Türkische Gemeinde in Deutschland gibt Wahlempfehlung

Die Türkische Gemeinde in Deutschland ist eine parteipolitisch unabhängige und pluralisti-sche Interessenvertretung der Deutschlandtürken. Sie tritt entschieden für die rechtliche, soziale, politische und kulturelle Gleichstellung und Gleichbehandlung der türkischen wie der übrigen Einwandererbevölkerung in Deutschland ein und begreift Deutschland als neue Heimat. Die TGD will zu einem friedlich-solidarischen Zusammenleben aller Menschen in Deutschland beitragen und somit aktiv den Integrationsprozess vorantreiben.

Viele unserer mehr als 200 Mitgliedsvereine, in denen einige Zehntausend Mitglieder organi-siert sind, aber auch die türkische Medien fragen uns nach unserer Wahlempfehlung anläss-lich der Bundestagswahl am 22. September dieses Jahres. Daher haben wir die im Bundes-tag vertretenen Parteien gebeten, sieben für die Einwandererbevölkerung wichtige Fragen zu beantworten.

Leider haben nur vier Parteien dieser Bitte entsprochen, weder von CDU noch CSU erhielten wir eine Antwort Auf telefonische Nachfrage erklärte das Büro von Frau Merkel zwar, man werde die Fragen beantworten, wisse aber nicht, ob dies bis zum 17.9. noch möglich sei. Bis zum 18.9. jedenfalls war diesbezüglich nichts eingegangen.

Aber manchmal ist keine Antwort ja auch eine Antwort.

Im Folgenden geben wir die Antworten der Parteien in gekürzter Form wieder, damit sich jeder selbst ein Bild machen kann. Unsere Fragen sind kursiv gedruckt.

Fragen und Antworten

1. Die seit über einem Jahrzehnt anhaltende hohe Arbeitslosigkeit belastet gerade auch die Migranten. Mit welchen konkreten Maßnahmen will Ihrer Partei gegen dieses Problem kon-sequent vorgehen? SPD – Verzahnung von Arbeits- und Sozialämtern, um Langzeitarbeitslose wie-der in den Arbeitsmarkt zu integrieren- Bundesanstalt für Arbeit zu einem modernen Dienstleister machen – Vorschläge der Hartz-Kommission umsetzen – Mittelstand durch Steuerreform entlasten – Deutschland zu einem attraktiven Standort für Entwicklung und Anwen-dung von Zukunftstechnologie machen

B 90 – Lehrpersonal in interkultureller Kompetenz aus- und fortbilden- berufliche Ausbildung fördern – Beratung für Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen – gleichrangiger Zugang der Einwanderer zum Arbeitsmarkt wie für EU-Bürger

FDP – Lockerung des Kündigungsschutzes zur Erleichterung von Neueinstellun-gen- Beschränkung des Arbeitslosengeldes auf 12 Monate, um einen Anreiz zur Arbeitsaufnahme zu schaffen – Neuorganisation und Privatisierung der Arbeitsvermittlung – stärkere Förderung des Wettbewerbs zwischen privaten und staatlichen Arbeitsvermittlern – die großflächige Vernichtung von Arbeitsplätzen und sozialen Chancen durch starre, betriebsferne Flächentarife muss gestoppt werden – Steuersenkung auf nur drei Sätze (15%, 25%, 35%) – Öffnungsklausel im Betriebsverfassungsgesetz, damit Betriebe bei Zu-stimmung der Geschäftsleitung und der Mehrheit der Mitarbeiter rechts-verbindlich alternative Mitbestimmungsmodelle vereinbaren können

PDS – Umverteilung der gegenwärtigen Erwerbsarbeit. Kürzung der Arbeitszeit und Abbau der 1,9 Mrd. Überstunden pro Jahr- Schaffung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors (ÖBS) – Sozialversicherungspflicht für jede bezahlte Arbeitsstunde – Hausarbeit, Kindererziehung und Pflegearbeit sind sozialrechtlich der Er-werbsarbeit gleichzustellen – Rechtsansprüche auf tarif- und arbeitsrechtlich abgesicherte Arbeitsför-dermaßnahmen für alle Erwerbslosen. Individuelle Arbeitsberatung und -vermittlung bei Beachtung von Beruf bzw. Qualifikation. Vom Arbeitsamt geförderte Qualifizierung und Beschäftigung sollen in einen ÖBS münden – zukunftsträchtige Berufsbilder und eine qualifizierte Berufsausbildung. Betriebe sind zu verpflichten, Ausbildungsplätze eute anzubieten – bessere Finanzausstattung der Kommunen zur Schaffung von Arbeits-plätzen – Investitions- und Förderprogramme für kleine und mittlere Unternehmen. – öffentliches Zukunftsinvestitionsprogramm als Anstoß zum ökologischen Umbau. 2. Seit rund 20 Jahren nehmen die Belastungen, vor allem durch eine sozial un-gerechte Steuer- und Abgabenpolitik, stetig zu. Dadurch entsteht eine zuneh-mende Kluft zwischen den oberen und unteren Einkommensgruppen. Zu dieser zweiten Gruppe gehört in hohem Maße die Migrantenbevölkerung. Diese Entwicklung ist nicht nur sozial ungerecht , sie gefährdet auf Sicht auch den sozialen Frieden. Was sind die konkreten Pläne ihrer Partei, etwas dagegen zu unternehmen?

SPD – keine Antwort B 90 – Steuerreform wird fortgeführt- Ökosteuer wird weiterentwickelt FDP – niedrigere Steuersätze und damit eine geringere Belastung für alle PDS – Einführung einer progressiven Körperschaftsteuertarif von 15 bis 35 zur Entlastung kleiner und mittlerer Unternehmen bei stärkerer Belastung der großen- Mindestbesteuerung großer Konzerne – Erhöhung des steuerfreien Existenzminimums – ermäßigter Mehrwertsteuersatz für arbeitsintensive Dienstleistungen so-wie für den öffentlichen Verkehr – Beseitigung der Steuerbefreiung für Veräußerungs- und Spekulationage-winne

3. Rund 7,3 Millionen Migranten, darunter mehr als 2 Millionen Türken, haben im-mer noch einen Ausländerstatus, obwohl sie zum größten Teil seit Jahrzehnten in Deutschland leben. Dieser Zustand ist auf Dauer mit dem Gebot eines demokra-tischen Rechtsstaates nicht zu vereinbaren. Das neue Staatsangehörigkeitsrecht hat zwar mit der Einführung des Territorialprinzip für die hier geborenen Kinder auch nichtdeutscher Eltern dieses Problem gelöst, nicht jedoch für die erste und zweite Einwanderergeneration. Wir sind nach wie vor der festen Überzeugung, dass dieses Problem nur behoben werden kann, wenn die Beibehaltung der bis-herigen Staatsbürgerschaft zumindest für diesen Personenkreis toleriert wird. Wie will Ihre Partei die Frage des Erwerbs der deutschen Staatsbürgerschaft, der bei der Integration dieser Menschen einer zentrale Bedeutung zukommt, lösen?

SPD – Wir haben bereits ein modernes Staatsangehörigkeitsgesetz geschaffen- Überprüfung der Möglichkeit, durch eine Grundgesetzänderung (Anpas-sung von Art. 28 Abs. 1 Satz 3 GG), das kommunale Wahlrecht auch für Nicht-EU-Bürger einzuführen

B 90 – Erweiterung der Möglichkeit, die deutsche Staatsbürgerschaft unter Beibehaltung der alten Staatsbürgerschaft zu erwerben- Einführung des Doppelpasses zumindest für die erste Einwanderergene-ration FDP – sieht keinen Bedarf für eine Änderung des neuen Staatsangehörigkeits-rechts

PDS – Deutschland soll das Europäische Übereinkommen des Europarats über die Staatsangehörigkeit vom 1.3.2000 unterzeichnen und ratifizieren. Dieses sieht vor:

  • alle in den Vertragsstaaten geborenen Kinder erhalten automatisch die Staatsbürgerschaft des Geburtslandes unter Beibehaltung ihrer beste-henden Staatsbürgerschaft ‚ohne Optionsmodell‘ (Art. 14).
  • alle Staatsangehörigen der Vertragsstaaten genießen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit in jedem Vertragsstaat gleiche Rechte und Pflichten
  • Im Gegensatz zu vielen anderen Staaten in der EU hat Deutschland immer noch kein spezielles Gesetz, welches jegliche Art von Diskrimi-nierung der kulturellen Minderheiten zu verhindern hilft. Gemäß den Beschlüssen der EU muss Deutschland spätestens bis Mitte Juni 2003 ein solches Gleichbehandlungsgesetz verabschieden.

Welche Elemente sollte ein solches Gesetz nach Auffassung Ihrer Partei haben?

SPD – ein friedliches Miteinander setzt voraus, dass die Minderheiten und die Vielzahl der Kulturen als gleichberechtigt anerkannt werden und sich ge-genseitig respektieren- die Umsetzung des von der EU geforderten Gesetzes zur Verhinderung von Diskriminierung stößt auf Probleme mit dem deutschen Rechtssys-tem – erst in der nächsten Legislaturperiode wird überprüft, wie man dieses Problem lösen kann – B 90 – Eine umfassende Antidiskriminierungsgesetzgebung ist erforderlich:- Ausbau des Schutzes vor Diskriminierung in der Arbeitswelt – Verhinderung von Diskriminierung im Zivilrecht und im privaten Rechtsverkehr (ungehinderter Zugang zu Gütern und Dienstleistungen, z.B. beim Abschluss von Dienst-, Miet- und Versicherungsverträgen – neben dem Verbot von Diskriminierung aufgrund der Rasse und der ethnischen Zugehörigkeit sollen auch Merkmale wie Geschlecht, Be-hinderung, Religion, Weltanschauung sowie die sexuelle Orientierung berücksichtigt werden

FDP – eine gelungene Integration bedeutet auch gleichberechtigte Teilhabe am politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben auf der Grundlage der Verfassung PDS – rasche Umsetzung der EU-Richtlinie zum Diskriminierungsverbot:- dieses Verbot gilt gleichermaßen für den öffentlichen wie den privaten Bereich – wirksame gerichtliche Durchsetzung des Gleichbehandlungsgrundsat-zes – die institutionelle Umsetzung soll durch die Einrichtung weiterer Stellen zur Förderung der Gleichbehandlung gewährleistet werden

5. Die TGD tritt ganz entschieden für eine Integration, deren Grundbedingung die völlige rechtliche, politische und soziale Gleichstellung ist, der dauerhaft in Deutschland lebenden türkischen Bevölkerung ein. Seit Jahren werben wir daher dafür, dass türkische Eltern ihre Kinder spätestens nach dem dritten Lebensjahr in einen Kindergarten schicken, damit sie rechtzeitig die deutsche Sprache bestmöglich erlernen. Dies sehen wir als Grundvorausset-zung für eine erfolgreiche Schulkarriere an. Gleichzeitig wollen wir aber auch, dass die Minderheiten ihre kulturelle Identität, ihre Herkunftssprache und ihre Religion weiterentwickeln und pflegen können. Das Erlernen von Türkisch als Muttersprache und die Erteilung einer religiösen Unterweisung (unserer Meinung nach in Türkischer Sprache) über den Islam in der Schule unter Obhut der Schulbehörde, hat für uns eine unverzichtbare Be-deutung.

Wie steht Ihre Partei zu diesen Forderungen?

SPD – bereits im Kindergarten und in der Vorschule müssen spezielle Förder-programme Deutschkenntnisse vermitteln und verbessern- Fortführung der Qualifizierungs- und Weiterbildungsoffensive

B 90 – Bildungsoffensive starten und damit die Chancengleichheit verbessern- interkulturelles Lernen in Kindergärten, Schulen und Berufsschulen – Islamunterricht sollte von in Deutschland ausgebildeten Lehrerinnen in deutscher Sprache auf Grundlage genehmigter Lehrpläne unter Aufsicht der Schulbehörde erfolgen – Einrichtung von Lehrstühlen für islamische Religion an deutschen Hochschulen

FDP – Zur Verbesserung der Integration soll die Zweisprachigkeit von Kindern und Jugendlichen in der schulischen Ausbildung gefördert werden- Mehrsprachigkeit sollte daher Gegenstand der schulischen Pädagogik und der Lehrerausbildung werden – Einführung eines islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schu-len in deutscher Sprache unter Aufsicht der Schulbehörden – Islamische Lehrstühle an deutschen Hochschulen zum Zweck der Lehrerausbildung

PDS – ausreichendes Angebot an Sprachkursen mit Kinderbetreuung- Unterstützung von Sprachkursen in den Vereinen der Herkunftsländer – Verstärkung interkultureller Angebote in Kinderbetreuungseinrichtungen, Grund- und weiterführenden Schulen

6. Die Deutschlandtürken treten entschieden für eine EU-Mitgliedschaft der Türkei in absehbarer Zeit ein. Die Kopenhagener Kriterien, deren Erfüllung zur Voraus-setzung für den Beginn von Beitrittsverhandlungen zur Bedingung gemacht wur-den, sind zwischenzeitlich durch die Verabschiedung zahlreicher Verfassungsän-derungen und mit einem umfangreichen Reformpaket des Parlaments der Türkei Anfang August dieses Jahres erfüllt worden. Die EU und ihre Kommission wird nun die Umsetzung dieser Reformen beobachten und darüber im Oktober 2002 einen Bericht veröffentlichen. Wenn die Türkei, wovon wir überzeugt sind, auch dieser Prüfung besteht, dann erwartet die Türkei und erwarten die Eurotürken zu Recht die Einlösung des Versprechens der EU-Staaten, nämlich der Türkei beim EU-Gipfel im Dezember dieses Jahres für den Beginn der Beitrittsverhandlungen ein Datum und eine klare Perspektive für ihre Mitgliedschaft zu geben und damit eine Gleichbehandlung mit den anderen Beitrittskandidaten zu gewährleisten.

Die EU Mitgliedschaft der Türkei wird vor allem den Integrationsprozess der Deutschlandtürken beschleunigen und ihre Identifikation mit ihren neuen Heimat Deutschland stärken. Bereits heute verstehen sich die Eurotürken als eine menschliche Brücke zwischen ihrem Herkunftsland Türkei und dem neuen Hei-matland in der EU.

Wie stehen Sie zu dieser Erwartung der Deutschlandtürken und der Türkei?

SPD – Beitrittsverhandlungen können erst beginnen, wenn die Türkei die politi-schen Kriterien für einen Beitritt erfüllt

B 90 – Der Türkei sollte eine klare Perspektive für einen EU-Beitritt gegeben werden, da diese als Motor für eine positive Entwicklung wirkt- Entwicklung bei der Umsetzung der jüngst erfolgten Gesetzesänderungen bezüglich Demokratisierung, kurdischsprachige Rundfunk- und Fernseh-sendungen und Abschaffung der Folter abwarten – EU sollte auf positive Entwicklungen in der Türkei mit positiven Signalen reagieren

FDP – Beitrittsverhandlungen nicht bevor deutliche Fortschritte bei der Integrati-on der Kurden und der Umstrukturierung des Militärs sichtbar werden PDS – EU sollte die positiven Schritte der Türkei dazu nutzen, die diesen Kurs stützenden Reformkräfte in der Türkei zu unterstützen- bei Erfüllung der Kopenhagener Kriterien und sichtbaren Fortschritten bei der Anwendung der Reformgesetze bis zum Dezember 2002 besteht kein Grund, die Beitrittsverhandlungen nicht aufzunehmen

7. Alle Bundesregierungen haben bis heute die Verbände der Migrantenorganisati-onen bei den Gesetzesvorhaben und Entscheidungen, die unmittelbar die Ein-wandererbevölkerung Deutschlands betreffen, kaum in den Meinungsbildungs- und Gestaltungsprozess einbezogen Dies finden wir inakzeptabel und undemo-kratisch. Deshalb sind wir der Überzeugung, dass die Migrantenverbände von Beginn des Gesetzgebungsprozesses aktiv an diesem beteiligt werden müssen. Wie steht Ihre Partei zur Partizipation der Einwanderer am Meinungsbildungspro-zess bei allen sie betreffenden Fragen?

SPD – stärkere Beteiligung durch Gewährung des kommunalen Wahlrechts auch für Nicht-EU-Bürger

B 90 – Beteiligung durch Ausweitung des Dialogs mit den Migrantenverbänden

FDP – Das Zuwanderungsgesetz sieht die Mitwirkung des Ausländers im Integ-rationsprozess vor

PDS – Migrantinnen und Migranten sind an den politischen Entscheidungspro-zessen insbesondere bei den Fragen, die sie unmittelbar betreffen, zu beteiligen

Auswertung

Frage 1 Die Migranten leiden am stärksten unter der hohen Arbeitslosigkeit. Da-her hat der Kampf dagegen für die TGD die höchste Priorität. Die Lösungsvorschläge von SPD, Bündnisgrünen und PDS entsprechen eher unseren Vorstellungen von sozialer Ausgewogenheit als die der FDP.

Frage 2 Insbesondere die unteren Einkommensgruppen, darunter auch große Teile der Migranten, sind an einer sozial ausgewogenen und gerechten Gesellschaft stark interessiert. Zu dieser Frage bleibt die SPD die Antwort schuldig. Die Vorschläge der PDS scheinen am ehesten für mehr soziale Gerech-tigkeit zu sorgen. Frage 3 Das Hauptproblem im Zusammenleben von Deutschen und Migranten bleibt der Ausländerstatus von 7,3 Mio. Menschen, die dauerhaft in die-sem Land leben. Das neue Staatsangehörigkeitsrecht hat den Weg für den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft insbesondere für die erste und zweite Einwanderergeneration nicht frei gemacht, weil die Aufgabe der bisherigen Staatsbürgerschaft von dieser Personengruppe nicht ak-zeptiert wird und es überdies neue Hürden durch den Nachweis sprachli-cher Fähigkeiten setzt. SPD und FDP sehen in dieser Frage keinen Handlungsbedarf, während die PDS für die rasche Übernahme des Europäischen Übereinkommens votiert. Diese Idee der PDS bietet in der Tat die Möglichkeit einer prakti-kablen Lösung. Deutschland bräuchte dieses Abkommen nur zu para-phieren. Die Bündnisgrünen plädieren für eine Ausweitung der Möglichkeit, den Doppelpass wenigstens für die 1. Generation der Einwanderer zu akzep-tieren. Auch auf diesem Weg könnten Millionen Menschen der ersten Generation für eine Einbürgerung gewonnen werden.

Frage 4 Seit Langem tritt die Türkische Gemeinde in Deutschland für ein Antidis-kriminierungsgesetz ein. Gemäß den Beschlüssen der EU muss Deutsch-land bis zum 19. Juli 2003 zahlreiche Vorschriften zur Verhinderung von Diskriminierung in ihr Rechtssystem integrieren. Die Antworten von SPD und FDP zu diesem Punkt bleiben unbefriedi-gend. Bündnisgrüne und PDS hingegen streben eine Antidiskriminie-rungsgesetzgebung an, die unseren Vorstellungen sehr nahe kommt.

Frage 5 Das Erlernen der deutschen Sprache vor dem Schulbeginn ist für die Kinder der Migranten die Grundvoraussetzung einer erfolgreichen schuli-schen und beruflichen Laufbahn. Weil für die TGD das Erlernen auch der Muttersprache unverzichtbar ist, legen wir zugleich großen Wert darauf, dass Kindergärten und Schulen eine interkulturelle Erziehung und Bildung anbieten können. In dieser Frage besteht Konsens unter allen Parteien. Die Antwort der SPD bezieht allerdings den interkulturellen Ansatz nicht ein und ist daher für uns unzureichend.

Frage 6 Die EU-Mitgliedschaft der Türkei ist für die in den EU-Staaten lebenden Türken von großer Bedeutung, vor allem unter rechtlichen und integrati-onspolitischen Aspekten. Daher hat auch die Haltung der Parteien in die-ser Frage für uns großes Gewicht. Die Positionen von SPD und FDP können wir nicht akzeptieren. Die Haltung der PDS kommt hier unserer Position am nächsten. Die Bündnisgrünen sprechen sich zwar für eine klare Perspektive zu ei-nem EU-Beitritt der Türkei aus, möchten sich aber bei der Frage, wann die Beitrittsverhandlungen beginnen sollen, nicht festlegen.

Frage 7 Bisher wurden die Migrantenverbände in den Meinungsbildungs- und Gestaltungsprozess auch bei Gesetzesvorhaben, die sie selbst betrafen, nicht einbezogen. Dies halten wir für undemokratisch. Bündnisgrüne und PDS sprechen sich dafür aus, die Migrantenverbände künftig verstärkt an den politischen Meinungsbildungsprozessen zu betei-ligen.

Unsere Empfehlung

Die Unionsparteien haben unsere Fragen leider nicht beantwortet. Dies ist be-dauerlich. CDU und CSU haben sich allerdings weder in der Vergangenheit noch in jüngster Zeit für eine Verbesserung der rechtlichen, politischen oder sozialen Lebensbedingungen der Migranten und ihrer Kinder eingesetzt. Sie versuchten vielmehr häufig, Verbesserungen in diesem Bereich zu blockieren, wie bei der er-leichterten Einbürgerung oder beim Zuwanderungsgesetz. Diese unterschiedli-chen Auffassungen mögen der Grund dafür gewesen sein, unsere Fragen erst gar nicht zu beantworten. Daher ist eine Stimmabgabe für die Unionsparteien von unserer Seite nicht zu erwarten.

Eine eingehende Analyse der Antworten von SPD, Bündnisgrünen, FDP und PDS viel allerdings deutlich zu Gunsten der Regierungsparteien und der PDS aus. Wir haben uns in der Vergangenheit durchaus kritisch mit dem neuen Staatsan-gehörigkeitsrecht wie dem Zuwanderungsgesetz auseinandergesetzt. So bleiben auch manche Antworten vor allem der SPD kritikwürdig.

Dennoch plädieren wir dafür, bei den anstehenden Wahlen für eine Fortsetzung der rot-grünen Koalition zu stimmen. Auch die PDS verdient Beachtung und unseren Respekt. Ihre Antworten kommen unseren Vorstellungen am meisten entgegen.

Bei der Stimmabgabe muss jedoch gerade in den alten Bundesländern bedacht werden, inwieweit Stimmen für die PDS verloren gehen könnten.