Die vorliegende Darstellung von Herrn Scheuerer unter dem Titel 'Herr Keskin (SPD) und Herr Kramer (CDU) auf Konfliktkurs - Anmerkungen zu einem Gene-ralangriff gegen die Deutsch-Ausländischen Begegnungsstätten' ist unsach-lich, polemisch und provokativ.
Bevor ich auf diese Darstellung eingehe, möchte ich den Leser in die Lage verset-zen, sich ein eigenes Urteil über meine Position in dieser Frage zu bilden. Dazu gebe ich meine am 12. September 1996 in der Sitzung der Bürgerschaft gehaltene Rede zum Antrag 15/5964, die auch Herr Scheuerer zitiert, hier im Wortlaut wieder:
‚Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lieber Herr Kramer, ich freue mich aufrichtig, daß Ihre Partei sich nun auch mehr Gedanken zur Ver-besserung der sozialen Integration der eingewanderten Bevölkerung Hamburgs macht.
Es wäre falsch, über die sogenannten Ausländer nur dann zu sprechen, wenn Konflikte, Spannungen und negative Ereignisse auf der Tagesordnung stehen. Viel mehr sollten wir über die Integration der Einwanderungsbevölkerung in die deutsche Gesellschaft als eine noch zu lösende Aufgabe der Politik diskutieren.
Ich bin auch der Meinung, daß wir über dieses sensible Thema gemeinsam partei- und fraktionsübergreifend nachdenken und die notwendigen Schritte unternehmen sollten. Parteipolitische Polemik ist der Sache sicherlich nicht dienlich.
In Berlin wird der Förderung und Unterstützung der Selbsthilfeorganisationen der Einwanderer seit Jahren große Bedeutung beigemessen. Es war und ist auch die politische Orientierung, die eigenständigen Aktivitäten der Nationalitäten-Selbsthilfevereine, die primär durch eigene ehrenamtliche Arbeit getragen werden, zu unterstützen.
Deshalb finanziert Berlin die notwendigsten Stellen, Mietkosten und Sachmittel der Selbsthilfevereine der Einwanderer. Die Philosophie dieser Politik ist sehr plausibel: Die geleistete finanzielle Förderung ermöglicht die kontinuierliche Arbeit von vielen ehrenamtlichen Mitgliedern und multipliziert somit die Gesamtarbeit.
Ein Beispiel: Die Selbsthilfeorganisation ‚Türkischer Elternverein in Berlin e.V.‘ wird mit rund 250.000 DM im Jahr unterstützt. Dutzende ehrenamtliche Mitglieder helfen bei der Vereinsarbeit und versuchen, mit Mitgliedsbeiträgen und Spenden auch zur Finanzierung der Gesamttätigkeit des Vereins beizutragen.
Dieser Verein leistet eine von vielen anerkannte Arbeit. Diese Arbeit würde für die Stadt ein Mehrfaches an Kosten entstehen lassen.
Durch eine selbstbestimmte, unbürokratische, bürgernahe Arbeit wird vielen Eltern und Schülern am Ort den Erfordernissen entsprechend geholfen. Die Eltern fühlen sich mit ihren Anliegen, Nöten und Fragen im eigenen Kulturkreis mit ähnlichen Erfahrungen besser aufgehoben.
Diese Vereine sind auch als Orte der Begegnung, des Informationsaustausches und der Kommunikation in der eigenen Muttersprache von sehr großer Bedeu-tung. Nicht zuletzt artikulieren sich die Nationalitäten-Selbsthilfevereine als Inte-ressenvertretung ihrer Mitglieder gegenüber Behörden, Politik und Öffentlichkeit.
Wo sonst könnten diese Menschen, die keine politischen Rechte haben, über ihre besonderen Schwierigkeiten und Anliegen intensiv beraten und gemeinsame For-derungen formulieren, die dann in die Parteien, Gewerkschaften und die Öffent-lichkeit hineingetragen werden. Es gibt auch viele Mitglieder, die in deutschen Parteien und Gewerkschaften mitarbeiten. Somit leisten diese Vereine einen be-achtlichen Beitrag für die soziale Integration der Einwandererbevölkerung in die deutsche Gesellschaft.
In einer Zeit der finanziellen Engpässe ist es sicherlich ratsam zu sehen, wo uns wie die knappen Mittel effektiver und sinnvoller verwendet werden können. Die Deutsch-ausländischen Begegnungsstätten, welche im Vergleich zu den Nationalitätenvereinen mehr als 92% der Finanzmittel erhalten, können diese kurz erläuterte Arbeit leider nicht leisten.
Zugleich möchte ich unterstreichen, daß ich die Arbeit beispielsweise der ‚Bürger-initiative Ausländische Arbeitnehmer e.V.‘ in der Rudolfstraße in Wilhelmsburg sehr schätze und für unverzichtbar halte. Ob dies für alle Begegnungsstätten gilt, müßte geprüft werden.
Deshalb wollen wir den vorliegenden Antrag an den Sozialausschuß überweisen und eingehend beraten.
Lassen Sie mich zum Schluß noch eins bemerken. Eine zukunftsorientierte Integ-rationspolitik muß, wie Sie, lieber Herr Kramer, sicherlich wissen, neben dieser sozialen Integration auf drei Säulen fußen:
1. Der rechtlichen, politischen und sozialen Gleichstellung aller hier dauerhaft le-bender Menschen. Deshalb brauchen wir eine radikal erleichterte Einbürge-rungspolitik, und das bedeutet die Hinnahme einer doppelten Staatsbürger-schaft.
2. Der Gleichbehandlung aller Menschen in Deutschland ohne Diskriminierung, in Würde und Sicherheit. Deshalb brauchen wir ein umfassendes Antidiskriminie-rungsgesetz.
3. Einer interkulturellen Erziehung und Bildung an den Schulen und Hochschulen, um voneinander zu lernen, nicht nebeneinander sondern miteinander zu leben. Um zu lernen, tolerant, offen, vorurteilsfrei, dialogfähig und -willig zu sein. Und nicht zuletzt, um die Unterschiede und das ‚Anderssein‘ nicht als Bedrohung sondern als Bereicherung zu empfinden.
Wie schön wäre es, Herr Kramer, wenn Ihre Partei bei der Realisierung dieser Forderungen mithelfen würde.‘
Die Bürgerschaft und der Unterausschuß ‚Ausländerpolitik‘ haben sich mit diesem Thema wegen eines Antrags der CDU befaßt.
In den vergangenen Jahren wird immer häufiger auch über Parteigrenzen hinweg hinterfragt, inwieweit die ‚Deutsch-ausländischen Begegnungsstätten‘ der ihnen ursprünglich zugedachten Rolle, nämlich ein Ort der Begegnung und der Kommuni-kation zwischen der deutschen und der ausländischen Bevölkerung zu sein, gerecht werden. Zweck dieser Einrichtungen war es, am Begegnungsort, also in den Stadtteilen, nicht nur ein Nebeneinander sondern ein Miteinander der Deutschen und Nichtdeutschen ermöglichen zu helfen. Selbstverständlich sollte den ratsuchenden und hilfsbedürftigen Menschen im Stadtteil auch durch konkrete Einzelfallberatung geholfen werden, Heute wird kaum bestritten, daß dieser eigentlich Zweck der Be-gegnungsstätten, nämlich ein Ort der Begegnung und des Dialogs zum besseren Verständnis zwischen Deutschen und Nichtdeutschen in den Stadtteilen zu sein, lei-der nicht realisiert werden konnte. Ein Teil der Begegnungsstätten entfaltet zwar wei-terhin Aktivitäten, die geeignet sind, derartige Begegnungen herbeizuführen, andere jedoch haben in dieser Hinsicht längst resigniert. Viele Begegnungsstätten erfüllen allerdings aufgrund ihrer Beratungsarbeit, der Sprach- und anderer Kursangebote eine wichtige und dankenswerte Aufgabe. Daß dies allerdings nicht für alle Begeg-nungsstätten gilt, ist allgemein bekannt.
Wie aus meiner Rede erkennbar geworden sein dürfte, kann in ihr von einem Gene-ralangriff auf die ‚Deutsch-ausländischen Begegnungsstätten‘ keine Rede sein. Im Gegenteil, deren Arbeit wird sehr differenziert bewertet. Auch von einem gemeinsa-men Vorgehen zwischen CDU und SPD oder zwischen Herrn Kramer und mir kann nicht die Rede sein.
Bei allem Ringen um den besseren Weg, um mehr Effektivität in der Ausländerpolitik sollte jedoch nicht die Frage nach der künftigen Orientierung dieser Politik vergessen werden.
Die Deutsch-ausländischen Begegnungsstätten sind reine ‚Hamburgensien‘. In den anderen Bundesländern werden deren Aufgaben von sogenannten ‚Selbsthilfevereinen‘ der Einwanderer wahrgenommen. Wir haben es also mit zwei ganz unter-schiedlichen Modellen zu tun. In Berlin, um bei diesem Beispiel zu bleiben, existieren keine Begegnungsstätten. Die Selbsthilfevereine der Einwanderer erfüllen mit meist großem Erfolg alle Aufgaben, die in Hamburg zum Wirkungsbereich der Begeg-nungsstätten gehören. Darüber hinaus jedoch werden in den Selbsthilfevereinen di-verse Aufgaben geleistet, die ganz spezifisch auf die jeweilige Ethnie, auf die Belan-ge der Einwanderer zugeschnitten sind. Die Einwanderer benötigen eigene vereine, die deren ethnischen und kulturellen Besonderheiten Rechnung tragen. Nur unter derartigen Bedingungen können sie die sie betreffenden Probleme intensiv beraten und Lösungsansätze formulieren, wie beispielsweise Strategien zur Durchsetzung der doppelten Staatsbürgerschaft, das Erlernen der Muttersprache auch auf deut-schen Schulen oder auch um Aktivitäten zur Verhinderung der aktuellen Visum- und Aufenthaltserlaubnispflicht für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren. Besonders deutlich wird dies, wenn es um die Beseitigung der Probleme mit dem jeweiligen Herkunftsland geht, von denen eben auch nur Einwanderer aus einem bestimmten Staat betroffen sind.
Vor allem aber sind die Einwanderervereine als Interessenvertretung für die rechtli-che und politische Gleichstellung bzw. Gleichbehandlung aller Einwanderer unver-zichtbar. Da Einwanderer aus Staaten, die nicht der EU angehören, über keinerlei politische Rechte verfügen, sind es allein die von ihnen selbst gegründeten Vereine, die eine auf demokratischem Wege erworbene Legitimation vorweisen können und somit berechtigt sind, als Interessenvertreter der Einwanderer gegenüber der Öffent-lichkeit, den Parteien und Regierungen auftreten können.
Der Senat der Stadt Berlin unterstützt mit ca. 7,6 Mio. DM allein die Arbeit von 42 türkischen Vereinen in der Stadt, die die mehr als 140.000 türkischen Staatsbürger vertreten. Im Hamburger Modell werden dagegen primär die ‚Deutsch-Ausländischen Begegnungsstätten‘ finanziert. Sie erhielten 1996 rd. 4,5 Mio. DM. In Hamburg leben ca. 270.000 Nichtdeutsche. Die 30 Einwanderer-Selbsthilfevereine erhielten 1995 insgesamt lediglich DM 350.000, das sind 7,2% der finanziellen Mittel im Ausländerbereich.
Stets, wenn die Einwanderervereine Forderungen nach weitergehender Unterstüt-zung ihrer Arbeit stellen, wird auf die knappen Finanzmittel der Stadt verwiesen. Wenn dem aber so ist und sich die Prioritäten nicht zugunsten einer Förderung der Integration der Einwanderer verschieben lassen, dann müssen eben die Gewichte innerhalb des Förderungskatalogs verschoben werden. Zur Zeit jedenfalls erhalten die Deutsch-ausländischen Begegnungsstätten 92,8% der Mittel, die Einwanderer-vereine teilen sich die verbleibenden 7,2%.
Trotz dieses krassen Mißverhältnisses gab es bis zu besagter Bürgerschaftssitzung am 12. September 1996 keinerlei Forderungen seitens der türkischen Vereine zur Veränderung dieses Förderungsmodells bei der Ausländerpolitik. Eine Anhebung der Fördermittel für den Ausländerbereich wird sich, so notwendig und begrüßenswert dies auch wäre, leider auf absehbare Zeit nicht durchsetzen lassen. Um so unver-ständlicher mutet es an, wenn man erfährt, daß Vertreter der Begegnungsstätten im Koordinierungsausschuß, der auch über die Vergabe der Mittel berät, versucht ha-ben, selbst die einzige Planstelle der Einwanderervereine in Frage zu stellen und dadurch das ohnehin deutliche Mißverhältnis weiterhin zu Ungunsten der Einwande-rervereine zu verschieben. In den Protokollen von besagtem Koordinierungsauss-chuß kann man nachlesen, daß dort bereits 1994 gefragt wurde, warum ein Einwan-dererverein, in diesem Fall das ‚Bündnis Türkischer Einwanderer Hamburg e.V.‘ (TGB) überhaupt eine Planstelle habe und ob dies überhaupt angebracht und ge-rechtfertigt wäre.
Das TGB ist nach der Ermordung des jungen Türken Ramazan Avcý am Weih-nachtsabend 1985 als ein Zusammenschluß zahlreicher türkischer Vereine entstan-den. Heute ist es eine bundes- und sogar europaweit wirkende Einrichtung gewor-den, die sowohl von Politikern und Behördenvertretern als auch von den Medien als kompetenter Gesprächspartner geschätzt wird, wenn es um Fragen der Ausländer-politik geht. Das TGB kämpft als Interessenvertretung der Hamburger Türken für die rechtliche Gleichstellung der Einwanderer und gegen Rassismus, Antisemitismus und Türkenfeindlichkeit. Zugleich leistet es mit seinen vielfältigen Aktivitäten und de-nen seiner Mitgliedsvereine einen nicht unerheblichen Beitrag bei der Integration von Einwanderern und deren Kindern und Kindeskindern in die deutsche Gesellschaft.
Es war die Anerkennung dieser Arbeit, die dazu führte, daß die Hamburgische Bür-gerschaft 1993 beschloß, dem TGB eine Planstelle zuzubilligen. Dies geschah nicht zuletzt auch deshalb, weil man sich durch diese eine Kontinuität in der Arbeit des TGB versprach und sich als weiteren Effekt auch der ehrenamtlichen Mitarbeit Dut-zender Vorstandsmitglieder beim TGB und seinen Mitgliedsvereinen versichern woll-te. Ich kann heute mit Befriedigung feststellen, daß diese Überlegungen inzwischen von der Wirklichkeit mehr als bestätigt wurden.
Die Diskussion über die Schwerpunkte bei der Finanzierung von Projekten im Rah-men der Ausländerpolitik wurde, wie gesagt, bereits 1994 seitens der Begegnungs-stätten eröffnet, nicht von Vertretern des TGB oder von mir. Jetzt sollte über die ge-samte Ausländerpolitik in Hamburg und deren Finanzierung gesprochen werden, und zwar ohne Polemik und böswillige Unterstellungen. Gerade auch im Interesse der Deutsch-ausländischen Begegnungsstätten, von denen gute Arbeit geleistet wird, ist eine sachliche Diskussion über alle Fragen angezeigt.
Bedauerlicherweise werden jedoch die Selbsthilfevereine der Einwanderer von eini-gen Vertretern der Begegnungsstätten lediglich als lästige Konkurrenten bei der Ver-teilung der Mittel angesehen. Unberücksichtigt bleibt dabei deren unerläßliches En-gagement beim Eintreten für ihre Forderungen, die letztlich allen sogenannten Aus-ländern zu Gute kommen.
Es ist schon bemerkenswert, daß im Beitrag Scheuerers von alledem nicht die Rede ist, obwohl er darüber bestens informiert ist. Ein derartiges Verhalten läßt sich treff-lich durch das türkische Sprichwort ‚hem suçlu, hem güçlü‘ ausdrücken: Einerseits schuldig, andererseits frech!