Braunschweig – dein Staat ist auch mein Staat

Hakki Keskin - Bundesvorsitzender der 'Türkischen Gemeinde in Deutschland' Vortrag 'Workshop 2'
Einleitung durch Hissam Vossonghi

Meine Damen und Herren, zunächst einmal habe ich mich gefreut über den Titel dieser Veranstaltung nämlich ‚Dein Staat ist mein Staat‘, nebst Untertitel ‚Staatsbürgerschaft – Königspfad gesellschaftspolitischer Parti-zipation ethnischer Minderheiten?‘ Bereits durch die Wahl dieses Titels können wir erkennen, daß wir in der Integrationspolitik und Migrationsdiskussion vorangekommen sind. Wir alle wis-sen, daß wir hier in Deutschland bei der Wahl der Begriffe noch erhebliche Schwierigkeiten ha-ben, in vielen anderen Ländern ist dies längst kein Problemthema mehr. Wir wissen, daß das Wort Ausländer auch heute noch für Menschen verwendet wird, die längst Inländer geworden sind, weil sie hier unter uns seit Jahren und Jahrzehnten leben. Menschen, die vor wenigen Jahren noch Gastarbeiter hießen, werden inzwischen ‚ausländischen Mitbürgern‘ genannt. Deshalb be-grüße ich es als ein klares Signal, daß dieser Staat nicht nur ein Staat der Deutschen ist, sonder auch der Staat der Immigranten, Menschen also, die nicht mehr als Provisorium, sondern als kul-turelle Minderheit anzusehen sind. Auch die politische Entwicklung ist inzwischen seit der Wahl vom September 1998 ermutigend. Ich werde nicht auf die Einzelheiten der Koalitionsvereinba-rung eingehen, das wird meine Kollegin hier tun, aber Fakt ist, daß die jetzige Regierung endlich den Weg für die Einbürgerung vieler Migrantinnen und ihrer Kinder ebnen Will. Die Erkenntnis, daß das Einbürgerungsrecht radikal geändert werden muß, scheint sich bei der neuen Koalitions-regierung endlich durchzusetzen.

Bitte erlauben Sie mir einige einführende Bemerkungen. Ich möchte zunächst einen Tatbestand erläutern, der für uns sehr wichtig ist. Die Koalitionsvereinbarung der SPD und der Bündnisgrü-nen ist ja nicht vom Himmel gefallen, in ihr kommen jahrelange Vorarbeiten zum Ausdruck. Oh-ne diese Vorarbeit, die Migrantinnen und Migranten in zahlreichen Organisationen, freiwillige Einrichtungen oder auch engagierte Menschen über lange Zeit erarbeitet haben, sähen die Vorla-gen zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes kaum so aus, wie in der Koalitionsvereinba-rung niedergelegt. Verkürzt kann man sagen, daß wir – das sind die zahlreichen Organisationen der türkischen Einwanderer – uns bereits vor 19 Jahren überlegt haben, wie wir uns unsere Zu-kunft in Deutschland vorstellen. Damals lebte ich in Berlin, seinerzeit noch West-Berlin, und war als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fachhochschule für Verwaltung tätig und leistete neben-her die Vorarbeiten für die Einrichtung der Institution des Ausländerbeauftragten – Barbara John wurde später für dieses Amt vorgesehen. Bereits damals war ich von der Notwendigkeit über-zeugt, daß es der Ausarbeitung langfristiger Strategien durch Personen aus den verschiedensten Arbeits- und Lebensbereichen bedürfe. Entsprechend kamen wir damals als Arbeiter, Betriebsrä-te, Gewerkschafter, Lehrer, Journalisten oder Wissenschaftler zusammen, um Konzepte für das Zusammenleben der ‚kulturellen Minderheiten‘ mit der deutschen Bevölkerung zu erarbeiteten. Wir haben 5 Arbeitsgruppen gebildet und ein Jahr lang jede Woche 4-5 Stunden konsequent an der Entwicklung derartiger Konzepte gearbeitet. In der Arbeitsgruppe, an der ich beteiligt war, ging es um die rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen dieses Zusammenleben, unter denen dann auch Integration in Deutschland stattfinden sollte. Nach einjähriger Arbeit haben wir am 20. Mai 1981 auf einer Pressekonferenz das Ergebnis unserer Arbeit vorgelegt.

Ausfluß der Arbeit war eine Broschüre mit dem Titel: ‚Stellungnahme der Ausländer zur Auslän-derpolitik‘, herausgegeben von der ‚Initiative Gleichberechtigung und Integration‘ im Mai 1981. Wenn ich diese Broschüre heute in die Hand nehme, so sind die damals erhobenen Forderungen nach einem Niederlassungsrecht, nach kommunalem Wahlrecht und nach doppelter Staatsbürger-schaft immer noch brandaktuell. Daß dies nach fast 20 Jahren ‚Ausländer- oder heute besser In-tegrationspolitik der Fall ist, wirft kein allzu gutes Licht auf die deutsche Innenpolitik. Meines Wissens wurden diese Forderungen dort zum ersten Mal in Gesetzesform erhoben. Sie gestatten mir bitte, aus dieser Broschüre zu zitieren: ‚Ausländer erhalten nach 8-jährigem Aufenthalt den Rechtsanspruch, unter Beibehaltung ihrer eigenen Staatsangehörigkeit, die deutsche Staatsbürger-schaft zu erwerben (doppelte Staatsbürgerschaft).‘ Und seither haben wir unbeirrt an dieser For-derung festgehalten. In der Presse machten unsere Forderungen dann Schlagzeilen wie: ‚Einbür-gerungsrichtlinien erleichtern‘ oder ‚Manche Türken fordern rechtliche Gleichstellung‘. Das sind die Presseberichte von vor 19 Jahren.

Eines habe ich in dieser Zeit gelernt: Nur durch intensive und beharrliche Arbeit läßt sich auf Dauer etwas erreichen. Später bin ich nach Hamburg gezogen und habe dort das ‚Bündnis türki-scher Einwanderer‘ mitgegründet Wenn ich heute in der Koalitionsvereinbarung die Passagen über den Entwurf zur Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts lese, so ist das auch ein Ergebnis dieser langwierigen Arbeit und nicht zuletzt auch ein Verdienst jahrelanger zäher Lobbyarbeit auf allen politischen Ebenen. Dazu mußte natürlich auch eine Basis geschaffen werden. Von den Ber-liner Anfängen habe ich schon berichtet. Die Gründung des ‚Bündnis Türkischer Einwanderer‘ 1987 in Hamburg war dann der meines Wissens erste Versuch, ein Dach für Vereine zu bilden, die ursprünglich ganz unterschiedliche Zielsetzungen hatten, jetzt geeint unter diesem Dach in dem Bestreben, gemeinsame politische Postulate zu formulieren. Dieser Zusammenschluß – und ich darf Ihnen versichern, türkische Vereine unter einen Hut zu bringen ist kein einfaches Unter-fangen! – fand auf Hamburger Ebene statt; nach unserem Vorbild wurden in der Folgezeit weitere Dachverbände auf Landesebene gegründet. Erst im Dezember 1995 haben wir die ‚Türkische Gemeinde in Deutschland‘ gegründet, was unseren Forderungen ein noch größeres Gewicht ver-lieh. Ich kann wirklich nicht mehr sagen, auf wie vielen Veranstaltungen ich für unsere Hauptfor-derungen wie Erleichterung der Einbürgerung und doppelte Staatsbürgerschaft geworben habe, es mögen mehr als 500 gewesen sein, Sie können sich aber bestimmt vorstellen, daß es mich mit großer Befriedigung erfüllt, jetzt endlich kurz vor dem Ziel zu stehen, wenn die rot-grüne Bun-desregierung ihre versprechen schließlich in die Tat umsetzt.

Weshalb waren diese Forderungen für uns so wichtig? Wir haben einsehen müssen, und zwar schon vor 20 Jahren, daß sich die Ziele, daß sich die Lebensplanung der einst als ‚Gastarbeiter‘ ins Land gekommenen Türken grundsätzlich verändert hatte. Das war eine ganz wichtige Er-kenntnis, denn bis dahin dachten die meisten von uns, wir würden, nach wenigen Jahren in die Heimat zurückkehren. Wir haben einsehen müssen, daß sich da etwas ganz grundlegend geändert hatte: Der größte Teil der nichtdeutschen Menschen wollte hierbleiben. Auf die vielfältigen Gründe für diese Entwicklung kann ich hier nicht eingehen. Tatsache ist jedenfalls, daß wir uns auf diese neuen Gegebenheiten einstellen mußten, und das hieß, daß sich auch unsere politischen Forderungen dem anzupassen hatten. Ging es ursprünglich darum, einer auf absehbare Zeit hier ansässigen Wohnbevölkerung vernünftige Lebensverhältnisse zu ermöglichen, wofür z.B. Forde-rungen nach Niederlassungsrecht, kommunalem Wahlrecht oder unbeschränktem Familiennach-zug standen, so erwiesen sich diese Forderungen nur als Vorstufen zu einer neuen Grundforde-rung, nämlich der nach grundsätzlicher Hinnahme von doppelten Staatsbürgerschaften.

Warum doppelte Staatsbürgerschaft? Wenn es diesem Staat wirklich Erst ist mit der rechtlichen, politischen, kulturellen und sozialen Gleichstellung der hier dauerhaft lebenden Migrantinnen und Migranten, dann führt kein weg an einer Einbürgerung vorbei. Nur als deutscher Staatsbürger kommt der Einwanderer in den Genuß gleicher Rechte. Solange aber die Einbürgerung mit der Aufgabe der alten Staatsbürgerschaft erkauft werden soll – und das muß man einfach zur Kennt-nis nehmen – wird seitens der ersten und zweiten Einwanderergeneration von dieser Möglichkeit nur recht selten Gebrauch gemacht. Die Gründe dafür sind vielfältig, spielen an dieser Stelle ei-gentlich auch keine Rolle. Denn – und ich wiederhole mich gern -, ist man wirklich an Integrati-on und der damit verbundenen Gleichstellung interessiert, dann muß man dieser Tatsache Rech-nung tragen und den Grund dafür herausfinden, warum vom Angebot der Einbürgerung von eben diesem Personenkreis kaum Gebrauch gemacht wird.

Wir alle kennen längst den Grund dafür: Es ist die erzwungene Aufgabe der alten Staatsbürger-schaft. Und das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn die Angehörigen der ersten und zweiten Einwanderergeneration hängen emotional noch sehr an der alten Heimat, sie haben vielfältige Bindungen und werden vielleicht als Rentner zumindest zeitweilig im Herkunftsland leben, wol-len dies aber nicht als ‚Ausländer‘ tun.

Um ein sicheres Aufenthaltsrecht zu erwerben, aber auch, um mehr Einfluß auf die Politik und die deutschen Parteien auszuüben, und nicht zuletzt, um unsere berechtigten Forderungen durch-setzen zu können, brauchen wir unbedingt diese erleichterte Einbürgerung, und das bedeutet eben die doppelte Staatsbürgerschaft.

Ich glaube, ich darf zusammenfassend sagen: Noch sind wir nicht am Ziel, noch haben wir nur ein Versprechen auf dem Papier, diese Koalitionsvereinbarung nämlich. Und ich habe selbst als Abgeordneter der Hamburgischen Bürgerschaft erleben müssen, daß auch vollmundige Erklärun-gen erst dann etwas Wert sind, wenn das Parlament zugestimmt hat – und manchmal ist es ein weiter Weg bis dahin. Da bleiben Enttäuschungen nicht aus.

Aber selbst wenn die Vorstellungen des Koalitionsvertrages in einem Gesetz so umgesetzt wer-den, müssen wir auch die Menschen im Lande überzeugen, daß dies der richtige Weg ist. Sie se-hen, was die CDU jetzt machen will mit Ihrer Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Noch gibt es viel zu tun. Mit allen Parteien müssen wir immer wieder reden. Wir haben jetzt vor, mit Herrn Schäuble und den anderen Fraktionsvorsitzenden Gespräche zu führen, damit sie endlich einsehen, daß wir, die Einwanderer aus der Türkei, keine Gefahr für die Bundesrepublik Deutschland darstellen, im Gegenteil, die Gefahr einer Ghettoisierung wird ab-gewendet, wenn wir diesen Weg gehen, wenn wir die Leute in die Gesellschaft aufnehmen und allen wirklich das berechtigte Gefühl geben, daß sie hierher gehören, zu diesem Land.