Juden und Moslime in Deutschland - Gemeinsam Fremd ?
Die Türkische Gemeinde in Deutschland: Integration, Fremden-feindlichkeit und türkisch-jüdische Beziehungen.
In den letzten Wochen gehörte die Diskussion über die Reform des Staatsan-gehörigkeitsrechts zu den Hauptthemen in der deutschen Öffentlichkeit, in den Medien wie in der Politik. Nach der Diskussion um das Asylrecht Anfang der 90er Jahre können wir nun ein weiteres Mal eine intensive und teilweise auch feindlich geführte Auseinandersetzung beobachten und als Betroffene beglei-ten. Anlaß dieser Diskussion ist eine seit längerem angekündigte und inzwi-schen auch in einigen Bundesländern angelaufene Unterschriftenaktion der Unionsparteien gegen dieses Reformvorhaben der Bundesregierung.
Mit ungewöhnlicher Schärfe wurde gegen diese Gesetzesvorlage seitens der CDU/CSU polemisiert. Wegen der Aktualität und der großen Bedeutung der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts für die Türkische Gemeinde in Deutschland erlaube ich mir, mich heute zu Beginn meines Beitrags mit der Argumenten der CDU/CSU zu befassen. Dies hat allerdings auch direkt mit der Frage der Integration, dem Thema meines Referats, zu tun.
Gerade die Türkische Gemeinde und ihrer Gründervereine fordern seit Jahren (und ich persönlich seit rund zwei Jahrzehnten, wnn ich dies an dieser Stelle hinzufügen darf) eine radikale Reform des Staatsbürgerschaftsrechts. Wir ha-ben rechtzeitig erkannt, daß die Eingewanderten kulturellen Minderheiten nur mit dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit zu gleichen Rechten in Deutschland kommen können. Auch andere berechtigte Forderungen der Ein-wanderer und ihrer Nachkommen können erst dann bei den Parteien und Re-gierungen Gehör finden, wenn diese Personengruppe z.B. über das Wahlrecht verfügt. Deshalb hat diese Reform für uns in den letzten zehn Jahren die höchste Priorität.
Bekanntlich sind in den letzten Wahlperioden alle Versuche, diese Reform durchzuführen, an der starren Ideologisierung des Themas durch die Unions-parteien gescheitert.
Was nun sind die Argumente der CDU/CSU gegen diese Reform des Staats-angehörigkeitsrechts?
1. Die Einbürgerung müsse, so die CDU/CSU, am Ende der Integration stehen und nicht am Anfang. Daher würde diese Reform die Integration verhindern.
Dafür aber, wann und nach welchen Kriterien die Menschen, die seit drei oder vier Jahrzehnten in Deutschland leben oder gar hier geboren und auf-gewachsen sind, als ‚integrierbar‘ anzusehen seien, werden keine Krite-rien genannt. Die Maßstäbe bleiben also unbekannt.
Die Erfahrungen, die in vielen anderen Ländern inzwischen gemacht wur-den, belegen jedoch, daß die Einbürgerung als ein ganz entscheidendes In-strumentarium für die Integrationspolitik angesehen wird.
In der Tat: Wie soll eine Integration, also eine Angleichung, ein ‚Zusam-menwachsen‘ der kulturellen Minderheiten mit der deutschen Bevölkerung nur die geringste Aussicht auf Erfolg haben, so lange diese Minderheiten mit einem Sonderrecht, dem Ausländerrecht nämlich, abgesondert, abge-schottet, rechtlich, sozial und politisch von der Gesellschaft diskriminiert le-ben muß. Wenn wir heute, vier Jahrzehnte nach der Anwerbung der ersten sogenannten ‚Gastarbeiter‘ immer noch Integrationsdefizite und Reibungs-felder, die es durchaus gibt, beklagen, so deshalb, weil die deutsche Ge-sellschaft es versäumt hat, diese Menschen als einen fester Bestandteil der deutschen Gesellschaft zu akzeptieren und zu behandeln. Die aus dieser Behandlung resultierenden Erfahrungen sind es, die eine Integration ver-hindert haben, also genau das Gegenteil von dem, was von der CDU/CSU behauptet wird.
Man könne nicht zwei Ländern gegenüber loyal sein, deshalb müsse die Entscheidung eindeutig für die deutsche Staatsbürgerschaft fallen, wenn man sich einbürgern lassen wolle.
Loyalität ist eine Frage der gleichberechtigten Aufnahme in die Gesell-schaft. Es ist eine Frage, ob man sich einer Gesellschaft zugehörig und in ihr Zuhause fühlen kann, sich als ein Teil des Ganzen betrachtet. Die bishe-rige Politik hat aber genau dieses versäumt. Bereits der Begriff ‚Ausländer‘ für Menschen, die seit 20, 30 und gar 40 Jahren hier leben, die sogar gebürtiger Hamburger, Berliner oder Hannoveraner sind, ist diskriminierend und provokativ. Dies scheinen die Gegner der erleichterten Einbürgerung nicht begriffen zu haben.
Wahr ist aber auch, daß die Eingewanderten und ihre Kinder auch Wurzeln im Herkunftsland haben. Die Sozialisation der ersten Generation fand voll-ständig dort statt. Diese prägt bis heute die eigene Identität nachhaltig. Auch die Eltern und Verwandten, zu denen sie in der Regel immer noch en-ge Kontakte pflegen, leben dort.
Die Staatsbürgerschaft ist nicht nur ein Stück Papier, sondern ein Teil der Identität.
Wurzeln in zwei Ländern zu haben ist eben für viele Menschen durch die Migration in die Nord und Westeuropäischen Staaten in unserer Zeit zu ei-ner Realität geworden. Wem aber könnte dies schaden? Ich denke, eher das Gegenteil ist der Fall. Die Migranten könnten als eine Art menschlicher Brücke zwischen Deutschland und den Herkunftsländern dienen und dazu beitragen, die Beziehungen zwischen diesen Ländern nachhaltig zu verbes-sern.
3. Die deutsche Bevölkerung wolle die doppelte Staatsbürgerschaft mehrheit-lich nicht, sagen die Unionsparteien. Hierzu gebe es Erhebungen. Ich bezweifele die Seriosität dieser Erhebungen. Es ist, das wissen wir alle bei einer Befragung sehr entscheidend für die Antwort, wie die Frage formu-liert ist.
Im August/September 1994 führte INFAS eine repräsentative Befragung durch. Die damals gestellte Frage war nach meinem Dafürhalten korrekt formuliert, sie lautete: ‚Wie stehen Sie zum Erwerb der deutschen Staats-bürgerschaft von Türken, die lange Jahre hier bei uns leben bzw. hier gebo-ren wurden und weiter hier bleiben wollen?‘
Hier ist der Sachverhalt neutral und richtig formuliert. Man konnte zwischen fünf möglichen Antworten wählen:
Sie sollten deutsche werden 28%
Sie sollten die doppelte Staatsbürgerschaft erwerben können 43%
Sie sollten Türken bleiben 24%
keine Angaben 5%
71 Prozent der Befragten sind also hier für die Verleihung der deutschen Staatsbürgerschaft an Türken, darunter 43 % sogar für den Doppelpaß. Würde man heute mit der gleichen Fragestellung diese Erhebung wiederho-len, würden wir möglicherweise eine noch eindeutigere Antwort erhalten.
Am 3. Dezember 1998 wurde bei einem regionalen Hamburger Fernseh-sender, bei der Sendung ‚Schalthoff live‘ das Pro und Contra einer doppel-ten Staatsangehörigkeit diskutiert. Die Hörer wurden gebeten, sich per Tele-fon dafür oder dagegen auszusprechen.
Für eine doppelte Staatsangehörigkeit waren 52%
Dagegen waren 48%.
Wir sehen, auch dieses Argument ist nicht ganz korrekt. Abgesehen davon, es ist die Aufgabe der verantwortlichen Politiker, bei der Bevölkerung für ei-ne richtige Entscheidung zu werben.
4. Die doppelte Staatsbürgerschaft würde die innere Sicherheit Deutsch-lands gefährden, sagt die CDU/CSU.
Bekanntlich gibt es bei der Einbürgerung Kriterien, die als Voraussetzung zur Erfüllen sind. Unter anderem die Straflosigkeit. Es liegt also in der Hand der Einbürgerungsbehörde, diejenigen, die für die innere Sicherheit nach-weislich eine Gefahr darstellen, nicht einzubürgern.
5. Die doppelte Staatsbürgerschaft wäre verfassungswidrig.
Namhafte Verfassungsrechtler, darunter sogar der konservative Jurist Prof. Heilbronner, sehen keinerlei verfassungsrechtliche Bedenken für den Dop-pelpaß. Das Bundesverfassungsgericht hatte 1990 in seiner Entscheidung zum Kommunalen Wahlrecht für Ausländer sogar den Gesetzgeber aufge-fordert, die Einbürgerung zu erleichtern, damit das Wahlrecht eingeführt werden könne.
Abgesehen davon haben wir in Deutschland bereits mehr als zwei Millionen Doppelstaatler. Bekanntlich erhielten und erhalten bis heute die Aussiedler ihren deutschen Paß ohne Aufgabe ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit.
Wir sehen, die Gegenargumente der Unionsparteien sind in keiner Weise ü-berzeugend.
Der wahre Grund für ihre ablehnende Haltung ist nach meiner Einschätzung ein anderer. CDU und CSU haben in ihrer 16-jährigen Regierungszeit auf-grund ihrer restriktiven Ausländerpolitik und wegen ihrer ablehnenden Haltung gegenüber allen berechtigten Forderungen der Einwandererbevölkerung bei diesen keinerlei Sympathie erwerben können. Zurecht befürchten sie daher, von den neuen Staatsbürgern kaum Stimmen bei Wahlen zu erhalten.
Nach dem vorgelegten Gesetzentwurf könnten rund vier Millionen Einwanderer und ihre Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben. Diese Stimmen werden sicherlich die Wahlergebnisse beeinflussen. Diese Angst ist es, wes-halb die Unionsparteien mit einer Reihe Hilfsargumenten ihre wahre Haltung zu verschleiern suchen und daher eine unangemessen radikale Politik verfol-gen.
Zugleich versuchen sie mit diesem Kurs, Stimmen der rechtsradikalen Parteien bei den zahlreichen in diesem Jahr anstehenden Wahlen auf sich zu ziehen. Dadurch entfernen sich die Unionsparteien aber noch weiter von der Einwan-dererbevölkerung, was dann auch mittel- und längerfristig negative Konse-quenzen für CDU und CSU haben wird. Diese polarisierende Politik zu Lasten der kulturellen Minderheiten ist einer demokratischen Volkspartei wie der CDU nicht würdig. Diese kurzsichtige Politik wird, davon bin ich überzeugt, der CDU viel mehr Schaden bringen als erhofften Nutzen. Deshalb appelliere ich an die CDU, ihre Ausländerpolitik ernsthaft zu überdenken.
Es ist längst an der Zeit, das aus dem Jahre 1913 stammende Einbürgerungs-recht grundlegend zu reformieren.
Die Ausländerfeindlichkeit richtet sich also gezielt gegen bestimmte Nichtdeut-sche und nicht gegen die Ausländer insgesamt. Gerade deshalb hat diese Form der Ausländerfeindlichkeit eher rassistische Züge, und gerade deshalb ist sie wesentlich gefährlicher.
Ausländerfeindlichkeit und Rassismus basieren auf der Anschauung einzelner, einer ‚privilegierten und überlegenen Rasse‘ oder auch einem ‚überlegenen Volk‘ anzugehören, welches sich von ‚minderwertigeren Menschen oder Be-völkerungsgruppen‘ abzuheben hat. Aus Gründen der ‚Reinheit der eigenen Rasse‘ oder der ‚Gefahr der Überfremdung der eigenen Gesellschaft und Kul-tur‘ müssen die ‚Ausländer minderen Wertes‘ nach Möglichkeit aus dem Lande verdrängt, wenn nötig sogar gewaltsam vertrieben werden. Deutsche mit einer derartigen ‚Weltanschauung‘ stellen zwar gemessen an der Ge-samtbevölkerung nur eine kleine Gruppe dar, wegen ihrer Aggressivität und Brutalität sind sie aber äußerst gefährlich.
Noch beunruhigender scheinen mir jedoch diejenigen Deutschen zu sein, die zwar möglicherweise nicht rassistisch oder gar ausländerfeindlich sind, aber aus Unwissen oder Dummheit Migranten und Flüchtlinge für viele Engpässe in der Gesellschaft verantwortlich machen. Diese werden zwar selbst nicht ge-walttätig, tolerieren aber durch ihr Schweigen oder gar zustimmendes Verhal-ten die rassistischen und ausländerfeindlichen Handlungen.
Die vielen Menschen, die am 23.September 1992 in Rostock, sei es als ju-belnde oder stille Zuschauer, die Gewalttäter vor einer Wohnunterkunft für Flüchtlinge unterstützten, gehören zu dieser zweiten Kategorie. Die Trennlinie ist hier zwischen aktiven Rassisten und passiven, gleichwohl wohlwollenden Zuschauern sicherlich sehr schmal. Dieses Verhalten kommt auch bei den Wahlergebnissen in den Bundesländern zum Ausdruck. Dank ihrer Zersplitte-rung schaffen es die neonazistisch oder rechtsradikal orientierten Parteien zwar nur selten, in die Landtage einzuziehen, doch können diese Parteien und Gruppen insgesamt oft 6 – 8% der Stimmen für sich verbuchen. Nach einer repräsentativen Umfrage des Instituts Forsa sprachen sich 23% der befragten Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 25 Jahren dafür aus, ‚daß Ausländer jederzeit aus Deutschland ausgewiesen werden können.‘ Laut Forsa haben vor allem Nationalismus und Ausländerfeindlichkeit seit 1995 in Deutschland stark zugenommen. Nach einer Befragung von 16.154 Bürgern in 15 EU-Staaten im Auftrage des Statistischen Amtes der EU bezeichneten sich Ende 1997 ein Drittel der Befragten als ‚ziemlich‘ oder gar ’sehr‘ rassistisch. ‚Die Ergebnisse für die Bundesrepublik liegen nahe beim EU-Durchschnitt.‘.
Ausländerfeindlichkeit und Rassismus sind aber nicht nur eine Sache der rechtsradikalen und neonazistischen Parteien und Gruppen, die ganz offensiv gegen Nichtdeutsche und Juden vorgehen. Dies erleben die kulturellen Min-derheiten in ganz unterschiedlichen Formen.
Es gehört inzwischen zum Alltag in Deutschland, dass
- Restaurants bestimmte Ausländer nicht bedienen wollen,
- Diskotheken schwarzen oder türkischen Jugendlichen den Zutritt verwehren,
- Versicherungsgesellschaften es ablehnen, die Kraftfahrzeuge von Ausländern zu versichern,
- Betriebe in Deutschland geborene ausländische Jugendliche nicht als Lehrlin-ge oder Beschäftigte einstellen und diese auch von Entlassungen am meisten betroffen sind,
- in Deutschland aufgewachsene und geborene nichtdeutsche Akademiker sel-ten einen Arbeitsplatz gemäß ihrer Qualifikation finden,
- in Wohnungsinseraten darauf verwiesen wird , man wolle nicht an Ausländer vermieten,
- Polizeibeamte bei Mißhandlungen von Ausländern durch Rechtsradikale weg-sehen,
- rassistisch motivierte Gewalttaten wegen der Rechtslage milde bestraft wer-den,
- neonazistische Publikationen und Parteien Rassenhaß, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit offen schüren und somit zur Gewalt einladen,
- Neonazis in zahlreichen Gemeinden und Städten Deutschlands ungestraft ‚befreite Zonen‘ einrichten können,
- und schließlich, daß die Migranten in vielen Bereichen des politischen, sozia-len, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens diskriminiert werden.
Diese Beispiele könnten beliebig erweitert werden. Wie lange noch will es sich der demokratische Rechtsstaat Deutschland leisten, dieser alltäglichen Diskri-minierung von nichtdeutschen Menschen tatenlos zuzusehen?
Die rechtsradikale Gewalt, die sich insbesondere gegen die nichtdeutsche Be-völkerung richtet, hat beängstigende Dimensionen angenommen. Allein in den Jahren 1991-1997 wurden laut Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz 58.125 Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund registriert. ‚Die von Rechtsextremisten und Neonazis verübten Straftaten haben in der Geschichte der Bundesrepublik den bisher höchsten Stand erreicht. Mit 11.719 Straftaten nahm die Gewalt der Rechtsradikalen 1997 um 34 Prozent zu‘. Diese aggressive Form der Ausländerfeindlichkeit wird durch eine Aus-länderpolitik ermutigt, die der vollzogenen und nicht mehr umkehrbaren Einwanderung und Niederlassung von rund 7,5 Millionen Nichtdeutschen keine Rechnung trägt. Weder vorher noch in der 16 Jahre währenden Ära Kohl hat es von Seiten der Regierungen ein klares Bekenntnis dazu ge-geben, daß die sogenannten ‚Ausländer‘, die nach nahezu vierzig Jah-ren Einwanderung teilweise bereits in der dritten Generation hier leben, ein fester Bestandteil der deutschen Gesellschaft geworden sind und da-her als Inländer ohne deutsche Abstammung zu behandeln sind. Sie wurden und werden noch immer mit einem Sonderrecht, den minderen Rechten des Ausländergesetzes, von der deutschen Gesellschaft abge-sondert und abgeschottet.
Hierzu kommt die nicht mehr zeitgemäße Auffassung über das Zusammenle-ben der deutschen Mehrheit mit anderen kulturellen Minderheiten.
Ein breiter Teil der deutschen Bevölkerung hat es ganz offensichtlich nicht leicht, das Anderssein der kulturellen Minderheiten als Selbstverständlich und diese Menschen als Teil der Gesamtbevölkerung so wie sie sind zu akzeptie-ren. Sie stehen den für sie fremden Äußerlichkeiten, Verhaltensweisen und religiös-ethischen Werteorientierungen der Eingewanderten kritisch bis ableh-nend gegenüber. Umgang mit und Toleranz gegenüber dem Anderssein be-darf eines langen Prozesses und daraus resultierende Schwierigkeiten braucht nicht notwendig ausländerfeindlich oder rassistisch zu sein. Im Gegensatz zu Engländern, Franzosen oder Holländern haben die Deutschen keine lange Ko-lonialgeschichte, in der sie mit völlig fremden Kulturen, Religionen und Werte-orientierungen konfrontiert waren oder sich gar an ein Zusammenleben mit Fremden gewöhnen konnten. Zwar hat Deutschland als Land in der Mitte Eu-ropas in der Geschichte immer Zuwanderer gehabt, diese aber sehr rasch as-similieren können, wie dies zuletzt mit den polnischen Einwanderern gegen Ende des 19. und zu Beginn dieses Jahrhunderts geschehen ist. Das Fremde und Anderssein erscheint den Deutschen nicht nur ungewöhnlich, sondern be-denklich und sogar manchmal gefährlich. Der Druck auf die Eingewanderten und ihrer Kinder sich anzupassen, ja sogar zu assimilieren, ist sehr stark spür-bar. Diese Haltung kommt in einem Interview mit dem CDU-Vorsitzenden Wolfgang Schäuble deutlich zum Ausdruck.
Auf die Frage: ‚Deutschland hat sich verändert. Die Großstädte sehen anders aus. Wir haben türkische Geschäfte, türkische Arztpraxen, Reisebüros. Macht Ihnen das Angst?‘ lautete seine Antwort:
‚Das Wort Angst soll man in der Politik möglichst vermeiden. Es ist Anlaß zur Sorge. Wir müssen darauf achten, daß Integration noch möglich bleibt. Ein Übermaß an Fremdheit wird die Kräfte der Mäßigung nicht stärken. Ich will nicht lauter Minderheiten in Deutschland.‘ Mit der Integration ist hier eigent-lich die Assimilation gemeint, und das ist auch von vielen Politikerinnen und Politikern wie von vielen Menschen gewollt.
Selbst Schäuble, einer der angesehensten Politiker Deutschlands, hat dem-nach erhebliche Probleme im Umgang mit und bei der Akzeptanz der Realität. Jeder vierte Bewohner von Frankfurt, Stuttgart und München und jeder fünfte von Köln, Düsseldorf, Ludwigshafen und Hamburg ist heute nichtdeutscher Herkunft. Und dies nicht provisorisch, sondern dauerhaft. Dies ist nicht nur in den deutschen Städten so, sondern in fast allen Industriemetropolen überall auf der Erde. In der Vergangenheit hat es höchst selten ethnisch und kulturell homogenen Gesellschaften gegeben, und dies wird in einer globalisierten Welt erst recht nicht mehr der Fall sein. Daher ist Multikulturalität nicht als Ideologie oder Schlagwort, sondern als eine selbstverständliche Realität unserer Epoche zu verstehen.
Die große Mehrheit der Deutschen hat das Zusammenleben mit Men-schen aus anderen Kulturkreisen am Arbeitsplatz, in der Schule oder im Stadtteil bereits als Normalität akzeptiert. Es sind leider oft die Politiker, die nicht aufhören, die sogenannten Ausländer immer wieder als Sün-denböcke für ihre politischen Zwecke zu instrumentalisieren.
Wir sind gefordert, das gleichberechtigte Zusammenleben zu organisie-ren
Die Grundvoraussetzung eines friedlichen Zusammenlebens der in Deutsch-land dauerhaft lebenden kulturellen Minderheiten mit der deutschen Bevölke-rung ist die rechtliche, politische und soziale Gleichstellung sowie ihre Gleich-behandlung in allen Bereichen der Gesellschaft. Dies ist heute nicht gewähr-leistet.
Deshalb müßte die Einwandererpolitik in Deutschland auf drei Säulen basieren:
1. Der rechtlichen, sozialen und politischen Gleichstellung. Dazu zählen:
- Der Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft, um allen in Deutschland dau-erhaft lebenden Nichtdeutschen volle staatsbürgerliche Rechte zu ermögli-chen.
- Die in Deutschland geborenen Kinder der hier lebenden Immigranten erhalten durch Geburt automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft,
- alle rechtmäßig seit 8 Jahren in Deutschland lebenden Nichtdeutschen haben Anspruch auf den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft, ohne die erzwun-gene Aufgabe ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit (Doppelte Staatsbürger-schaft).
- Die Koalitionsvereinbarung der rot-grünen Regierung mit dem Ziel, das Staatsbürgerschaftsrecht zu reformieren, müßte konsequent und rasch umge-setzt werden.
2. Der interkulturelle Dialog:
- Hierfür ist insbesondere eine interkulturelle Erziehung und Ausbildung im Vor-schul-, Schul- und Hochschulbereich erforderlich. Ein interkultureller Dialog ist aber auch im Bereich der Medien, sowie im Wohn- und Arbeitsleben unver-zichtbar.
3. Die rechtliche Gleichbehandlung:-Um dies für alle Immigranten und ihre Kinder zu ermöglichen, ist ein Gesamt-paket von Antidiskriminierungsmaßnahmen erforderlich.
Bei der Gleichbehandlung der nichtdeutschen Bevölkerung geht es vor allem um dringend erforderliche Maßnahmen, um einerseits der Diskriminierung der kulturellen Minderheiten entgegenzuwirken, andererseits geht es auch darum, eine gezielte Förderung aller Benachteiligten in dieser Gesellschaft zu ermögli-chen.
Deshalb braucht auch Deutschland ein Antidiskriminierungsgesetz (ADG), ähn-lich wie es bereits u.a. die USA, Kanada, die Niederlande, Großbritannien oder Schweden haben.
Deutschland hat zahlreiche völkerrechtliche Abkommen unterzeichnet, die den Schutz vor Diskriminierung zum Inhalt haben. Die aus diesen internationalen Verträgen resultierenden völkerrechtlichen Verpflichtungen müssen vom Ge-setzgeber beachtet und entsprechend dem Grundsatz der völkerrechtskonfor-men Auslegung bei der Interpretation des Rechts berücksichtigt werden.
Viele Länder haben bereits in den vergangenen Jahren im Geiste dieser völ-kerrechtlichen Abkommen eigene nationale Gesetze verabschiedet mit dem Ziel, einerseits die Diskriminierung von ethnisch-kulturellen Minderheiten zu beheben, andererseits aber auch mit ‚positiver Diskriminierung‘ die vorhan-denen Benachteiligungen der Migranten mit Fördermaßnahmen schrittweise zu beheben, um deren Gleichstellung zu erreichen.