Rede in Duisburg

Sehr geehrter Herr Präsident Arens, Meine Damen und Herren, Am 31. Oktober 1961 wurde der bilateraler Vertrag zur Anwerbung türkischer 'Gast-Arbeiter', wie man sie noch bis vor wenigen Jahren nannte, zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei unterzeichnet.

41 Jahre nach der türkischen Arbeitsmigration, und 48 Jahre nach dem ersten Abkommen mit Italien zur Anwerbung der Arbeitsmigranten, sollte es nun mehr um die Gestaltung und Perspektive der Migrationpolitik in Deutschland gehen. Es sollte also um die Visionen gehen, wie die Rahmenbedingungen des Zusammen- und Miteinanderlebens der deutschen Bevölkerung mit den kulturellen Minderheiten aussehen sollen. Keinem von uns wäre geholfen, wenn wir uns nicht offen und mutig darüber austauschen, was getan werden sollte, ja müsste und mit welchen Schritten die Schwierigkeiten des Zusammenlebens bewältigt werden könnten. Deshalb werde ich mir erlauben, das ist meine Art, klar Text zu reden. 1 . Wir brauchen ein grundlegend neues Politikverständnis bei der Einwanderungs- und Integrationspolitik. Es sollte Schluss sein mit den parteipolitischen Debatten, ob wir Einwanderungsland oder multikulturelle Gesellschaft sind oder nicht. Das Verständnis der Politik für und die Sichtweise gegenüber den Eingewanderten und ihren Familienmitgliedern sollte dabei auf neue Grundlagen gestellt werden. 2. Wir brauchen eine Begriffsklärung: Die in Deutschland niedergelassenen Einwanderer und ihre Familien sind weder Gäste noch Ausländer auch nicht ausländische Mitbürger. Es ist an der Zeit sie so zu benennen, wie es der Lebensrealität dieser Menschen entspricht: sie sind Deutschland- Türken, Deutschland-Italiener, Deutschland-Griechen, Deutschland-Spanier usw. Sie sind die neuen ‚kulturellen Minderheiten‘ Deutschlands. Kulturelle Minderheit sollte nunmehr als gängiger allgemeiner Oberbegriff für alle in Deutschland dauerhaft lebenden Menschen ohne deutsche Herkunft Anwendung finden. Deshalb begrüße ich es ausdrücklich, dass Sie Herr Präsident Arens, in Ihrer Einladung zu Recht von ‚türkischen Schleswig-Holsteiner‘ sprechen. Das ist ein richtiger und auch wichtiger Schritt. Der bis heute angewandte Begriff ‚Ausländer‘ ist für Menschen, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben und sogar hier geboren und ausgewachsen sind, diskriminierend und integrationshemmend. Bei dieser Gelegenheit möchte ich erneut erwähnen: mit großem Interesse und Respekt habe ich das im August diesen Jahres veröffentlichte ‚Konzept der Landesregierung zur Integration von Migrantinnen und Migranten in Schleswig-Holstein‘ gelesen.

Zum ersten Mal trägt hierbei eine Landesregierung, geführt durch die zuständigen Ministerien, eine der gesellschaftlichen Realität Deutschlands voll Rechnung, ohne Versteckspiel mit Begriffen und mit längst vollzogenen Realitäten. Ein ganz mutiges Integrationskonzept, insbesondere im Bereich Bildung und Erziehung. Dazu möchte ich der Landesregierung Schleswig-Holstein und allen Mitwirkenden gratulieren.

3. Wir brauchen die Aufnahme der Eingewanderten und hier dauerhaft lebenden in die deutsche Gesellschaft Die Eingewanderten warten noch vor der Tür der deutschen Gesellschaft.

Die Eingewanderten und ihre Kinder und Enkel sind ein fester Bestandteil der deutschen Gesellschaft. Deutschland ist auch ihre Heimat. Diesen Menschen eine gleichberechtigte Aufnahme in die Gesellschaft zu ermöglichen, ist die Grundvoraussetzung der Integration und die primäre Aufgabe der Politik. In der Heimat kann man nicht als Ausländer mit minderen Rechten leben. Diesen Menschen eine gleichberechtigte Aufnahme in die Gesellschaft zu ermöglichen, ist die Grundvoraussetzung der Integration und die primäre Aufgabe der Politik. Ohne rechtliche, politische, soziale Gleichstellung der hier dauerhaft lebenden kulturellen Minderheiten wird es keine Integration gelingen, sonst belügen wir uns selbst. Rund 7,3 Mio. Migranten …………..ergänzen Es ist Aufgabe der Politik, die vorhandenen Barrieren beim Erwerb der Deutschen Staatsbürgerschaft zu beseitigen. Das neue Einbürgerungsrecht verlangt nach wie vor, von Menschen die ab 2000 in Deutschland nicht geboren worden sind, die Aufgabe ihrer bisherigen Staatsbürgerschaft. Dies verhindert vor allem für die erste und zweite Einwanderergeneration den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft. Ähnlich wie in vielen EU-Staaten muss auch Deutschland die Beibehaltung der bisherigen Staatsbürgerschaft tolerieren, damit der Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft auch von großen Teilen der kulturellen Minderheiten angenommen wird.

Das neue Staatsangehörigkeitsgesetz verlangt beim Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft ‚ausreichende Deutschkenntnisse in Wort und Schrift‘. Dieses Kriterium kann weder von der ersten und auch noch der zweiten Einwanderergeneration erfüllt werden. Daher sollte man sich wie im alten Gesetz darauf beschränken, dass man sich ‚in der deutsche Sprache mündlich verständigen‘ kann.

Bei der Anhörung der Süßmut-Kommission zum neuen Zuwanderungsgesetz hatte sich die Türkische Gemeinde ganz entschieden für eine besondere Regelung für die erste und zweite Generation der Migranten eingesetzt. In der Kommission hatte die ehemalige Ausländerbeauftragte der Bundesregierung Frau Cornelia Schmalz-Jakobsen mit unserer Zustimmung den Vorschlag gemacht, dass den Migranten, die bis zum Anwerbestopp (September 1973) nach Deutschland kamen, die Möglichkeit gegeben wird ohne Verlust ihrer bisherigen Staatsbürgerschaft und mit einfachen Deutschkenntnissen die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben zu können. Die Mitglieder der Kommission haben diesen Vorschlag zu eigen gemacht und in den Bericht der Kommission aufgenommen. Zu mindest diese Forderung der Zuwanderungskommission und der Migrantenbevölkerung sollte in die Tat umgesetzt werden.

4. Die kulturelle Vielfalt ist die Zukunft und eine Bereicherung für Deutschland In Deutschland leben rund 7 ,4 Mio. Menschen nichtdeutscher Herkunft (knapp 9% der Gesamtbevölkerung) aus unterschiedlichen Kulturen mit der deutschen Bevölkerung zusammen. Der Anteil dieser kulturellen Minderheiten nimmt stetig zu und wird auch weiterhin steigen. Diese Menschen bilden eine Brücke zwischen ihren Herkunftsländer und Deutschland. In einer Zeit der Globalisierung ist diese Ressource für Deutschland unverzichtbarer Standortvorteil. Diese Menschen machen Deutschland in bezug auf Sprache, Musik, Literatur, Kunst, Sport, Religion, auf unterschiedliche Lebensweise und nicht zuletzt in der Gastronomie bunter, reicher und attraktiver . Dieser Reichtum verdient gefördert zu werden

Kindergärten, Schulen, Hochschulen sind die besten Orte dieser lebendigen und dynamischen kulturellen Vielfalt. Diese Orte können mit einem seit Jahren von Wissenschaftlern geforderten ‚interkulturellen Ansatz‘ im Erziehungs- und Bildungsbereich für alle Kinder zu Laboratorien der sprachlichen Vielfalt, des gegenseitigen Verstehens und Lernens, der Toleranz, der Dialogfähigkeit, der Verständigung und des Abbaus von Vorurteilen gemacht werden. Die Förderung dieses interkulturellen Ansatzes ist das beste Bollwerk gegen rechtsradikale und neonazistische Ideen und damit gegen die von der rechten Szene ausgehende Gewalt. Das Erlernen der Muttersprache ist als Reichtum und als eine berufliche Chance für die Zukunft der Kinder zu verstehen und sollte gezielt gefördert werden. Schulbücher und Materialien über Geschichte sowie Geographie müssen gemäß dem Ansatz der interkulturellen Erziehung gründlich überarbeitet werden. Die Erzieherinnen, Lehrer, Sozialpädagogen und Professoren müssten durch Fort- und Weiterbildung befähigt werden, diesem interkulturellen Ansatz und der neuen Schulrealität gerecht zu werden.

Wie durch die sprachwissenschaftliche Forschung in einigen Ländern und in Deutschland bereits untermauert, ist die optimale sprachliche Entwicklung der Kinder von der Beherrschung der Muttersprache abhängig. Deshalb sollte der Zweisprachigkeit, dem erlernen der Muttersprache neben der Schulsprache Deutsch, sowohl in den Vorschuleinrichtungen als auch in den Schulen die notwendige Bedeutung beigemessen werden. Hierbei gewinnt die Zeugnis- und Versetzungsrelevanz der schulischen Leistungen im muttersprachlichen Unterricht eine besondere Beachtung.

5. Schulische Bildungs- und berufliche Ausbildungschancen der Migrantenkinder verbessern

Eine große Zahl von Kindern türkischer Herkunft, die in Deutschland geboren und größtenteils in den sogenannten Ballungsgebieten aufwachsen, verfügen beim Schulbeginn über keine oder nur sehr geringe Kenntnisse der deutschen Sprache. Dies ist ein ganz zentrales Problem, was wir mit aller Kraft lösen müssen. Dies ist hauptsächlich dadurch zu erklären, dass jene Kinder gar nicht oder nur im geringen Umfang vorschulische Einrichtungen besuchen und daher nicht von deren Förderangeboten Gebrauch machen können. Erfahrungen zeigen, dass Kinder nichtdeutscher Eltern nach mindestens zweijährigem Besuch von Kindertagesstädten zum Zeitpunkt der Einschulung kaum sprachliche Defizite aufweisen. Gute, zumindest aber ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache sind aber die Grundvoraussetzung für gleiche Start- und Bildungschancen, wie später für erfolgreiche Schulabschlüsse. Deshalb sind dringend Maßnahmen erforderlich, um Defizite bei der deutschen Sprache bis zum Schulbeginn zu beheben, zumindest aber zu verringern. · Insbesondere die nichtdeutsche Eltern sollten motiviert werden, ihre Kinder spätestens ab dem vierten Lebensjahr in Kindertagesstätten zu schicken. · Mit diesem Ziel sollte eine enge Zusammenarbeit der türkischen Eltern- und Lehrervereine und der Gemeinden mit den Schulbehörden erfolgen. Hierfür sollten die türkische Eltern durch Briefe, Informationsveranstaltungen, Öffentlichkeitsarbeit und Beratungen vor allem in den Schulen und Vorschuleinrichtungen sowie den türkischen Vereinen informiert werden. · In den Kindertagesstätten sollte den Kindern ohne deutsche Muttersprache einen Platz gesichert werden, selbst dann wenn ein Elternteil nicht berufstätig ist. · In den Kindertagesstätten und Vorschulklassen sollten geeignete Rahmenbedingungen geschaffen werden, mit dem Ziel, die sprachliche Kompetenz der Kinder gezielt zu fördern. · Hierfür sollte die sprachliche Förderung den altersadäquaten Bedürfnissen entsprechend ausgeweitet werden. Die Vermittlung der deutschen Sprache sollte durch geschulte und kompetente Pädagoginnen und Pädagogen erfolgen. Hierzu bedarf es der Qualifizierung der im Elementarbereich tätigen Lehrkräfte. Die Bemühungen und Fördermaßnahmen sollten sich vor allem in die Stadtteile konzentrieren, in denen der Anteil der Kinder ohne deutsche Muttersprache hoch ist. · Darüber hinaus wäre zu überlegen, in wieweit zumindest ein einjähriger obligatorischer Besuch von Einrichtungen im Elementarbereich aller Kinder, deutscher und nichtdeutscher Herkunft, möglich ist. Dieses ‚Vorschuljahr‘ könnte beispielsweise unmittelbar vor Schulbeginn erfolgen · Als einer der wichtigsten Gründe für das schlechte Abschneiden des deutschen Bildungssystems im internationalen Vergleich – das zeigt die PISA-Studie deutlich- ist die ungenügende Förderung gerade sozial benachteiligter Kinder und Jugendlicher durch das deutsche Schulsystem. Deshalb sollten besonders diese Schüler gezielt durch Verkleinerung der Schülerzahl in den Klassen und durch gezielten Nachhilfeunterricht gefördert werden. · Da die sozial- und bildungsschwachen Eltern nicht in der Lage sind, ihren Kindern bei den Hausaufgaben zu helfen, soll den Kindern verstärkt Hausaufgabenhilfe angeboten werden. Elternvereine, die Hausaufgabenhilfe und Nachhilfe für SchülerInnen anbieten, sollen finanziell unterstützt werden.

6. Wir befürworten die geplanten Deutsch- und Integrationskurse Für die mangelhaften Deutschkenntnisse bei Teilen der ersten und zweiten Einwanderergeneration ist vor allem die perspektivlose Ausländerpolitik verantwortlich, die anders als bei Aussiedlern und im Gegensatz zu anderen Ländern keine Integrationsmaßnahmen und Deutschkurse für die angeworbenen Menschen vorsah. Menschen im Rentenalter oder nahe davor mit Sanktionen zum Erlernen des Deutschen zu zwingen, ist inakzeptabel und inhuman. Für die Zukunft sollte aus diesem Fehler allerdings gelernt werden. Im Gegensatz der weit verbreiteten Meinung, sind wir der Auffassung, dass alle Migranten, die sich in Deutschland neidergelassen haben, ein vitales persönliches Interesse daran haben, sich in deutsche Sprache gut verständigen zu können. Deshalb sollte diesen Menschen die Möglichkeit gegeben werden. Dass sie die deutsche Sprache erlernen. Deshalb sollte für die ältere Einwanderer Deutschkurse mit neuen Curricula und mit Lehr- und Lernmaterialien (‚Deutsch als Umgangssprache‘) entwickelt werden. Für die Neuankömmlinge sollte beim Deutschunterricht auch über die beruflichen Möglichkeiten und über die politisch-gesellschaftliche Landschaft, Institutionen, Verfahrensweisen, Werte und Normen Deutschlands informiert werden.

Unstrittig ist, dass das Erlernen der deutschen Sprache die Grundlage der Integration bildet. Diese Feststellung darf aber nicht dazu führen, dass die Ausübung von Grundrechten wie z.B. das Recht auf freie Wahl des Wohnortes und des Ehepartners in Frage gestellt werden.

Unbestritten ist, dass Stadtteile mit ethnischer und sprachlicher Vielfalt zum Teil weniger Gelegenheit bieten, Deutsch als ‚Begegnungssprache‘ zu erfahren, daher müssen sie u.a. durch städtebauliche Maßnahmen für alle Bewohner/innen, attraktiver gestaltet werden.

7. Mit einem Antidiskriminierungsgesetz Rassismus, Antisemitismus und Ausländerhass bekämpfen und Benachteiligungen der kulturellen Minderheiten schrittweise aufheben

Die von der EU beschlossene Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29.Juni 2000 zur ‚Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft‘ muss konsequent und ohne Ausschöpfung der Dreijahresfrist in innerstaatliches Recht umgesetzt werden. Hierfür hat Deutschland nur noch bis Mitte Juni 2003 Zeit. · Eine ganze Reihe von Gesetzen in verschiedenen Bereichen sehen ungleiche Behandlung von Migranten und ihren Familienangehörigen, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, gegenüber deutschen Staatsbürgern vor. Diese gesetzlichen Diskriminierungen müssen aufgehoben werden. · Behörden, Firmen, Dienstleistungsbetriebe, Wohnungsgesellschaften, Sportvereine etc., die Menschen wegen anderer Herkunft, Nationalität, Religion oder Hautfarbe diskriminieren, müssen mit strafrechtlichen Folgen rechnen, ähnlich wie dies in den Niederlanden, Großbritannien, den USA und Kanada der Fall ist. · Den kulturellen Minderheiten sollte zivilrechtlicher Schutz vor Diskriminierung zugesichert werden, indem man ihnen einen Anspruch auf Schadensersatz aufgrund materieller und immaterieller Diskriminierung einräumt, wie in den Niederlanden, in Großbritannien, den USA und Kanada. · Einführung gesetzlicher und sonstiger Maßnahmen, um die kulturellen Minderheiten solange besonders zu berücksichtigen und zu fördern (ähnlich wie bei der Frauenförderung!), bis die Ungleichheiten behoben sind. · Staatliche Subventionen und Aufträge an private Unternehmen sollten an die Bedingung gebunden sein, dass diese Firmen die Beschäftigung von Angehörigen kultureller Minderheiten besonders fördern, wie in den Niederlanden, in Großbritannien und den USA. · Gesetzlich gewährte Förderung der benachteiligten kulturellen Minderheiten im Schul- und Ausbildungsbereich mit dem Ziel, Chancengleichheit herzustellen, wie in Großbritannien und den Niederlanden. · Errichtung von unabhängigen Beschwerdestellen als Anwalt der Betroffenen zur Abwehr und Beseitigung von Diskriminierungen in Gemeinden und Städten sowie Einführung der Verbandsklage, wie in den Niederlanden, in Großbritannien, den USA, Schweden und Kanada. · Bei Beschwerden über Diskriminierung aufgrund kultureller Herkunft ist die Beweislast umzukehren.

· Rassismus, Antisemitismus und Ausländerhass stellen keine Meinungsfreiheit dar. · Parteien, Vereine und Medien, die offen oder mittelbar rassistische, antisemitische und ausländerfeindlichen Ideen verbreiten und somit für die rechtsradikale Gewalt den Boden bereiten, müssen mit aller Härte der Gesetze, wenn nötig durch neue Gesetze, verfolgt und gegebenenfalls verboten werden. · Durch eine Änderung der Strafgesetze soll ein rassistischer, antisemitischer oder ausländerfeindlicher Hintergrund bei Gewalttaten strafverschärfend wirken. 8. Einwanderung darf nicht wie bisher als eine Sicherheits- und Wohlfahrtaufgabe betrachtet werden. Daher sollte sie aus dem Bereich der Innenministerien abgekoppelt werden. Eine neue Einwanderungs- und Integrationspolitik bedarf neuer Strukturen. Sowohl auf Bundes-, als auch auf Landesebene sowie in den Kommunen sollte dies als Querschnittsaufgabe erkannt und die Zuständigkeiten gebündelt werden. Auf Bundesebene wie in den Ländern ist ein Ministerium für Einwanderung und Integration wünschenswert, zumindest sollte aber eine Behörde errichtet werden, die mit Staatssekretärsrang und Querschnittskompetenzen ausgestattet ist.

9. Einbeziehung der Migrantenverbände in den Gestaltungsprozess

Es widerspricht den Grundprinzipien einer Demokratie, vor allem einer Basisdemokratie, die zukünftige Zuwanderungs- und Integrationspolitik weiterhin ohne Mitwirkung der Betroffenen selbst zu gestalten.

Ein solches Politikverständnis ist für uns inakzeptabel und muss überdacht werden. Nach bestimmten Kriterien ausgewählte Migrantenorganisationen sollten als Vertreter der jeweiligen Bevölkerungsgruppen anerkannt, mit Kompetenzen und Mitentscheidungsmöglichkeiten in den zu schaffenden Einrichtungen ‚für Einwanderung und Integration‘ vertreten sein und institutionell gefördert werden. Nur so wird ein stetiger Dialog und die Einbeziehung der kulturellen Minderheiten in die sie direkt betreffenden Aufgabenbereiche gewährleistet sein. Ihnen sollten auch bestimmte integrationspolitische Aufgaben Übertragen werden. Hierbei stellen vor allem die Niederlande und Schweden mit ihren diesbezüglichen Erfahrungen positive Beispiele dar . Integration ist nicht zum Nulltarif zu haben. Vorhandene Mittel müssen ausgeweitet gegebenenfalls auch gebündelt und nur im Kontext von Integrationsprogrammen weiter- bzw. ausgegeben werden.

10. Eine Gesamtbewertung der bisherigen Integrationspolitik

Die Feststellung von durchaus erheblichen Mängeln und Fehlentwicklungen in der Integration von Migranten/innen – z.B. Stagnation bei den Bildungsabschlüssen, hohe Arbeitslosigkeit, mangelnde Deutschkenntnisse – darf dennoch nicht die beachtlichen Integrationserfolge im Arbeitsleben, im Bildungsbereich und in den Wohnvierteln überschatten. Die Eingewanderten und ihre Nachkommen sind in ihrer großen Mehrzahl Teil dieser Gesellschaft geworden, sie haben sich gemessen an den Rahmenbedingungen in die deutsche Gesellschaft gut integriert.

Festzustellen ist allerdings, wie bereits dargestellt, dass vor allem die bisherige Ausländerpolitik in Deutschland die Eingewanderten und ihre Nachkommen nicht als integralen Bestandteil der bundesdeutschen Gesellschaft betrachtet hat und ihre Anwesenheit vielfach in Frage stellte. Vor allem auch deshalb fühlen sich Teile der Eingewanderten und ihrer Nachkommen in der Bundesrepublik immer noch nicht heimisch.

Gegenseitige Vorwürfe und Schuldzuweisungen helfen nicht weiter. Gefragt sind vielmehr konkrete Lösungsvorschläge. Es darf auch nicht übersehen werden, dass viele Probleme nicht aus der ethnischen Herkunft der Betroffenen resultieren, sondern aus ihrem sozialen Status. Viele sind mit den steigenden Ansprüchen einer modernen Wissensgesellschaft überfordert. Bei allen integrationspolitischen Vorschlägen sollte darauf geachtet werden, dass Migranten sich nicht gegenüber der Mehrheit zurückgesetzt behandelt fühlen. Vorschläge von Heinz Kühn verdienen auch heute große Beachtung Vor knapp 23 Jahren, im September 1979, hatte der erste Ausländerbeauftragte der Bundesrepublik Deutschland, Ministerpräsident a. D. Heinz Kühn, sein berühmtes Memorandum zur Integrationspolitik vorgelegt. Dies wäre eine lehrreiche Lektüre für alle Politikerinnen und Politiker, vor allem der aus den Unionsparteien gewesen. Kühn schlug unter anderem folgende Maßnahmen als dringlich vor: Anerkennung der faktisch vollzogenen und nicht mehr umkehrbaren Einwanderung, .Korrektur der bis dahin rein arbeitsmarktpolitisch geprägten Maßnahmen zu Gunsten der gesellschaftspolitisch notwendigen Gegebenheiten und Erfordernisse , Intensivierung der Integrationsmaßnahmen für Kinder und Jugendliche in der Vorschule, Schule und beruflichen Bildung, Optionsrecht der in der Bundesrepublik geborenen und aufgewachsenen Jugendlichen auf Einbürgerung, Generelle Überprüfung des Ausländerrechts und Einbürgerungsverfahrens mit dem Ziel größerer Rechtssicherheit und stärkerer Berücksichtigung der Interessen von Ausländern,

Einführung des kommunalen Wahlrechts, .Ausdehnung der sozialen Beratung. ‚In Anbetracht der bisherigen negativen Entwicklung kann nur noch eine konsequente Integrationspolitik größeren individuellen und gesamtgesellschaftlichen Schaden verhindern. Im Ergebnis schließt dies die volle rechtliche und tatsächliche Gleichste//ung des integrationsbereiten Teiles der Betroffenen ein, da eine ganze Bevölkerungsgruppe auf Dauer nicht in einem Sonderstatus belassen werden kann. ‚ Das sind nur einige der Vorschläge eines lang gedienten Politikers zur Integrationspolitik vor 23 Jahren. Liest man heute insbesondere das Positionspapier der Unionsparteien, so werden außer den mit Sanktionen belegten Integrationskursen ausschließlich restriktive Maßnahmen vorgesehen. Haben nur die Migranten eine Bringschuld für die Integration? Hat nicht auch der Staat Verpflichtungen gegenüber den Menschen, die er zum Wohle seiner Wirtschaft vor Jahren ins Land holte? Haben die hier seit Jahrzehnten lebenden und in zweiter , dritter und bald vierter Generation geborenen und aufgewachsenen Menschen, die volle rechtliche Gleichstellung und die tatsächliche Gleichbehandlung erfahren, wie Heinz Kühn dies forderte? Leben nicht diese Menschen heute noch mit einem Ausländersonderrecht, also mit minderen Rechten und weitgehend ohne Möglichkeiten zur politischen Partizipation? Sind die Defizite in der Vorschule, Schule und beruflichen Bildung für die Kinder und Jugendlichen der Einwanderer durch entsprechende Fördermaßnahmen auch nur annähernd beseitigt? Selbst für die höhere Arbeitslosigkeit und den damit ein hergehenden Sozialhilfebezug werden die Nichtdeutschen von den Unionsparteien in ihrem Papier verantwortlich gemacht, als ob diese Menschen nicht arbeiten und von Sozialhilfe leben möchten. Als ob die ausländerrechtlichen Benachteiligungen und Arbeitsverbote für Asylbewerber hierbei gar keine Rolle spielten. Und als ob die Beseitigung oder Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht die zentrale Aufgabe des Staates wäre.

Erlauben sie mir Bitte zum Schluss einige Bemerkungen zum Terror und Islam zu machen. Mit Sorge beobachten wir, dass die grausamen und unvorstellbaren Terroranschläge in den USA von machen auf der Straße, am Arbeitsplatz, in den Medien und in der Politik benutzt werden, um Muslime in Deutschland als potenzielle Sympathisanten der Terroristen zu diskreditieren. In der Berichterstattung lesen und hören wir fas immer den Begriff ‚islamische Terroristen.‘ Als ob der Terrorismus dem Islam als Religion datzu gehören würde. Die These von Huntington ‚Kampf der Kulturen‘, scheint viele maßgeblich beeinflusst zu sein. Nicht der Islam, was ja übersetzt ‚Frieden‘ bedeutet, oder die islamische Kultur ist nicht Feind der Christlichen Kultur, sondern der Terror. Vom Terror der Terrorsiten in den islamischen Staaten sind auch viele islamische Länder Betroffen, die Türkei, Algerien, Ägypten etc. Der Terror kennt keine Religion, keine Ethnie und kein Land, er kann überall sein. Ich habe bis lang nicht gehört, dass von christlichen Terroristen die Rede ist. Die terroristen werden mit ihrer Organisation genannt, Eta, IRA, Korsische Terroristen etc. Islam wird von machen Gruppen, Parteien und Vereinen für die politische, ideologische und vor allem ökonomische Ziele instrumentalisiert, benutzt. Der politische Islam erhebt den Anspruch auf die Formung des Staatswesens, der Justiz, der Wirtschaft, der Bildung, der Menschenrechte nach dem eigenen Verständnis von Religion. Die Taliban Regierung in Afghanistan und die Regierung im Iran stellen zwei Beispiele dafür. Viele Sachkenner sagen, dass dieser Islamverständnis mit Islam nichts zu tun hat. Die Türkei als ein Islamisches Land hat aus Erfahrung von vielen Jahrhunderten, eine klare Lösung gefunden:Laizismus, d.h. die Trennung von Staat, Politik -und Religion. Religion darf sich nicht in die Staatspolitik einmischen, sie darf nicht den Anspruch erheben, nach religiösen Kriterien, die Staatsform und das Leben zu bestimmen. Religion und religiöse Überzeugung ist eine reine Privatsache. Auch nicht Religiös zu sein darf nicht unterdruckt werden. Aus gutem Grund gehört Laizismus, die Trennung von Staat und Religion seit 87 Jahren zu dem unveränderlichen Verfassungsgrundsatz der Republik Türkei. Was mich erstaunt, dass dieses praktizierte und durchaus innerhalb .der islamischen Welt gelungene Beispiel Türkei unter den Islam-Experten auch hier in Deutschland kaum eine Beachtung findet. Im Gegenteil sie kritisieren dieses Modell als vom Staat beeinflusstes, .sie Priorisieren die Gegnergruppen des Laizismus, sie wollen ein Euro-lslam installieren. Die Türkei hat aber genau diese Brücke als ein islamisches Land zu Europa geschlagen. Sie hat weitest gehend als einziges islamisches Land die letzten Hürden eines demokratischen Rechtstaates nach dem Vorbild Westeuropa behoben. Ich habe manchmal das Gefühl, manche wollen lieber solcher Länder als ein islamisches Land präsentieren, wie Iran und einige andere islamische Länder. Herr Präsident,Das Bundesland Schleswig-Holstein versucht eifrig, das ist meine Wahrnehmung, die Versäumnisse in der Migrationpolitik rasch zu beseitigen. Dies finde ich nicht nur für Ihr Bundesland, sondern für ganz Deutschland ermutigend. Wir brauchen ein Bundesland und mutige Politikerinnen und Politiker als Motor dieser Politik, damit in den oben geschilderten Bereichen auf Bundesebene radikale Veränderungen und Verbesserungen möglich werden. Wir, die Migrantenverbände, sind gern bereit sie auf diesem Wege mit all unseren Kräften zu unterstützen.