1. Die Bedeutung der deutsch-türkischen Beziehungen
2. Deutschlands Türken als menschliche Brücke 3. Die aktuelle Entwicklung der deutsch-türkischen Be-ziehungen 4. Die Beziehungen der Türkei zur EU 5. Die Entscheidung von Luxemburg als Wendepunkt 6. Die Verantwortung Deutschlands, bei einer Korrektur der Luxemburger Entscheidung mitzuwirken 7. Die Situation der Deutschland-Türken 8. Schlußfolgerungen
1. Aus einer Reihe von Gründen sind gute Bezie-hungen zwischen Deutschland und der Türkei wichtig:- Deutschland rangiert mit einem Jahresvolumen von über 20 Mrd. DM beim Außenhandel der Türkei mit großem Abstand an erster Stelle, – 1997 wickelte die Türkei 43% ihrer Ausfuhren in die EU mit Deutschland ab, – jeder vierte von rd. 10 Mio. Türkeiurlaubern kommt aus Deutschland, – in der Türkei sind ca. 70 deutsche Firmen mit ei-nem Investitionsvolumen von über 6 Mrd. $ tätig, – türkische Selbständige und Firmen aus der Türkei haben im vergangenen Jahr knapp 10 Mrd. DM in-vestiert und mehr als 41 Mrd. DM umgesetzt, – in Deutschland leben 2,3 Mio. Menschen türkischer Herkunft. Sie sind ein fester Bestandteil dieser Ge-sellschaft, längst kein provisorischer mehr, – die Beziehungen zwischen beiden Staaten waren in der Vergangenheit stets sehr eng und freund-schaftlich; auf den Beginn vor 130 Jahren mit der berühmten ‚Bagdad-Bahn‘ muß ich hier nicht nä-her eingehen.
2. Deutschlands Türken als menschliche Brücke- Die Türken in Deutschland und auch wir als Vertre-ter der Interessen dieser Bevölkerungsgruppe ha-ben ein unmittelbares zumeist auch persönliches Interesse an guten und stabilen Beziehungen. – Die augenblicklichen Belastungen im politischen Verhältnis zueinander wirken sich insbesondere im atmosphärischen Bereich auch negativ auf die Be-ziehungen mit unseren Verwandten in der Türkei aus.
3. Die aktuelle Entwicklung der deutsch-türkischen Beziehungen- Noch nie waren diese Beziehungen so belastet wie heute: ‚Ein Türke hat uns den Krieg erklärt‘ schreibt eine viel gelesene deutsche Zeitschrift. ‚Der türkische Ministerpräsident Mesut Yýlmaz hat erneut Bundeskanzler Kohl angegriffen‘ heißt es dort. – Die Äußerung von Yýlmaz, in der er die Politik Deutschlands mit der ‚Lebensraum-Ideologie ver-glich, wurde in den Medien einhellig mit Empörung aufgenommen. – Gleichermaßen empört reagierten die türkischen Medien auf Äußerungen von Bundeskanzler Kohl und anderer christdemokratischer Politiker aus der EU, in welchen die christliche Werteorientierung der Gemeinschaft herausgestrichen wurde. – Die Medien sprechen einhellig von einer ‚Eiszeit‘ in den deutsch-türkischen Beziehungen: Was ist geschehen? Was sind die Gründe dieser Entwicklung? 4. Die Beziehungen der Türkei zur EU- Am 31. Juli 1959, also vor bald 40 Jahren, hat sich die Türkei um eine Mitgliedschaft in der damaligen ‚Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft‘ bewor-ben. – Am 25. Juni 1963 wurde das Assoziierungsab-kommen zwischen der EG und der Türkei in Brüs-sel paraphiert. – Dieser Vertrag sah die volle Mitgliedschaft der Tür-kei in die EG in drei Phasen vor: 1. Vorbereitungsphase 5 Jahre 2. Übergangsphase 12 Jahre, auf Wunsch 22 Jahre 3. Letzte Phase
- Am 23. November 1970 wurde zwischen der EG und der Türkei ein Zusatzprotokoll unterzeichnet, in welchem die Detailfragen der Übergangsfrage ge-regelt wurden. Die Bestimmungen dieses Proto-kolls traten am 1.1.73 in Kraft.:
- Freizügigkeit der Arbeitnehmer sowie
- ungehinderte Bewegungsfreiheit für Kapitale und Dienstleister sind darin vorgesehen
- Am 1. Januar 1996 wurde die Übergangsphase abgeschlossen und der Beitritt der Türkei zur Zoll-union der EU unterzeichnet.
- Ab dem 1.1.96 sollte die Türkei außerdem über ei-nen Zeitraum von 5 Jahren 2,5 Mrd. ECU erhalten, um mit diesem Betrag die Nachteile für die türki-sche Wirtschaft aus der Zollunion ausgleichen zu können.
- Wegen des griechischen Vetos bekam die Türkei trotz dieser Vereinbarung keinen Pfen-nig,
- noch ist die Zollunion kein Vorteil für die Tür-kei, gibt es doch zur Zeit mehr Importe aus den Staaten der EU in die Türkei als Exporte in diese Staaten
- Diese Nachteile nahm und nimmt die Türkei in Kauf, weil gemäß Zielsetzung und Inhalt des Asso-ziierungsabkommens wie auch der Zollunion der Bindungen der Türkei zur EU eindeutig in eine Vollmitgliedschaft in die EU einmünden sollten.
Zuvor hatte das europäische Parlament bereits am 13.12.95 mit großer Mehrheit den Beitritt beschlos-sen.
5. Die Entscheidung von Luxemburg als Wende-punkt- 12 Länder hatten sich um eine Vollmitgliedschaft in der EU beworben. In Luxemburg entschieden die Mitgliedsländer sich dafür, fünf davon eine soge-nannte ‚Beitrittspartnerschaft‘ anzubieten. – Damit wurde den Ländern Lettland, Litauen, der Slowakei, Rumänien und Bulgarien signalisiert, daß sie mittel- bis langfristig mit einer Aufnahme in die EU würden rechnen können. – Die sechs Länder Estland, Polen, Tschechien, Un-garn, Slowenien und Zypern wurden als Kandida-ten für Aufnahmeverhandlungen definiert. Sie kön-nen sogar kurz- bis mittelfristig mit einer Ausnahme rechnen. – Nach dieser Entscheidung wurde allein der Türkei jegliche, auch langfristige Perspektive für einen Beitritt zur EU genommen. Diese deutliche Benachteiligung führte dazu, daß we-der die Regierung der Türkei noch die in Europa le-benden Türken dies widerspruchslos hinnehmen woll-ten. Dafür gibt es auch gute Gründe:- Außer der Türkei hatte kein weiterer Beitrittskandi-dat so weitreichende vertragliche Bindungen an die EU, nämlich durch – das Assoziierungsabkommen und – die Zollunion Was aber sind die Gründe, welche die EU bewogen, sich allein von der Türkei so strikt abzuschotten? Da gibt es nach wie vor Defizite- in der wirtschaftlichen Entwicklung, – in Menschenrechts- und Minderheitenfragen, – bei der Demokratisierung, – bei der Bewältigung des Kurdenproblems, – hinsichtlich einer Lösung des Zypernkonflikts mit Griechenland. Nun hat auch niemand in der Türkei ernsthaft be-hauptet, die Türkei hätte bereits alle ihre ‚Hausauf-gaben‘ gemacht:- Die genannten Defizite werden größtenteils auch akzeptiert. – Eine Ausnahme bietet allein der Konflikt mit Griechenland – dazu gehören zwei Konfliktparteien Die weit verbreitete Empörung und Verbitterung über die Luxemburger Beschlüsse hat andere Ursachen:- Haben nicht zumindest die Kandidaten der Gruppe ‚Beitrittspartnerschaft‘ die gleichen oder doch zu-mindest ähnliche Defizite? – Ist die Wirtschaft der baltischen Staaten, Bulga-riens oder Rumäniens etwa besser entwickelt? – Ist die demokratische Entwicklung dieser Staaten, die vor acht Jahren noch hinter dem ‚Eisernen Vorhang‘ lagen, besser entwickelt? – Gibt es in diesen Ländern etwa keine Menschen-rechtsverletzungen, keine massiven Probleme mit den ethnischen Minderheiten, die zu lösen wären? Bei vielen dieser Punkte braucht sich die Türkei wahr-lich nicht zu verstecken:- Die türkische Wirtschaft ist den meisten der 11 Er-weiterungskandidaten deutlich überlegen. – Trotz mancher Unterbrechungen ist die Türkei seit über einem halben Jahrhundert auf dem Wege zu einer weitgehenden Demokratisierung. – Die demokratischen Institutionen haben sich etabliert, – eine Vielfalt an Presseorganen und Medien ist vorhanden Die Entscheidung von Luxemburg, die Türkei als ein-ziges Land von weiteren Beitrittsverhandlungen quasi auszuschließen, ist fatal, ungerecht und diskriminie-rend. Sie ist ein historischer Fehler. Was aber sind die wahren Gründe der Ausgrenzung?- ‚Die Türkei als ein islamisch geprägtes Land wür-de‘, so hat es kürzlich Herr Schäuble formuliert, ‚die Identität Europas gefährden.‘ – Die Partei- und Regierungschefs der Christlich-Demokratischen Parteien hatten sich ähnlich ge-äußert: ‚Als ein islamisches Land paßt die Türkei nicht in die EU, weil diese auf einem christlichen Wertesystem basiert.‘ – Offenbar hat man erst jetzt entdeckt, daß es sich bei der Türkei um einen islamischen Staat handelt.
6. Die Verantwortung Deutschlands, bei einer Kor-rektur der Luxemburger Entscheidung mitzuwir-ken- Während Frankreich, Großbritannien oder Spanien einer EU-Mitgliedschaft der Türkei wohlwollend gegenüberstehen, hat sich – Die Regierung Kohl-Kinkel gegen die Aufnahme der Türkei in die Liste der Erweiterungskandidaten ausgesprochen. – Helmut Kohl hatte zunächst dem türkischen Minis-terpräsidenten Mesut Yýlmaz seine Unterstützung bei der Aufnahme in die EU zugesagt und ist dann wortbrüchig geworden, – daher erklärt sich die Empörung und Verärge-rung von Yýlmaz – Dieser historische Fehler kann nur von der EU kor-rigiert werden. – Deutschland könnte dabei eine Vorreiterrolle über-nehmen und damit den deutsch-türkischen Bezie-hungen einen großen Dienst erweisen. Im Interes-se beider Länder und beider Völker.