Alltägliche Rassismus im vereinigten Deutschland

BEITRAG FÜR DAS ZEIT-DOSSIER 1.4.1997 VON PROF. DR. HAKKI KESKIN
DER ALLTÄGLICHE RASSISMUS IM VEREINIGTEN DEUTSCHLAND Auswirkungen auf die Einwanderer und Gegenstrategien

Mitte April 1989 sorgte ein Flugblatt unter den Hamburger Nichtdeutschen für große Unruhe und Angst. Neben einem abgebildeten Hakenkreuz war zu lesen: ‚Führer Befiel wir folgen Dir! DER 100ste Geburstag von Adolf Hitler wird für euch die Zweite Kristallnacht sein.‘ (Rechtschreibfehler wurden vom Original übernommen.) Namentlich wurden die Türken als diejenigen genannt, die die zweite Kristallnacht erleben sollten. Über die Medien fand diese Ankündigung sehr rasch bei großen Teilen der Bevölkerung Verbreitung. Viele Hamburger Türken fragten sich und uns, ob sie am 20. April, Hitlers Geburtstag, ihre Kinder zur Schule schicken und ob sie selbst zur Arbeit gehen sollten. Obwohl der Bürgermeister und der In-nensenator der Freien und Hansestadt Hamburg erklärten, daß ‚keine Erkenntnisse für ei-nen ‚Aufmarsch‘ von Rechtsextremisten in Hamburg vorlägen und Maßnahmen für die Si-cherheit ausländischer Mitbürger getroffen seien‘, blieben fast alle Einwandererkinder Zu-hause und viele ihrer Eltern hatten Angst, zur Arbeit zu gehen. Zu den angekündigten und befürchteten Angriffen von Neonazis kam es in der Tat nicht. Diese hatten aber mit einem Flugblatt erreicht, die gesamt nichtdeutschen Bevölkerung in Angst und Empörung zu ver-setzen.

Dieses Ereignis macht mehr als deutlich, in welcher psychischen Verfassung sich die Ein-wandererbevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland befindet. Eine solche Situation entsteht nicht von heute auf morgen und nicht ohne tiefverwurzelte Gefühle von Angst, Un-sicherheit und Beunruhigung auf der einen und Schutzlosigkeit und Mißtrauen auf der ande-ren Seite.

Diese Angst der Einwanderer hat nichts mit Feigheit zu tun. Sie ist vielmehr Ausdruck des Mißtrauens gegenüber der Politik der Regierenden und Folge der Ausgrenzung aus der Ge sellschaft. Staat und Gesellschaft vermitteln den Minderheiten nicht nur keinen Schutz und keine Geborgenheit, die Nichtdeutschen empfinden diese oft als ihnen gegenüber ver-schlossen, abweisend, ja zum Teil sogar feindselig.

SIND DIESE GEFÜHLE DER EINWANDERER BEGRÜNDET?

Die Erfahrungen, die die Einwanderer vor allem seit Ende der siebziger Jahre machen muß-ten, begründen diese Gefühle und die daraus resultierende Haltung gegenüber der Politik, den Regierenden, der Gesellschaft und der Polizei.

Die 25jährige Türkin Semra Ertan beging an ihrem Geburtstag am 30. Mai 1982 in Kiel Selbstmord durch Verbrennung, um auf die zunehmende Ausländerfeindlichkeit in der deut-schen Gesellschaft aufmerksam zu machen: Eine große türkische Tageszeitung nahm dies zum Anlaß und widmete die ganze erste Seite in türkischer und deutscher Sprache einem Aufruf an die Öffentlichkeit, notwendige Maßnahmen gegen die Ausländerfeindlichkeit zu treffen. Diese junge Frau opferte ihr Leben, um die deutsche Politik und Gesellschaft zu einer Neuorientierung in der Ausländerpolitik zu bewegen.

Einen Monat danach wurden zwei Ausländer ohne jegliche Veranlassung von einem Rechts-radikalen in Nürnberg erschossen, drei weitere wurden schwer verletzt. Diese waren weder die ersten noch die letzten Opfer rassistischer Anschläge. Bereits Anfang Dezember 1980 waren zwei junge Vietnamesen in Hamburg rassistischer Gewalt zum Opfer gefallen. Über dieses Ereignis berichtete der Spiegel mit der Überschrift ‚Bomben und Hetzparolen – in der Bundesrepublik wächst der Haß gegen die Ausländer‘. Seitdem wurden immer wieder Einwanderer, ihre Wohnunterkünfte und ihre Läden, Ziele ungezählter Angriffe von rechtsra-dikalen Personen und Gruppen, vor allem von sogenannten Skinheads. Diese hatten 1985 in Hamburg im Abstand von sechs Monaten zwei junge Türken durch Schläge ermordet.

Der gewaltsame Tod des jungen Türken Ramazan Avcý in Hamburg, der am 22.12.1985 von einer Gruppe Skinheads überfallen und auf den so brutal mit Baseballschlägern und Axtstielen eingeprügelt wurde, daß er am 24.12. seinen schweren Verletzungen erlag, löste große Empörung unter den Hamburger Türken aus. Dies führte zur Gründung eines breiten Bündnisses gegen Ausländer- und Türkenfeindlichkeit in Deutschland und war die Geburts-stunde des ‚Bündnis Türkischer Einwanderer Hamburg e.V. (TGB)‘.

In den folgenden Jahren war es nicht die Asyldiskussion an sich und die darauf folgende Änderung des Asylrechts, die entscheidend zur Eskalation der rassistisch-ausländerfeindlichen Gewalt beigetragen hat, es war die Art der Diskussion, wie sie von den Politikern geführt wurde.

Am 17.9.1991 greifen Skinheads im sächsischen Hoyerswerda unter dem Beifall der An-wohner ein Wohnheim an, in dem Asylbewerber untergebracht sind. Trotz akuter Gefahr für Leib und Leben der Bewohner greift die Polizei erst sehr spät und viel zu zögerlich ein. Und der Mob setzt sich durch: Die Bewohner des Heimes werden wenig später nach West-deutschland ‚evakuiert‘. In Hoyerswerda hat sich zum ersten Mal in der Geschichte Deutschlands der demokratische Rechtsstaat in die Knie zwingen lassen, und dies ausge-rechnet durch Neonazis. Der Staat wäre ohne Zweifel im Stande gewesen, der Lage dort mit rechtsstaatlichen Mitteln Herr zu werden. Ganz offensichtlich gehörte es zur politischen Stra-tegie, die Angriffe gegen die mozambikanischen und vietnamesischen Bewohner so weit eskalieren zu lassen, daß sie gezwungen waren, die Stadt zu verlassen. Bei diesen Aktionen genossen die rechtsradikalen Täter nicht nur eine überaus milde Behandlung von den poli-tisch Verantwortlichen, sondern auch breite Zustimmung aus der Bevölkerung. Der Weg für weitere Gewaltaktionen gegen nichtdeutsche Menschen war für die Neonazis nunmehr frei. Sie wurden ermutigt, die politisch gewollte Verdrängung der Flüchtlinge mit Hilfe der Gewalt exemplarisch und moralisch zu exekutieren.

Ein weiterer unrühmlicher Höhepunkt auf dem von vielen Politikern geduldeten Wege, die Gewalt der Neonazis eskalieren zu lassen, war die brutale Vertreibung nichtdeutscher Be-wohner eines Heimes für Asylsuchende in Rostock. Dort überfielen in der Nacht vom 22. zum 23.8.1992 etwa 150 Neonazis unter Mithilfe der Wohnbevölkerung eine Unterkunft für Asylbewerber. Unter dem Beifall von etwa 1.000 Zuschauern übertrug das Fernsehen live in deutsche Wohnzimmer, wie immer wieder Steine, Feuerwerkskörper und Molotowcocktails gegen das Flüchtlingsheim geschleudert werden. Es ist sicher nicht das Verdienst der Ord-nungskräfte,eher ein glücklicher Zufall, daß niemand bei den Bränden ums Leben kam. Dies war für mich ein unfaßbares Ereignis, das ich nie vergessen werde.

Ich sage hier ganz bewußt, daß der Staat diese Schandtaten duldete, enthielt das zögerliche Vorgehen der politisch verantwortlichen doch deutliche Botschaften. Zum einen sollte den Einwanderern signalisiert werden, wie unerwünscht sie sind, andererseits wollte man den Angreifern und den ihnen zujubelnden Volksmassen zu verstehen geben, daß ihr Tun durchaus im Sinne der offiziellen Politik sei.

Es folgten die Ereignisse von Mölln, Solingen, Stuttgart, Lübeck, Karlsruhe und an vielen weiteren Orten in Deutschland:

Am 23.11.1992 wurden in Mölln drei Türkinnen, darunter ein zehnjähriges Mädchen, bei einem rassistisch motivierten Brandanschlag bestialisch ermordet. Die türkische aber auch die Weltöffentlichkeit reagierte auf diese brutalen Morde mit Entsetzen und großer Verbitte-rung. Dies führte mit über 40.000 Teilnehmern zu der größten Protestdemonstration von Türken, die je in Deutschland stattgefunden hat.

Am 28.5.1993 wurden in Solingen weitere fünf Türkinnen, darunter zwei Kinder, in Folge eines Brandanschlages barbarisch getötet, nachdem fanatisierte rechtsradikale Jugendliche ihr Haus aufgrund rassistischer Motive in Brand gesetzt hatten. Dies machte einmel mehr deutlich, daß die Brutalität unbelehrbarer Neonazis offenbar keine Grenzen kennt. Unbe-lehrbar bleiben aber auch die politisch Verantwortlichen.

Auch die Morde von Solingen lösten bundesweit massenhafte Protestdemonstrationen aller Bevölkerungsgruppen aus. Sowohl in den deutschen wie auch in den Medien überall in der Welt wurde zunehmend schärfere Kritik auch am Verhalten der politisch Verantwortlichen laut. In fast allen großen deutschen Städten gab es Lichterketten gegen rassistische Gewalt, an denen Hunderttausende teilnahmen.

Am 23.3.1994 kommt eine schwangere Türkin zusammen mit ihrer vierjährigen Tochter in Stuttgart infolge eines Brandanschlags ums Leben. Am 25.3.94 ein weiterer Brandanschlag, diesmal von Neonazis auf die Lübecker Synagoge. Nur durch glückliche Umstände kommen Menschen nicht zu Schaden. Im Mai des folgen-den Jahres kommt es zu einem weiteren Brandanschlag auf die gleiche Synagoge. Dies sind nur die Höhepunkte einer Vielzahl antisemitischer Anschläge auf jüdische Einrichtungen aller Art.

Als jemand, der seit über 30 Jahren in Deutschland lebt, macht mich gerade diese antisemi-tische Gewalt fassungslos und betroffen. In einem Lande, in dem vor 50 Jahren über sechs Millionen Juden auf unvorstellbar grausame Weise vernichtet wurden, müßte der Antisemi-tismus mit allen Mitteln entschieden bekämpft und ihm der Boden entzogen werden.

Am 18.1.1996 sterben 10 Asylbewerber bei einem Brand in ihrer Unterkunft in Lübeck. Tief erschüttert, empört und betroffen stand ich unmittelbar nach dem Anschlag vor der Ruine des abgebrannten Gebäudes. Nach wie vor herrscht keine Klarheit darüber, ob es sich bei dieser Katastrophe um einen Anschlag durch Rechtsradikale handelte. Ein Gericht beschäf-tigt sich bis heute mit der Klärung dieses Falles.

Am 16.10.1996 kommt es in Karlsruhe zu einem neuerlichen Brandanschlag, bei dem drei Türken getötet werden. Im Gegensatz zu den bisherigen Anschlägen wurde dort von den Ermittlungsbehörden zunächst ein technischer Defekt als Brandursache angegeben. Daher nahmen die deutschen Medien von diesem Ereignis auch kaum Notiz, während die türkische Presse sehr ausführlich berichtete. Inzwischen deutet jedoch alles darauf hin, daß es sich auch hier um einen Anschlag mit rechtsradikalem Hintergrund handelte. Bei uns Türken macht sich daher das Gefühl breit, daß Polizei und Staatsanwaltschaft die Öffentlichkeit be-wußt über Täter und Motive im Unklaren läßt, damit es weder in den deutschen Medien noch weltweit zu Reaktionen wie nach Mölln oder Solingen kommt. Diese neue Qualität im Um-gang mit rechtsradikaler Gewalt gegen Türken und andere Nichtdeutsche beunruhigt uns zutiefst. Es macht uns betroffen, daß nicht wenigstens ein Aufschrei durch die Gesellschaft geht, daß nichts getan wird, um eine Wiederholung zu verhindern.

Aufgrund dieser Ereignisse begann Weltöffentlichkeit mit großer Aufmerksamkeit und zu-nehmend mit Sorge und heftiger Kritik auf die Entwicklung in Deutschland zu reagieren. Dank des Einflusses der Weltöffentlichkeit aber auch dank der kritischen Berichterstattung in Deutschland selbst, kamen die Regierenden zu der Erkenntnis, daß sie über das Ziel hi-nausgeschossen waren. Das Ansehen Deutschlands hatte weltweit gelitten, auch die Wirt-schaft spürte erste negative Auswirkungen. Auch das Asylrecht wurde schließlich so weit beschnitten, daß die Bewerberzahlen ab 1993 deutlich zurückgingen. Millionen von Men-schen, beunruhigt und besorgt, nahmen an Lichterketten und anderen Protestaktionen teil. Selbst Bundeskanzler Kohl war über das Ansehen Deutschlands besorgt. Endlich sollte die-ser außer Kontrolle geratenen rechtsradikalen Gewalt mit rassistischem Hintergrund Einhalt geboten werden.

In welchem Ausmaß die rassistisch motivierte Gewalt gegen Nichtdeutscher zugenommen hat, zeigt die folgende Tabelle:

Dies sind die polizeilich gemeldeten und registrierten Zahlen. Viele gegen Nichtdeutsche verübte Delikte werden erst gar nicht bei der Polizei gemeldet. Die tatsächlichen Zahlen dürf-ten um ein Vielfaches darüber liegen.

Die Presse nimmt meist nur von den schwerwiegendsten Angriffen Notiz. Die Einwanderer, vor allem die Türken, leiden aber alltäglich unter vielfältigen ausländerfeindlichen und rassis-tischen Handlungen, Beleidigungen, Beschimpfungen, Erniedrigungen. Alltäglich lesen sie in den Straßen und an den Wänden, an Bushaltestellen und in U-Bahnen ‚Ausländer raus‘ oder ‚Türken raus‘ und weitere Schmähungen. Aber auch sogenannte Türkenwitze mit er-niedrigendem und aggressivem Inhalt gehören zum deutschen Alltag. Ich persönlich erhalte häufig Briefe, in denen den Türken das gleiche Schicksal angedroht wird, das die Juden durch den Nationalsozialismus erleiden mußten. Dies gipfelte in einem Eintrag im Gästebuch des Schöneberger Rathauses in Berlin, in dem es hieß: ‚Was die Juden hinter sich haben, haben die Türken noch vor sich‘.

Ausländerfeindlichkeit und Rassismus dürfen aber nicht lediglich als eine Sache der Rechts-radikalen und Neonazis angesehen werden. Welche Ablehnung und Intoleranz die Auslän-der täglich erfahren, hat eine junge Studentin selbst erleben und analysieren wollen. Sie kleidete sich wie eine ländliche Türkin mit Kopftuch, änderte ihren Namen und begann, in gebrochenen Deutsch zu sprechen. Ihre Erlebnisse geben die Lebenssituation von Hundert-tausenden von Ausländerinnen wieder. Sie schreibt: ‚Wie gewöhnlich gehe ich zur Haltestelle und warte einige Minuten auf den Bus. Die Leute schauen mich an, mustern mich. Während der Fahrt in die Darmstädter Innenstadt komme ich an Mauern und Häuserwänden vorbei, auf denen ‚Ausländer raus‘ oder ‚Türken raus‘ steht. Das Gefühl, das ich dabei als ‚Türkin‘ empfinde, ist jetzt irgendwie anders. Die Schmierereien machen mir richtig Angst, denn heute bin ich selbst betroffen. ich bin eine von denen, die ‚raus‘ sollen.‘ … ‚In meiner so gewohnten Umgebung war ich plötzlich fremd, fühlte mich als Au-ßenseiter, der hier nichts zu sagen hat und keine Ansprüche stellt.‘ Die Erfahrung dieser als Türkin verkleideten Frau titulierte die Frankfurter Rundschau als ‚ein(en) Gang durch eine Arena der Feindseligkeit‘.

Diese feindselige Atmosphäre geht offensichtlich so weit, daß selbst der ‚Tennisheld der deutschen Nation‘, Boris Becker, angekündigt hat, aus Sorge um seinen Sohn und seine farbige Frau Deutschland demnächst verlassen zu wollen. Beleidigende Anrufe und Dro-hungen will er seiner Frau und seinem Sohn nicht weiterhin zumuten.

Günter Wallraff hatte zweieinhalb Jahre lang als Türke gearbeitet und den Arbeits- und Le-bensbedingungen der Einwanderer nachgeforscht. Die Erfahrungen Wallraffs hatten be-kanntlich weltweites Aufsehen erregt. Frau Funcke, Ausländerbeauftragte der Bundesregie-rung, schrieb in ihrer Stellungnahme zu Wallraffs Buch ‚Der Bericht von Günter Wallraff ‚Ganz unten‘ macht betroffen. … Er ist nicht nur eine Anklage gegen Mißstände im Be-schäftigungsbereich, er richtet sich zugleich auch an die Gesellschaft insgesamt und hält ihr die Frage vor, wie sie mit Menschen anderer Nationalität umgeht – mit Menschen, die seit Jahren oder Jahrzehnten unter uns leben, mit uns arbeiten, lernen und wohnen. Müssen sich diese Menschen nicht vielleicht abgelehnt, zurückgestoßen, mißachtet oder – was noch schlimmer ist – übersehen vorkommen?‘.

Der Rassismus ist in allen Bereichen des täglichen Lebens vorhanden. Bei der Wohnungs- und Arbeitsuche, beim Besuch von Diskotheken oder Gaststätten, überall erleben die Nicht-deutschen ihre Diskriminierung. Bei gezielten Testaktionen zur Wohnungssuche hieß es, wenn Ausländer anriefen, in 90% der Fälle, die Wohnung sei bereits vergeben. Rief an-schließend ein Deutscher an, waren die Wohnungen aber in 8 von 10 Fällen noch frei.

Die Diskriminierung hört selbst in den öffentlichen Ämtern nicht auf. Nicht selten werden Einwanderer in Behörden grob und inhuman behandelt. Nicht selten entsteht bei vielen Ein-wanderern der Eindruck, daß selbst die Polizei ihre Aufgaben nicht unparteiisch wahrnimmt.

Auch manche Gesetze diskriminieren Ausländer gezielt. So wird nach dem Arbeitsförde-rungsgesetz ein Arbeitsplatz erst dann einem Ausländer angeboten, wenn es dafür keine deutschen oder diesen gleichgestellte Bewerber aus den Staaten der EU gibt.

Diese Entwicklung ist in höchstem Maße alarmierend. Ohne Unterschied der politischen Ge-sinnung und Parteizugehörigkeit sollten alle Demokraten in Deutschland diesen Zustand als Herausforderung begreifen und ohne Zeitverlust mit allen demokratischen Mitteln und Mög-lichkeiten diesem Trend zur Erneuerung einer rassistisch-faschistoiden Ideologien entge-genwirken.

WAS SIND DIE GRÜNDE UND WER TRÄGT DIE VERANTWORTUNG FÜR DIESE ENTWICKLUNG?

Die Gründe für die Zunahme von Ausländerfeindlichkeit und Rassismus sind vielfältig. Der Hauptnährboden für rassistisch-ausländerfeindliche Ideologien und Handlungen ist sicherlich in den ungelösten Problemen im ökonomischen und sozialen Bereich zu suchen. Die seit Ende der siebziger Jahre andauernde Arbeitslosigkeit, die in den letzten zehn Jahren im Jahresdurchschnitt knapp 10 % betrug, die verschärfte Wohnungsnot, vor allem in den Großstädten, Schwierigkeiten in den Schulen der Ballungsgebiete mit hohem Ausländeran-teil gehören zu den wichtigsten dieser Engpässe. Der Kampf gegen Rassismus und Auslän-derfeindlichkeit macht es also zwingend notwendig, die sozialen und ökonomischen Proble-me anzugehen und sie zu beseitigen.

Die genannten Engpässe begünstigen zwar Ausländerfeindlichkeit und Rassismus, müssen aber nicht automatisch dazu führen. Dies ist sehr oft erst dann der Fall, wenn die von Ar-beitslosigkeit, Wohnungsnot und relativer Armut Betroffenen hierfür die Minderheiten ver-antwortlich machen. Oder wenn sie zu der Ansicht gelangen, ‚die Fremden, die Ausländer haben nicht das Recht, in diesem Land zu sein, zu leben und zu arbeiten.‘

Und hier beginnt die Verantwortung der Politik. Hier kommt es darauf an, ob die Politiker für diese entstandenen Mißstände und Schwierigkeiten mit ihrem Finger auf die Minderheiten zeigen und sie zum Sündenbock für das Versagen der Politik machen oder ob sie der Be-völkerung die entstandenen Lage sachlich und objektiv erklären. Mindestens genauso wich-tig ist ihr Verständnis vom Daseinsrecht der Minderheiten, d.h., ob sie der Bevölkerung sa-gen, daß diese Minderheiten zum festen Bestandteil der Gesellschaft geworden sind und zu diesem Land gehören und ob sie die dafür notwendigen Rahmenbedingungen schaffen.

Leider halten die Regierungen in der Bundesrepublik Deutschland unverändert an einer Poli-tik fest, die darauf abzielt, die Einwanderer je nach dem Bedarf des Arbeitsmarktes zu be-schäftigen. Bis heute wird darauf beharrt, daß die seit nunmehr 10, 20, 30 Jahren oder noch länger in der Bundesrepublik lebenden Nichtdeutschen keine Einwanderer sondern Auslän-der seien. Selbst die in der Bundesrepublik Deutschland geborenen und dort aufgewachse-nen Kinder der Einwanderer, die rund ein Drittel der Ausländerbevölkerung ausmachen, werden Ausländer genannt und rechtlich so behandelt. Ich glaube, im Vergleich zu allen üb-rigen europäischen Staaten ist es ein deutsches Phänomen, daß die Politik für die seit Jahr-zehnten in der Bundesrepublik lebenden und dort geborenen Menschen ausschließlich den Begriff ‚Ausländer‘ verwendet.

Dies ist eine bewußte Politik der Absonderung dieser Menschen von der deutschen Bevölke-rung. Ausländer ist eben Ausländer, also jemand, der nicht zu diesem Lande gehört, dessen Aufenthalt hier provisorisch ist und der keine dauerhaften Rechtsansprüche stellen darf. Diese Politik prägt das Bewußtsein der Bevölkerung auch im Verhältnis gegenüber den Min-derheiten, daß nämlich die Ausländer letztlich eben kein Recht haben, bei Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot im Lande zu bleiben, sie haben zu gehen.

In der Wochenzeitung ‚Die Zeit‘ schreibt Chefredakteur Robert Leicht unter der Überschrift ‚Aus Knechten Bürger machen – fast jeder zehnte hat in Deutschland nichts zu sagen, weil er als Ausländer gilt‘: ‚So bleibt es nach wie vor bei dem Skandal, das fast ein Zehntel un-serer Wohnbevölkerung nichts zu sagen hat, daß die sieben Millionen Menschen ausländi-sche Abstammung hierzulande … politisch ins Abseits gestellt und von niemandem vertreten werden:Knechte nur, nicht Bürger. Zwar dürfen sie Steuern und Beiträge bezahlen – aber wählen und gewählt werden? …. Die Bundesrepublik, die modernste Demokratie, der beste Verfassungsstaat der deutschen Gechichte, leistet sich unverdrossen diese Dauerdskrimi-nierung‘.

Durch zahlreiche Erklärungen verantwortlicher Politiker wird diese Haltung bei der deutschen Bevölkerung sogar verstärkt. Ich möchte diese fatale und folgenschwere Politik nur an einem Beispiel deutlich zu machen: In einer Presseerklärung sagte der für Ausländerfragen zu-ständige ehemalige Innensenator von Westberlin, Lummer: ‚Das Ausländerproblem ist ne-ben der schwierigen wirtschaftlichen Situation, der kritischen Arbeitsmarktlage und der Zer-rüttung der Staatsfinanzen das schwerwiegendste politische Problemfeld, das die Bundesre-gierung und der Berliner Senat als Hinterlassenschaft ihrer Amtsvorgänger haben überneh-men müssen. Dieses Problem ist gekennzeichnet durch eine zu große Zahl in Deutschland lebender Ausländer, ihre Massierung in großstädtischen Ballungsgebieten, ihren vergleichs-weise geringen Bildungs- und Ausbildungsstand, ihren überproportionalen Anteil an der Zahl der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger, die überdurchschnittliche Kriminalitätsbelastung und die vielfach geringe Bereitschaft oder Fähigkeit zur Eingliederung in die hiesigen Le-bensbedingungen und Gebräuche.

Diese Faktoren resultieren in einer Belastung unseres Wirtschafts- und Sozialsystems, die auf Dauer weder vertretbar noch verkraftbar ist.‘

Es war diese von Teilen der Politik so gewollte politische Atmosphäre, die diesen Zustand herbeiredete und ermöglichte, und erst die dann einsetzende Reaktion mit ihren für das An-sehen Deutschlands negativen Auswirkungen führte dazu, eine weitere Eskalation vorerst einzudämmen.

Die Ereignisse der vergangenen Wochen lassen leider erkennen, daß die Politiker aus den deutlichen Reaktionen der deutschen wie der Weltöffentlichkeit in den zurückliegenden Jah-ren die falschen Schlüsse gezogen haben. Statt massiv gegen die Ursachen vorzugehen, werden rassistisch motivierte Morde, werden aber auch diesbezügliche Übergriffe von Poli-zeibeamten aus Angst vor Imageverlusten möglichst unter den Teppich gekehrt. Es paßt in dieses Bild, wenn die Brandanschläge von Karlsruhe, bei denen jüngst drei Türken getötet wurden, außer in der lokalen Berichterstattung keine Erwähnung fanden. Gleiches haben hohe Polizeibeamte in Hamburg versucht, obwohl hinlänglich bekannt war, daß Beamte jah-relang unbehelligt Ausländer, dort meist Schwarzafrikaner, in den Kellern der Revierwachen verprügelten.

GEGENSTRATEGIEN

Der vom Nationalsozialismus als Staatsideologie vertretene und praktizierte Rassismus hat in seiner weilweit exstremsten Form in Deutschland bis in die heutige Zeit reichende Auswir-kungen. Dies hat verständlicherweise zur Folge, daß viele Menschen mit der Verwendung des Begriffs ‚Rassismus‘ – im Unterschied zu vielen anderen Ländern – nach wie vor erheb-liche Schwierigkeiten haben. Noch bis vor einem Jahrzehnt vertrat ich daher die Auffassung, daß wir bei der Verwendung des Begriffs ‚Rassismus‘ in bezug auf die heutigen Ereignisse in Deutschland wegen der Erfahrungen im Dritten Reich sehr vorsichtig sein sollten.

Ich kam aber zu der Überzeugung, daß Deutschland damit kein guter Dienst erwiesen wird, wenn man die heutigen Formen des Rassismus mit Rücksicht auf die deutsche Geschichte in der Wortwahl verharmlost. Die oben gemachten Ausführungen belegen mehr als deutlich, daß es in Deutschland einen ernst zu nehmenden Bodensatz rechtsradikaler Menschen und rassistischen Gedankenguts gibt. Es gilt, sich mit den unterschiedlichen Formen des Ras-sismus, sei er versteckt oder offen militant und gewalttätig, auseinanderzusetzen.

Ideologie und Praxis des Rassismus versuchen, stets die Scwachen in unserer Gesellschaft zu Sündenböcken zu machen. Daher müßten bei der Bekämpfung des Rassismus gerade die kulturellen Minderheiten von ihrer rechtlichen, politischen, sozialen und kulturellen Be-nachteiligungen und Diskriminierungen befreit werden. Aus diesem Grunde ist eine radikale Neuorientierung von der Ausländerpolitik hin zur ‚Kulturellen-Minderheiten-Politik‘ mit dem Ziel der rechtlichen Gleichstellung und Gleichbehandlung der hier dauerhaft lebenden Nicht-deutschen in der Bundesrepublik Deutschland dringend erforderlich.

Der beste Weg zur Gleichstellung der Immigranten und ihrer Kinder wäre die Einführung der Doppelstaatsangehörigkeit mit ruhender Staatsangehörigkeit des Herkunftslandes und akti-ver Staatsbürgerschaft der Bundesrepublik Deutschland. Diese Forderung der Einwanderer erfährt zunehmend Unterstützung durch Gewerkschaften und Kirchen, die SPD, die Grünen, die FDP, ja zunehmend selbst durch Teile der CDU.

Für den Kampf gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit aber auch für die Gleichbe-handlung ist die Verabschiedung eines Gesetzes erforderlich, welches rassistisch-ausländerfeindliche Äußerungen und Handlungen unter Strafe stellt. Zu diesem Zweck wur-de 1989 in Frankreich ein Antidiskriminierungsgesetz verabschiedet. Bekanntlich hatten bereits Belgien im Juli 1981 und Schweden 1983 ein solches Antidiskriminierungsgesetz verabschiedet und strafrechtliche Sanktionen bei Zuwiderhandlung festgeschrieben. Für die praktische Umsetzung eines solchen Gesetzes ist die Einrichtung eines unabhängigen ‚Antidiskriminierungsbüros‘ erforderlich, um sämtliche rassistisch-ausländerfeindlichen Vor-kommnisse zu registrieren und Gegenmaßnahmen zu ermöglichen.

Die Grundvoraussetzung eines friedlich-solidarischen Zusammenlebens der in Deutschland dauerhaft lebenden kulturellen Minderheiten mit der deutschen Bevölkerung ist nicht nur die rechtliche, politische und soziale Gleichstellung sondern auch ihre Gleichbehandlung in allen Bereichen der Gesellschaft. Dies ist heute nicht gewährleistet. Deshalb braucht auch Deutschland neben anderem ein Antidiskriminierungsgesetz, ähnlich wie es u.a. bereits die USA, Kanada, die Niederlande, Frankreich, Belgien, Großbritannien und Schweden haben.

Ziel und Zweck eines solchen Gesetzes ist die Beseitigung und Verhinderung von Benach-teiligungen der nichtdeutschen Bevölkerung von staatlicher und von privater Seite.

Adressaten des Gesetzes sind dementsprechend sowohl der Staat als auch private und ju-ristische Personen.

Selbst wenn es nicht allen Politikern bewußt und verständlich ist, kann eine dauerhafte Aus-grenzung von Menschen, die anerkanntermaßen Mitglieder der deutschen Gesellschaft sind, nicht anders als eine andere Form der Apartheid, also des Rassismus, bezeichnet werden. Es kann auch nicht anders verstanden werden, wenn Menschen, die seit 10, 20 oder mehr als 30 Jahren in Deutschland leben, und zwar mit allen Pflichten (bis auf den Wehrdienst, den sie nicht leisten dürfen), von denen viele sogar in Deutschland geboren wurden, Schu-len besuchten und ihre Berufe erlernten, mit einem Sonderrecht, also minderen Rechten hier leben. Da hilft auch nicht das Argument, sie besäßen nicht die deutsche Staatsbürgerschaft. Den Menschen, die allein den Makel aufweisen, in ihrer Ahnenreihe nicht auf deutschstäm-mige Vorfahren gestoßen zu sein, wird der Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft so weit erschwert, daß sie sie nur unter großen Opfern oder gar nicht erwerben können. Zugleich erhalten aber Aussiedler aus Kasachstan, Rumänien oder anderen ehemaligen Staaten des Ostblocks ohne Probleme die deutsche Staatsbürgerschaft, weil sie deutscher Abstimmung sind, obwohl sie oft weder deutsch sprechen noch je in Deutschland gelebt haben.

Deshalb finden Nichtdeutsche auch keinen Zugang zu Berufen im Öffentlichen Dienst, selbst wenn dieses als gesellschaftspolitisch wichtig angesehen wird. So können sie ohne deut-schen Paß nicht als Polizeibeamte eingestellt werden. Da dies aber oft sinnvoll und politisch erwünscht ist, muß man dafür über Hilfskonstruktionen zweifelhafte Möglichkeiten finden.

Wir haben es hier also mit einer institutionalisierten Absonderung, Diskriminierung und einer neuen Form des Rassismus zu tun. Wer den Rassismus bekämpfen will, muß vor allem hel-fen, diese staatlich praktizierte Diskriminierung zu beseitigen.

Bei der Gegenwehr gegen den Rassismus erachte ich folgende Maßnahmen für überfällig:

1. Beseitigung der institutionalisierten Diskriminierung durch eine erleichterte Ein-bürgerungspolitik, ohne den Zwang des Verlusts der bisherigen Staatsbürger-schaft. Wer sind diese sogenannten Nichtdeutschen, die als Ausländer bezeichnet werden? Weshalb besitzen diese dauerhaft in Deutschland lebenden Menschen nicht die deut-sche Staatsbürgerschaft? Diese ‚Ausländer‘ leben meist seit Jahrzehnten mit ihrem Dauerwohnsitz in Deutschland. Ihre Kinder sind gebürtige Bundesrepublikaner oder in Deutschland aufgewachsen. Ihre En-kel werden in Deutschland geboren. Sie gehen in ihrem Wohnort zum Kindergarten, zur Schule, und erst in einem fortgeschrittenen Alter erfahren und erleben sie, daß sie ‚Auslän-der‘ oder ‚Fremde‘ sind. Die erste Generation, die angeworbenen Arbeitsimmigranten, haben ihren Wunsch, nach einem mehr oder weniger kurzen Aufenthalt in Deutschland in ihr Herkunftsland zurückzukehren, mehrheitlich längst aufgegeben. Deutschland ist für diese Menschen faktisch zur neuen Heimat geworden. In gleicher Weise wie die deutschen Staatsbürger zahlen sie ihre Steuern, Sozialabgaben und Rentenbeiträge. Darüber hinaus beteiligen sie sich in Milliardenhöhe durch den Solidaritätszuschlag an den Kosten der Wie-dervereinigung Deutschlands. Sie erfüllen alle staatsbürgerlichen Pflichten bis auf den Wehrdienst, den sie als Nichtdeutsche ungewollt nicht leisten dürfen. Doch diesen Men-schen, die längst zu einem festen Bestandteil dieses Landes geworden sind, blieb der Er-werb der deutschen Staatsbürgerschaft – von nur wenigen Ausnahmen abgesehen, bis zum Inkrafttreten des neuen Ausländergesetzes am 1. Januar 1991 versperrt.

Bis heute ist das geltende Staatsangehörigkeitsrecht von 1913 im Wesentlichen unverän-dert. Dabei wurde an dem Prinzip der Abstammung von deutschem Blut, von deutschen Vor-fahren also, bis heute festgehalten. Die Eingewanderten ohne deutsche Vorfahren hingegen konnten bisher nur auf Antrag nach den sehr strengen Modalitäten und dem Ermessen der Behörden eingebürgert werden. Hierbei mußte die Einbürgerungsbehörde zu der Überzeu-gung gelangen, der Antragsteller habe sich bereits soweit integriert, daß er als assimiliert, als eingedeutscht akzeptiert werden könne. Dies setzte und setzt noch immer die Aufgabe der bisherigen Staatsbürgerschaft und die völlige Hingabe zum Deutschtum voraus. Diese großen Hürden bewirkten, daß letztlich kaum ein an der deutschen Staatsbürgerschaft Inte-ressierter einen Antrag auf Einbürgerung stellte.

Das neue Ausländergesetz von 1990 sieht zwar in einigen Paragraphen eine Lockerung und Erleichterung bei der Einbürgerung vor, hält aber an der erzwungenen Aufgabe der bisheri-gen Staatsbürgerschaft weitestgehend fest.

Wenn also heute nach über dreißigjähriger Immigration nach Deutschland der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nur von einem kleinen Teil der Einwanderer genutzt wird, so trägt hierfür allein das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht, das am Ende dieses Jahrtau-sends wie ein ‚Einbürgerungsverhinderungsgesetz‘ wirkt, die Verantwortung und keines-wegs die Einwanderer.

In dieser Hinsicht ist Deutschland im Vergleich zu allen seinen Nachbarn, insbesondere ne-ben Frankreich und Großbritannien, ein ultrakonservatives, wenn nicht gar rückständiges Land. Bereits durch Geburt erwerben alle Immigrantenkinder in Frankreich und Großbritan-nien, um bei diesen Ländern zu bleiben, automatisch die dortige Staatsbürgerschaft. Die erste Generation kann nach fünfjährigem Aufenthalt die französische bzw. britische Staats-bürgerschaft erwerben, ohne ihre bisherige aufgeben zu müssen.

Die in Deutschland dauerhaft lebende Einwandererbevölkerung ist nicht mehr bereit, die Verweigerung ihrer rechtlichen, politischen und sozialen Gleichberechtigung hinzunehmen. Vor allem die zweite und alle nachfolgenden Generationen werden diesem Zustand mit zunehmender Bitterkeit, Empörung und Protest begegnen.

Aber auch das Gebot der Demokratie und der Menschenrechte erfordert die Gleichstellung vor dem Gesetz und die praktizierte Gleichbehandlung aller Menschen, die Deutschland zu ihrem Lebensmittelpunkt gemacht und sich hier niedergelassen haben.

Die Gretchenfrage, die einer raschen Antwort bedarf, lautet also: Wie wird diese Aufgabe zu lösen sein? Auf welchem Wege können wir Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit für alle in Deutschland lebenden Menschen erreichen? Hierbei kommt einem radikal erneuerten und der realen Entwicklung angepaßten Staatsangehörigkeitsrecht eine zentrale Bedeutung zu. Dieses neue Recht muß:

  • den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft durch Geburt in Deutschland für alle au-tomatisch ermöglichen,
  • den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft für die hier dauerhaft lebenden Nicht-deutschen nach einer bestimmten rechtmäßigen Aufenthaltsdauer als einen Rechtsan-spruch vorsehen (in Schweden reichen dafür 3, in Frankreich 5 Jahre aus, auch für Deutschland müßten 5 bis 8 Jahre genügen),
  • beim Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit sollten alle, die aus den unterschied-lichsten, für sie jedoch plausiblen Gründen, ihre alte Staatsbürgerschaft – wenn auch in passiver Form – beibehalten wollen, dieses Recht haben.

‚Von den 26 Europaratsstaaten halten außer der Bundesrepublik Deutschland nur Ös-terreich und Luxemburg‘ so Verfassungsrechtler Hailbronner an der Aufgabe der bis-herigen Staatsangehörigkeit fest.

Kurz: Nur über die Doppelstaatsbürgerschaft, für die ich seit 16 Jahren konsequent eintrete und die die ‚Türkische Gemeinde in Deutschland‘ nebst allen ihren Mitgliedsvereinen zu ihrer zentralen Forderung gemacht hat, haben wir die Chance, das für einen demokratischen Staat selbstverständliche Grundrecht nach Gleichheit aller dort lebenden Menschen zu reali-sieren.

Dieses ist, gerade nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, daß selbst auf kommunaler Ebene nur deutsche Staatsbürger wählen dürfen, die einzige Alternative, die wir haben. Das Gutachten von Prof. Heilbronner zur Doppelstaatsbürgerschaft hat außerdem klargestellt, daß es keine triftigen verfassungs- oder gar völkerrechtlichen Gründe gibt, die gegen eine doppelte Staatsbürgerschaft sprechen.

2. Eine interkulturelle Erziehung als Konzept gegen Rassismus und Antisemitis-mus müßte als Gesamtkonzept gegen Rassismus und Antisemitismus im Vorschul-, Schul- und Hochschulbereich als neue Erziehungs- und Bildungspolitik akzeptiert und eingesetzt werden.

Interkulturell bedeutet dabei:-voneinander lernen, Dialog, Austausch, Entgrenzung, Gegenseitigkeit, Erziehung zur Solidarität; -Anerkennung der Lebensweisen, der Verschiedenheit des Verhaltens und der kulturel-len Werte, ihrer Bedeutsamkeit und ihrer Funktionsweisen. Die interkulturelle Erziehung und Bildung sollte als Chance verstanden werden, in der angestrebten Erziehungs- und Bildungspolitik folgende Ziele zu ermöglichen:-Verständigung zwischen den Menschen aus unterschiedlichen Kulturen. -Offenheit und Toleranz gegenüber dem ‚Anders-Seienden‘. -Abbau von Vorurteilen um eine vorurteilsfreie Auseinandersetzung mit anderen Kulturen zu ermöglichen. 3. Verabschiedung eines Antidiskriminierungsgesetzes, welches auch das Verbot rassistisch-antisemitischer Organisationen und Publikationen beinhalten müßte. Ein solches Gesetz sollte folgendes beinhalten:

  • ‚Positive Aktionen‘: dieses umfaßt die Maßnahmen, die benachteiligte kulturelle Minder-heiten in bestimmten öffentlichen und privaten Bereichen solange bevorzugt zu fördern, bis eine Chancengleichheit mit den übrigen gesellschaftlichen Gruppen hergestellt ist.
  • Benachteiligungsverbote: Benachteiligungsverbote untersagen etwa Arbeitgebern, Vermietern von Wohnraum oder Gastwirten, Nichtdeutsche zu benachteiligen. Diese Vorschriften sollten Beweislasterleichterungen für die Nichtdeutschen enthalten. Eine solche Beweislasterleichterung könnte etwa so aussehen, daß es genügt, daß der Betroffene Tatsachen glaubhaft macht, die eine Benachteiligung vermuten lassen und der andere, z.B. der Arbeitgeber, beweisen muß, daß eine Diskriminierung nicht vorliegt. Benachteiligungsverbote sollten dem Betroffenen Schadensersatz gewäh-ren. Dieser Schadensersatz sollte den Schaden umfassen, den der Betroffene da-durch erleidet, daß er auf das Zustandekommen etwa des Arbeits- oder Mietvertra-ges vertraut hat und auch immateriellen Schadensersatz (eine Art Schmerzensgeld) gewähren. Diskriminierungen von erheblichem Umfang sollten zudem mit Strafe be-droht sein. Daneben sollten in die entsprechenden Gesetze (etwa die Gewerbeord-nung oder das Gaststättengesetz) Regelungen eingefügt werden, wonach bei erheb-lichen Diskriminierungen dem Gewerbetreibenden oder Gastwirt die entsprechende Erlaubnis entzogen werden kann.
  • Strafverschärfung: Die Strafandrohung für Straftaten sollte erhöht werden, wenn diese mit rassistischem Hintergrund begangen werden. Hier könnten die jüngst modi-fizierten Strafrechtsbestimmungen zum Vorbild genommen werden.

‚Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse oder ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder religiösen Gruppe zu Haß oder Diskri-minierung aufruft,

wer öffentlich Ideologien verbreitet, die auf eine systematische Herabsetzung, die Ver-leumdung der Angehörigen einer Rasse oder einer ethnischen oder religiösen Gruppe gerichtet sind,

wer mit dem gleichen Ziel Propagandaaktionen organisiert, fördert oder daran teilnimmt, wer öffentlich durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise eine Person oder einer Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse oder ihrer Zugehörig-keit zu einer ethnischen oder religiösen Gruppe in ihrer Menschenwürde angreift oder aus einem dieser Gründe das Andenken von Verstorbenen verunglimpft, wer in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit einer Person oder einer Gruppe von Perso-nen wegen ihrer Rasse oder ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder religiösen Gruppe eine öffentlich angebotene Leistung verweigert, wird mit Gefängnis oder mit (Geld)Buße bestraft.

  • Vertretung in den Rundfunkräten: Kulturelle Minderheiten müssen in Institutionen wie den Rundfunkräten vertreten sein.
  • Bestehende Gesetze überarbeiten: Die bestehenden Regelungen in den Gesetzen, die in Anwendung tatsächlich zu Diskriminierungen von kulturellen Minderheiten füh-ren, müssen abgebaut werden.
  • Beschwerdeinstanz: Das Antidiskriminierungsgesetz schreibt auch die Errichtung von Beschwerdestellen gegen Diskriminierung der kulturellen Minderheiten vor. Die-se Beschwerdestellen sind auf Landesebene anzusiedeln. Sie sind schlichtungs- und klagebefugt.
  • Subventionsvoraussetzungen: Darüber hinaus dürfen staatliche Subventionen und Aufträge des Bundes und der Länder nur dann an Unternehmen vergeben werden, wenn diese nachweisen können, daß sie die Ziele des Gesetzes, nämlich Gleichstellung und Gleichbehandlung erfüllen.