-jährigem rechtmäßigem Aufenthalt kann die Einbürgerung unter den genannten Kriterien beantragt werden. Hierbei besteht jedoch kein Rechtsanspruch auf Einbürgerung. Da-her eine ‚Kann-Bestimmung‘.
4. Grundlegend neu ist in diesem Entwurf die allge-meine Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft. Die geltende erzwungene Aufgabe der bisherigen Staatsbürgerschaft, d.h. eine der Voraussetzungen der Einbürgerung, nämlich sich von seinem Her-kunftsstaat ausbürgern zu lassen, entfällt.
Außer in Deutschland, Österreich und Luxemburg wird in keinem anderen westeuropäischen Staat zur Voraussetzung gemacht, daß der Einbürgerungs-willige sich zuerst ausbürgern lassen muß.
Es ist zwar richtig, daß viele Staaten es vorziehen, der Antragsteller solle nach Möglichkeit nur die neue Staatsbürgerschaft besitzen, dies wird jedoch nicht zur Voraussetzung der Einbürgerung wie in Deutschland gemacht.
Die erzwungene Aufgabe der bisherigen Staatsbür-gerschaft bei den Ermessenseinbürgerungen stellt das größte Hindernis bei dem Erwerb der deut-schen Staatsbürgerschaft dar, wie dies eine von Reihe Befragungen belegen. Aus diesem Grunde haben wir in Deutschland im Vergleich zu fast allen Nachbarländern die niedrigsten Einbürgerungsquo-ten.
Die Einbürgerungsquote hat sich zwar in den letz-ten Jahren erfreulicherweise mehr als verdoppelt, liegt jedoch bei Ermessenseinbürgerungen noch immer lediglich bei einem Prozent der ausländi-schen Bevölkerung.
In den Jahren 1980-1995 hatten wir insgesamt rund 335.000 Ermessenseinbürgerungen. Wenn wir auch in Zukunft jährlich den gleichen Prozentsatz an Einbürgerungen hätten, bräuchten wir 313 Jah-re, bis alle der über 7 Mio. Nichtdeutschen einge-bürgert worden sind. Selbst bei Berücksichtigung einer Steigerungsrate bei den Ermessenseinbürge-rungen wären weit mehr als 100 Jahre erforderlich.
Zu Recht unterstrich Altbundespräsident Richard von Weizsäcker, daß viele politische Probleme auf diese engen Grenzen bei der Einbürgerung, auf ei-ne wörtlich ‚geradezu grotesk wirkende Angst vor doppelten Staatsbürgerschaften‘ und das ‚völkisch verengte Abstammungsrecht‘ zurückzuführen sei-en. (FR., 6.3. 1995).
Bereits heute wird die Zahl der Doppelstaatler in Deutschland bei den Anspruchseinbürgerungen auf weit über zwei Mio. geschätzt. Das sind:
- Aussiedler,
- Kinder aus binationalen Ehen und
- Menschen, die von ihrem Herkunftsstaat nicht ausgebürgert worden sind.
Die Doppelstaatler haben weder in Deutschland noch in vielen anderen Ländern ernstzunehmende oder gar unüberwindbare Probleme bereitet.
Wir sind der festen Überzeugung, daß Doppelstaat-ler durchaus als eine Bereicherung, eine Art menschlicher Brücke zwischen Deutschland und ih-rem Herkunftsland angesehen werden könnten.
5. Der Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft ist die Grundvoraussetzung für die von uns allen ge-wollte Integration der hier dauerhaft lebenden Ein-wanderer in die deutsche Gesellschaft. Ohne recht-liche, politische und soziale Gleichstellung, und dies ist nur durch die Einbürgerung möglich, ma-chen wir noch viele Jahrzehnte selbst die hier in Deutschland geborenen Menschen zu Ausländern und sondern sie von der deutschen Gesellschaft ab.
Bereits heute sehen wir die negativen Auswirkun-gen dieser Politik auf junge Menschen, die auf die-se Abschottungspolitik mit Ethnisierung, Ghettobil-dung und Flucht in die fundamentalistisch-nationalistischen Gruppen reagieren.
Eine zukunftsorientierte Integrationpolitik muß da-her vor allem im Interesse der dauerhaften Siche-rung des sozialen Friedens eine grundlegende Re-form des Einbürgerungsrechts nunmehr ohne Zeit-verlust realisieren.
Die rechtliche Gleichstellung der in Deutschland dauerhaft lebenden Menschen ist auch ein Gebot der westlichen Demokratie, da wir sonst auf Dauer nicht ganz zu Unrecht mit dem Vorwurf einer A-partheitspolitik konfrontiert sein würden.
Eine Akzeptanz seitens der deutschen Bevölkerung ist auch bei diesem Reformentwurf durchaus gege-ben, wie manche Befragungen zeigen. Jetzt sind die Politikerinnen und Politiker in der Verantwor-tung, diesen gesellschaftlich sehr wichtigen Schritt zu tun.
6. Dieser Gesetzentwurf basiert im wesentlichen auf dem Entwurf der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Ausländer vom Februar 1993.
Der erste Beauftragte der Bundesregierung für Auslän-derfragen, Ministerpräsident a.D. Heinz Kühn, kam in seinem Memorandum ‚Stand und Weiterentwicklung der Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien in der Bundesrepublik Deutschland‘ bereits im September 1979 zu folgendem Ergebnis:
‚In Anbetracht der bisherigen negativen Entwicklung kann nur noch eine konsequente Integrationspolitik grö-ßeren individuellen und gesellschaftlichen Schaden ver-hindern. Im Ergebnis schließt dies die volle rechtliche und tatsächliche Gleichstellung des integrationsbereiten Teiles der Betroffenen ein, da eine ganze Bevölkerungs-gruppe auf Dauer nicht in einem Sonderstatus belassen werden kann.‘