DIE WELT Das war eine geplante Provokation

Hakki Keskin über die Islam-Karikaturen und die Folgen für den interkulturellen Dialog in Hamburg 'Das war eine geplante Provokation'

Hakki Keskin über die Islam-Karikaturen und die Folgen für den interkulturellen Dialog in Hamburg

von Edgar S. Hasse

Zum strikten Gewaltverzicht im Streit um die Mohammed-Karikaturen hat einer der führenden türkischstämmigen Politiker in Deutschland seine Landsleute aufgerufen. ‚Ich appelliere an die Türken in der Bundesrepublik, sich auf keinen Fall an möglichen gewalttätigen Aktionen zu beteiligen‘, sagte der Hamburger Professor Hakki Keskin, am Montag der WELT. Keskin leitete viele Jahre lang die Türkische Gemeinde in Hamburg und gehört jetzt der Fraktion der Linkspartei im Bundestag an. Er gilt als profilierter Migrationsexperten.

Scharfe Kritik übte Hakki Keskin an der Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen, die vor vier Monaten in der dänischen, islamkritischen Zeitung ‚Jylands-Posten‘ publiziert worden waren. ‚Ich sehe darin eine gewollte und geplante Provokation.‘ Damit werde die Pressefreiheit mißbraucht und der Versuch unternommen, eine ganze Religion mit dem fundamentalistischen Terrorismus gleichzusetzen. Das habe mit Pressefreiheit in einer Demokratie überhaupt nichts zu tun. ‚Man darf über tiefe religiöse Gefühle anderer nicht spotten.‘ Das gelte im übrigen auch für muslimische Karikaturen, die das Christentum oder den jüdischen Glauben verunglimpften.

Die muslimische Welt entrüstet sich vor allem über den Verstoß gegen das islamische Bilderverbot. Danach dürfen weder Allah noch der Prophet bildlich dargestellt werden. Weil dieses Tabu durch die leitenden Journalisten der dänischen Zeitung gravierend verletzt worden sei, fordert der deutsche Politiker jetzt personelle Konsequenzen oder Sanktionen. ‚Die Urheber verdienen es nicht, weiterhin auf diesem Feld tätig zu sein. Sie haben das hohe Gut der Meinungsfreiheit mißbraucht‘, betonte er. Ob die Mitarbeiter nun entlassen werden sollten oder nicht – dazu wollte sich Keskin dann doch nicht äußern.

Genauso scharfe Kritik äußerte der Hamburger Professor an den militanten Ausschreitungen in Syrien und anderen islamischen Staaten. Der Volkszorn werde von radikalen Kräften mißbraucht, denen es nicht um die Sache, sondern um Ideologie gehe, befürchtet er. Die Muslime in diesen Staaten fordert Keskin auf, für ihren Protest die legitimen demokratischen Mittel einzusetzen.

Gerade deshalb müßten die demokratischen Kräfte von den westlichen Staaten gestärkt werden. ‚Auf keinen Fall darf sich das Aggressionspotential weiter gegen Sachen und Personen entladen‘, sagte Keskin mit Blick auf die ersten Todesopfer, welche die gewalttätigen Auseinandersetzungen bereits gestern im arabischen Raum forderten. Die Empörung der Gläubigen müsse jetzt deutliche Grenzen haben. Wie Keskin weiter sagte, dürfte der Karikatur-Streit auch in Deutschland zu einer Belastungsprobe im Verhältnis von Muslimen und Nicht-Muslimen führen. Allerdings hofft der Migrationsexperte auf die Vernunft vor allem seiner türkischen Landsleute, die Gewalt als Mittel der Politik immer abgelehnt hätten. Damit das Miteinander in einer multikulturellen Gesellschaft konfliktfreier funktioniert, setzt er auf eine Intensivierung des Dialogs. ‚Wir kennen uns gegenseitig noch immer nicht genug‘, meint Keskin, der von 1993 bis 1997für die SPD Abgeordneter der Hamburger Bürgerschaft war – und damit der erste türkische Landesparlamentarier in Deutschland. Gerade den Schulen komme bei diesem Dialog eine große Verantwortung zu. Keskin: ‚Auch in Hamburg brauchen wir eine viel intensivere interkulturelle Erziehung, die schon bei Kindern und Jugendlichen beginnt.‘

Artikel erschienen am Die, 7. Februar 2006 Artikel drucken

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