Erstmals seit vier Jahren ist der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdoğan am 18. Januar 2009 zu Gesprächen mit EU-Vertretern nach Brüssel gereist.
Im Mittelpunkt des dreitägigen Besuchs standen die seit Oktober 2005 laufenden EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Begleitet wurde Erdoğan von Egemen Bağış, den der türkische Premier erst vor kurzem zum Europaminister ernannt hatte.
In den bisherigen Beitrittsgesprächen sind von den insgesamt 35 Kapiteln nur 10 eröffnet und nur eines abgeschlossen worden. Acht dieser Kapitel sollen vorerst nicht eröffnet werden, solange die Türkei ihre Flughäfen und Häfen für die Republik Zypern nicht öffne, so die Forderung seitens der EU. Nun will die Republik Zypern sogar verhindern, dass in den türkisch-europäischen Beitrittsgesprächen das Energie-Kapitel eröffnet wird. Dabei war es die EU, die in den vergangenen Jahren eine fatale Zypernpolitik verfolgt hat, indem sie nur den südlichen Teil Zyperns, der eine Wiedervereinigung der Insel abgelehnt hatte, in die EU aufnahm. Anstatt die eigenen Fehler einzusehen und mit einer fairen und konstruktiven Nordzypern-Politik mit direkten Wirtschafts- und Handelsbeziehungen die Isolation dieses Teils der Insel zu beenden, verharrt die EU bei der einseitigen Schuldzuweisung an die Türkei.
Die Türkei fordert im Hinblick auf den angestrebten EU-Beitritt zu Recht eine faire, gleichberechtigte Behandlung. Die Türkei hat dabei stets kategorisch die sogenannte ‚privilegierte Partnerschaft‘ als Ersatz einer EU-Vollmitgliedschaft abgelehnt. Nicht zu verstehen ist in diesem Zusammenhang das Vorgehen des Europaparlamentspräsidenten Hans-Gert Pöttering. Noch bevor Erdoğan seine Gespräche auch mit ihm geführt hatte, äußerte Pöttering bereits, er sei gegen eine Vollmitgliedschaft der Türkei und befürworte lediglich eine privilegierte Partnerschaft. Demgegenüber sprach sich EU-Kommissionspräsident Barroso klar für eine Vollmitgliedschaft der Türkei aus und bekräftigte, die Kommission halte ohne Abstriche an den laufenden Beitrittsverhandlungen mit Ankara fest.
Im Zusammenhang mit dem aktuellen Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine betonte Barroso die Bedeutung der Türkei in Bezug auf Europas zukünftige Energieversorgung. Das Pipeline-Projekt Nabucco soll in wenigen Jahren Erdgas aus dem Kaspischen Becken quer durch die Türkei und den Balkan bis nach Österreich transportieren und Europa unabhängiger von Energie-Importen aus Russland machen.
Dieser doppelzüngigen Politik führender Politiker der EU und ihrer Mitgliedsstaaten sind die Menschen in der Türkei überdrüssig geworden. Es ist ein krasser Widerspruch, auf der einen Seite das erlahmte Reformtempo zu kritisieren, was tatsächlich für die jüngste Zeit zutrifft, aber gleichzeitig nur von einer privilegierten Partnerschaft zu sprechen. Zugleich blockieren der griechische Teil Zyperns und Frankreich die Eröffnung neuer Verhandlungskapitel. Während von der Türkei einerseits ein permanentes Engagement eingefordert wird, erschwert man andererseits selbst das zügige Voranschreiten im Beitrittsprozess ganz massiv.
Wenn EU-Vertreter ernsthaft wollen, dass in der Türkei EU-Reformen zügig umgesetzt werden, muss dem Land eine glaubwürdige Vollmitgliedschaftsperspektive ohne Wenn und Aber geboten werden. Hierzu gehört, dass alle Kapitel nacheinander eröffnet und entsprechend behandelt werden.
Hakkı Keskin