Integrationsdefizite dürfen nicht ethnisiert werden!

Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung hat in einer heute aktuellen Studie die Integrationssituation der einzelnen Migrantengruppen untersucht.

Auswahlkriterien sind vor allem Bildungsabschluss Erwerbslosenquote, Staatsbürgerschaft, Selbstständigenanteil, Abhängigkeit von öffentlichen Leistungen, Mischehen u. a.

Demnach sind Migrantinnen und Migranten aus den EU-Staaten am besten integriert. Ebenso haben die Integrationserfolge bei der Gruppe der Spätaussiedler zugenommen. Gegenüber der Elterngeneration, die nach der Wiedervereinigung nach Deutschland gekommen ist, hat sich die Situation der zweiten Spätaussiedlergeneration deutlich verbessert.

Zum Teil massive Integrationsdefizite bestehen dagegen bei Migrantinnen und Migranten aus Ex-Jugoslawien, aus Afrika und der Türkei. Die türkischen Migrantinnen und Migranten stellen mit 3 Millionen Menschen die zweitgrößte Einwanderergruppe dar. 30 Prozent haben keinen Schulabschluss und nur 14 Prozent ein Abitur. Dementsprechend sind überproportional viele von ihnen von Erwerbslosigkeit betroffen oder arbeiten im Niedrigeinkommenssektor.

Es ist richtig, die Integrationssituation der einzelnen Migrantengruppen zu vergleichen. Entscheidend ist aber, welche politischen Konsequenzen hieraus gezogen werden. Falsch und politisch inakzeptabel wäre es, wenn Integrationsdefizite ethnisiert würden!

Die Studie zeigt vielmehr die Notwendigkeit von zielgenaueren Fördermaßnahmen für die integrationsschwächeren Migrantengruppen auf. Hierzu gehört insbesondere mehr Chancengerechtigkeit im Bildungssystem. Mit einer Abschaffung des sozial ausgrenzenden, dreigliedrigen Schulwesens und längerem gemeinsamen Lernen in einer integrativen Gemeinschaftsschule für alle könnten Bildungsbenachteiligungen schnell abgebaut werden. Dabei müssen Kinder aus sozial benachteiligten Familien früher und intensiver gefördert werden als bislang.

Des Weiteren sind die sozialen Ursachen für Integrationsdefizite stärker in den Vordergrund zu stellen. Beispielsweise ist die Konzentration einiger Migrantengruppen in bestimmten Stadtvierteln nicht primär Ausdruck eines Abschottungswillens der Betroffenen, sondern hat etwas mit der Einkommenssituation und der Miethöhe zu tun. Ebenso unterstreicht die Studie die Notwendigkeit einer fortschrittlicheren Einbürgerungspolitik. Vor allem bei den türkischen Migrantinnen und Migranten wächst der Integrationserfolg mit der deutschen Staatsangehörigkeit.

Aus diesem Grund ist die Bundesregierung aufgefordert, den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft endlich zu erleichtern und doppelte Staatsangehörigkeiten zu tolerieren. Dies würde integrationsfreundlichere Rahmenbedingungen schaffen und vorhandene Assimilierungsängste bei den Deutsch-Türken abbauen.

Prof. Dr. Hakki Keskin