Haben wir wirklich geglaubt, mit der Verurteilung der Täter von Mölln sei alles getan? Ihre harte Bestrafung reiche zur Abschreckung vor weiteren Anschlägen aus?
Die tägliche Praxis beweist leider das Gegenteil, Synagogen und von Ausländern bewohnte Häuser brennen weiter. Es ist reiner Zufall, daß es bei den jüngsten Anschlägen von Lübeck und gestern abend in Bielefeld nicht erneut Opfer zu beklagen gab.
Die immer jünger werdenden Täter nehmen Tote billigend in Kauf. In einer Gesellschaft, in der sich zunehmend jeder nur noch um die Durch-setzung seiner eigenen Interessen bemüht und dies auch anerkannter-maßen zur Maxime der Gesellschaft geworden ist, darf sich dann auch niemand wundern, wenn die allein gelassenen Jugendlichen leichte Beu-te der Demagogie von Neonazis werden, zumal deren simple wie ein-gängige Parolen im Verein mit Freibier eine hohe Anziehungskraft auf die einfachen Gemüter haben, Parolen, die dazu in den Elternhäusern oft unwidersprochen bleiben.
Es wird immer deutlicher, daß wir über unser Wertesystem ganz ernsthaft nachdenken und radikale Korrekturen in der Familien-, Vor-schul- und Schulpolitik vornehmen müssen.
Die Parteien, Kirchen, die Gewerkschaften, Arbeitnehmerverbände und nicht zuletzt die verantwortlichen Politiker müssen sich mit Priorität der Themen Rechtsradikalismus, Rechtsexstremismus und Antisemitis-mus annehmen. Hierzu müssen überzeugende Konzepte, die zu mehr Toleranz, zu mehr Dialog mit Menschen aus anderen Kulturen befähi-gen, ernsthaft berücksichtigt und vor allem im Schulbereich auch finan-ziert werden. Daher fordern wir seit langem eine interkulturelle Erzie-hung in den Ausbildungseinrichtungen.
Wir bitten auch die Medien, die sich in letzter Zeit erfreulicherweise zunehmend sensibler mit rechtsextremen Tendenzen befassen, dies in Zukunft noch intensiver und gründlicher zu tun. Wir benötigen, und dies ist auch seit langem eine unserer zentralen Forderungen, endlich ein Antidiskriminierungsgesetz, das sowohl vor-beugend wie abschreckend wirken soll.
In einer Zeit von zunehmendem Ausländerhaß und Rassismus ist es nicht nachvollziehbar, wenn zu hören ist, daß der Senat dieser Stadt ausgerechnet bei der Stelle seines Ausländerbeauftragten größere Summen einsparen will. Wer außer ihm bemüht sich denn sonst staatli-cherseits darum, durch Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit zu verhin-dern, daß sich immer mehr Jugendliche zu den braunen Agitatoren hin-gezogen fühlen? Der Senat dieser Stadt sollte sich weit eher Gedanken über eine bessere Ausstattung dieser Institution machen, anstatt hier über Einsparungen nachzudenken und zu jammern, wenn beim nächs-ten Mal in Hamburg Brandsätze geworfen werden.
Prof.Dr. Hakký Keskin (Sprecher)