Die brutalen Terroranschläge in New York und Washington darf man wohl zu Recht von ihrer Wirkung und Brutalität aber auch von ihrer Perfektion her als die schlimmsten des Jahrtausends bezeichnen.
Auf grausamste Weise sind nach jüngsten Erkenntnissen möglicherweise mehr als 6000 unschuldige und unbeteiligte Menschen in wenigen Minuten getötet worden. Was auch die Begründung und das Ziel der Terroristen sein mag, mit nichts können Terroranschläge entschuldigt werden, wo sie auch immer geschehen. Jeder Terror muss, was auch immer zu seiner Rechtfertigung vorgebracht werden mag, weltweit geächtet und als Feind der Menschlichkeit mit allen rechtsstaatlichen und völkerrechtlichen Mitteln entschieden bekämpft werden. Dies war und ist auch heute unsere Position.
Auch wenn Terror sich unter einem religiösen, ideologischen oder ethnischen Deckmantel versteckt, darf er nicht entschuldigt oder toleriert werden. Diese Haltung war bis heute in den westeuropäischen Staaten nicht immer erkennbar. Während der Terror in den eigenen Ländern entschieden bekämpft wurde, fand man Entschuldigungen für die Terroranschläge in anderen Ländern. Nicht selten wurden die Terrororganisationen als ‚Befreiungskämpfer‘ angesehen. Die Türkei wurde bei den Terroranschlägen, denen rund 30.000 Menschen in den letzten 15 Jahren zum Opfer fielen, langer Zeit nicht nur allein gelassen, die Terroristen bekamen sogar von hier und dort Unterstützung.
Es ist fatal, Terror und Terroranschläge mit zweierlei Maß zu bewerten. Nur ein gemeinsames und konsequentes Vorgehen aller Demokraten gegen den Terror aber auch gegen dessen Ursachen kann bei der Bekämpfung des Terrorismus zum Erfolg führen.
‚Der wahre Freund spricht die bittere Wahrheit aus !‘ so ein türkisches Sprichwort !
Wir haben volles Verständnis dafür, dass die USA, unterstützt durch ihre NATO-Partner, gegen diese Terroranschläge von New York und Washington entschideden vorgehen will. Dabei sollte jedoch dringend beachtet werden
• nur die Verantwortlichen und Schuldigen hierbei zu treffen,
• vor allem die Zivilbevölkerung nicht in Mitleidenschaft zu ziehen,
• die Bekämpfung des Terrorismus nicht allein auf militärische Schläge zu reduzieren.
Weitaus wirksamer und wichtiger ist es nämlich, dem Terrorismus mit politischen, sozialen und ökonomischen Mitteln und Maßnahmen entgegenzutreten, um ihm so den Nährboden zu entziehen. Gegen die USA als Führungsmacht der westlichen Welt, aber auch gegen ihre Verbündeten ist bei großen Teilen der Bevölkerung anderer Länder der sogenannten Dritten Welt eine breite Antipathie, wenn nicht Hass entstanden. Mehr als 800 Millionen Menschen in diesen Ländern leben unter dem Existenzminimum. Täglich sterben über 20.000 Kinder an Unterernährung und Hunger. Eine chronische Arbeitslosigkeit von 20 bis 50 Prozent, eine hohe Inflationsrate, ein mangelhaftes Gesundheits- und Bildungswesen, eine zunehmende Kluft zwischen den breiten armen Bevölkerungsteilen und einer dünner Ober- und Mittelschicht und nicht selten eine mit Hilfe der westlichen Staaten an die Macht gekommene und die Macht erhaltende und nur an die eigene Interessen denkende Führungsschicht, führt die Masse der Bevölkerung auf die Barrikaden.
Viele Menschen und vor allem die informierten jungen Menschen in diesen Entwicklungsländern kennen die Gründe und Ursachen ihrer miserablen Lebensbedingungen.
• Sie wissen, dass sie unter einer Doppelausbeutung leiden, die der entwickelten Industriestaaten und die der eigenen Herrschenden als Regierende im Lande. Sehr oft wird Ihr Kampf gegen diese Ausbeutung und Unterdrückung und für eine gerechtere und humane Gesellschaftsordnung mit Hilfe der USA und anderer westlicher Staaten erschwert oder auch verhindert.
• Sie meinen, dass die Institutionen, wie Weltbank und IWF heute die alte koloniale Politik mit neuen Mitteln fortführen. Nicht nur, aber auch die Wirtschaftspolitik vor allem die Verschuldungspolitik dieser Institutionen hat viele Entwicklungsländer an den Rand des Ruins geführt.
• Sie erkennen die Zusammenhänge zwischen ihrem Elend, ihrer Armut und der mangelhaften Entwicklung ihrer Länder und dem Reichtums und der Wohlfahrt der entwickelten Staaten, der sogenannten ‚freien Welt‘. Diese Lage ist vielleicht nicht die alleinige Grundlage des Terrorismus, stellt aber mit Sicherheit den Grund dafür dar, dass viele verzweifelte und in Not lebende Menschen den Terror gegen die Industrienationen, die als Ursache des eigenen Elends ausgemacht sind, billigen.
Zurecht wies Bundespräsident Johannes Rau in seiner Ansprache bei der Solidaritätskundgebung mit den USA am 14.September 2001 in Berlin auf diese Problematik hin, als er sagte: ‚Armut und Ausbeutung, Elend und Rechtlosigkeit lassen Menschen verzweifeln. Die Missachtung religiöser, Gefühle und kultureller Traditionen nimmt Menschen Hoffnung und Würde. Das verführt manche zu Gewalt und Terror. Das sät den Hass schon in den Herzen von Kindern. (…) Wer in Würde und Zuversicht lebt, aus dem wird kaum ein Selbsmordattentäter werden. (..) Der beste Schutz gegen Terror, Gewalt und Krieg ist eine gerechte internationale Ordnung.‘ Wir, die Menschen in den entwickelten Wohlfahrtsstaaten der Welt, müssen begreifen, dass wir nicht auf einer Insel der Wohlfahrt, nicht in einer Festung leben können, und dies meist auf Kosten der Armen dieser Erde, ohne Rücksicht auf die unmenschlichen Lebensbedingungen von Milliarden von Menschen in den Ländern der Dritten Welt.
Viele Menschen, insbesondere in den islamischen Ländern, missbilligen auch die Rolle der USA bei den seit Jahrzehnten andauernden kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten. Der Kampf gegen den Terrorismus muss diese Aspekte mit einbeziehen, die ihn als Nährboden begünstigen, oder sogar verursachen. Deshalb brauchen wir:
• eine sozial und ökonomisch gerechtere Welt- und Weltwirtschaftsordnung,
• den Frieden nicht nur bei uns, sondern überall der Welt,
• und wir müssen die Würde des Menschen nicht nur bei uns als unantastbar achten und schützen, sondern auch anderswo der Welt.
Nicht nur mit Militär und Polizei, sondern vor allem mit diesen und weiteren Maßnahmen können wir für mehr Sicherheit und zwar längerfristig und weltweit sorgen.
Den interkulturellen und Interreligiösen Dialog stärken, anstelle den Islam als Feindbild darzustellen!
Wir beobachten mit Sorge, dass die barbarischen Terroranschläge in den USA von manchen Menschen auf der Straße, am Arbeitsplatz, in den Medien und in der Politik benutzt werden, um Muslime in Deutschland als potentielle Sympathisanten der Terroristen zu diskreditieren.
In einer Situation tiefster Betroffenheit und berechtigter Empörung die Ängste der Menschen für die eigene parteipolitische Ziele und Ideologien gegen die Einwandererbevölkerung benutzen zu wollen, ist verantwortungslos und unentschuldbar. Den Islam, was übersetzt ‚Frieden‘ bedeutet, als Feind und als Gefahr, die Muslime als potentielle Feinde für die westliche Welt zu sehen und damit einen Kampf der Kulturen und Religionen heraufzubeschwören, wäre dumm und töricht. Dies wäre genau das, was die fanatischen Islamisten und Terroristen erreichen wollten.
Bekanntlich hatte der nicht nur bei der US-Administration einflussreiche Professor Huntington mit seiner Publikation ‚Kampf der Kulturen‘ für große Aufmerksamkeit gesorgt. Demnach wird es nach dem Ende des Ost-West Konflikts nun mehr ein Kampf zwischen den Kulturen, zwischen dem euro-atlantischem Kulturkreis und vor allem dem Islam geben. Diese These scheint auch in Europa einflussreiche Befürworter gefunden zu haben.
Der brutale Terroranschlag in den USA wird von manchen Menschen offensichtlich im Sinne dieser These als ein Kampf der Kulturen und Religionen gedeutet. Es wird vergessen, dass die islamischen Fanatiker auch in den eigenen Ländern den Terror für ihre Ziele anwenden. Der Terror hat keine Religion, keine Ethnien und keine Nationalität. Terror und Terrorismus haben mit dem Islam genau so wenig zu tun, wie das Christentum mit den Anschlägen in Irland und Spanien.
Es hat immer Menschen und Parteien gegeben, die eine Religion für die eigenen politischen und ökonomischen Interessen eingesetzt und instrumentalisiert haben. Der Missbrauch der Religion für politische Ziele, wo und von wem auch immer, muss entschieden bekämpft werden. Die von der Bundesregierung in Angriff genommene Gesetzesänderungen im Vereinsrecht finden daher unsere volle Unterstützung. Die Türkei als ein islamisches Land hat aus eigener langjähriger Erfahrung den Laizismus, die Trennung von Staat und Religion, zu dem unveränderlichen Verfassungsgrundsatz, ähnlich wie der Art. 20 des Grundgesetzes, erhoben. Die Parteien, die versucht haben die Religion für ihre politischen Zwecke einzusetzen, wurden verboten.
Diese neue Entwicklung mit Terroranschlägen von bisher ungekanntem Ausmaß, mit großer Wahrscheinlichkeit vollbracht von islamischen Fanatikern, sollte zum Anlass genommen werden, jetzt erst recht den interkulturellen und interreligiösen Austausch und Dialog zwischen Deutschen und Nichtdeutschen, Christen und Muslimen zu intensivieren. Eine andere Wahl haben wir weder in Deutschland noch anderswo auf der Welt. Nur in einem vorurteilsfreiem Prozess des Austausches und Dialogs zwischen Kulturen und Religionen können die Vorurteile, Ängste abgebaut und das fehlende Wissen erworben werden.i Deutschland ist, wie die meisten Länder dieser Erde, unumkehrbar eine multikulturelle Gesellschaft geworden. Nicht zuletzt diese faktische Entwicklung macht es dringend erforderlich, einer Herausforderung der kulturellen und religiösen Vielfalt gerecht zu werden:
• wenn wir denen, die trotz besseren Wissens aus ideologischen Gründen nicht akzeptieren wollen, dass Deutschland ein Einwanderungsland und eine multikulturelle Gesellschaft ist, in ihrer Provinzialität eine Absage erteilen,
• wenn wir die kulturelle Vielfalt nicht als eine Gefahr, sondern als eine Chance der gegenseitigen Bereicherung verstehen,
• wenn wir die kulturelle Vielfalt mit Instrumenten der interkulturelle Erziehung und Bildung unterstützen. Interkulturelle Erziehung und Bildung in Kindergärten, in den Schulen und Hochschulen soll eintreten:
• für eine Erziehung zur mehr Toleranz,
• für die Förderung des Dialogs,
• für Verständnis und Akzeptanz des Andersseins und
• für die Bereitschaft, Vorurteile abzubauen, einander kennen zu lernen und von einander zu lernen.