Soziale Sicherheit in der EU

Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Hakki Keskin, Monika Knoche, Dr. Diether Dehm, Inge Höger, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Drucksache 16/7714

Die Realisierung von sozialen Rechten wird in den Staaten der Europäischen Union sehr unterschiedlich gehandhabt. Eine neoliberale Ausrichtung der Sozial- politik hat sich dabei in fast allen Staaten der Europäischen Union durchgesetzt. In den Nationalen Aktionsplänen wird deutlich, dass in Europa eine Angleichung der sozialen Rechte nach unten stattfindet. Auch in der Bundesrepublik Deutsch- land sind die Umsetzung und der Schutz sozialer Rechte in den letzten Jahren deutlich geschwächt worden. Auf dem Arbeitsmarkt steigt die Tendenz, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für weniger Lohn längere Arbeitszeiten in Kauf nehmen müssen.

Die soziale Ausgrenzung aufgrund zunehmender Armut nimmt bei einkommensschwachen Gruppen gravierend zu. Einem Bericht der EU-Kommission vom Februar 2007 zufolge leben in der EU 72 Millionen Men- schen, das sind 15 Prozent der Gesamtbevölkerung, in Armut. Diese Entwick- lung führt auch zu wachsender Kinderarmut. Alarmierend sind die jüngsten Zah- len zur Kinderarmut in der Bundesrepublik Deutschland. Im Oktober 2007 gab die Nationale Armutskonferenz bekannt, dass in der Bundesrepublik Deutsch- land 2,2 Millionen Kinder in Armut leben, jedes sechste Kind ist betroffen. UNICEF belegt, dass Kinderarmut in der Bundesrepublik Deutschland prozentual stärker steigt als in den meisten anderen Industrienationen. Neben vielen anderen negativen Auswirkungen führt dieser Zustand auch zu ungleichen Bil- dungsmöglichkeiten und widerspricht dem Prinzip der Chancengleichheit.

Die Folge ist eine immer stärker werdende soziale Ausgrenzung einkommensschwa- cher Gruppen. Die EU-Mitgliedstaaten Belgien, Bulgarien, Frankreich, Griechenland, Italien, Luxemburg, Spanien, Ungarn und Zypern haben im Rahmen der EU-Arbeits- und Sozialministerkonferenz unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft im März 2007 eine gemeinsame ‚Erklärung von Paris‘ unter dem Titel ‚Enhancing Social Europe‘ unterzeichnet. Das Dokument spricht sich für eine Stärkung der sozialen Dimension Europas aus und wurde im Umlaufverfahren von den Arbeits- und Sozialministern der neun Mitgliedsländer unterzeichnet.

Wir fragen die Bundesregierung: 1. Aus welchen Gründen wurde diese Erklärung von der Bundesregierung nicht unterzeichnet?

2. Wie beurteilt die Bundesregierung die oben benannte Initiative der neun Arbeits- und Sozialminister für eine Stärkung der sozialen Dimension in der EU?

3. Will die Bundesregierung die oben bezeichnete Initiative zukünftig unter- stützen? a) Wenn ja, in welcher Form gedenkt die Bundesregierung die voranstehend bezeichnete Initiative zu unterstützen? b) Wenn nein, welche Gründe sprechen aus Sicht der Bundesregierung ge- gen die Unterstützung der oben genannten Initiative?

4. Teilt die Bundesregierung die Auffassung zahlreicher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass ein vereinheitlichter und liberalisierter Wirtschafts- raum ohne parallele und komplementäre soziale Dimension einen Wettbe- werb auf Kosten von sozialer Sicherheit hervorruft?

5. Welche Maßnahmen hält die Bundesregierung für geeignet, um einen Wett- bewerb zu Lasten der Niedriglohnbezieherinnen und -bezieher sowie Sozial- leistungsbezieherinnen und -bezieher zu vermeiden?

6. Wie beurteilt die Bundesregierung den Vorschlag von Prof. Klaus Busch, Universität Osnabrück, zur europaweiten Einführung von qualitativen sozia- len Mindeststandards durch die Festlegung eines Korridor-Konvergenz- Modells für die europäischen Staaten?

7. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, im Rahmen der Europäi- schen Union die sozialen Rechte der Bevölkerung zu sichern und auszubauen?

8. Welche konkreten Initiativen hat die Bundesregierung im Rat vorgeschlagen, um innerhalb der Europäischen Union die sozialen Rechte der Bevölkerung zu schützen und gegebenenfalls zu stärken? 9. Welche konkreten nationalen Maßnahmen wurden von Seiten der Bundesregierung gestartet, um die sozialen Rechte der Bevölkerung in der Bundesre- publik Deutschland zu stärken?

10. Was sind nach Meinung der Bundesregierung die Ursachen für die stetig steigende Armut in einkommensschwachen Gruppen in der Bundesrepublik Deutschland?

11. Gibt es in anderen Staaten der EU ähnliche Tendenzen?

12. Wie bewertet die Bundesregierung diese Situation?

13. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass im Vergleich zu ande- ren OECD-Staaten die Kinderarmut in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren stärker gestiegen ist, und sieht die Bundesregierung konkreten Handlungsbedarf um diese Tendenz zu stoppen?

14. Wie hoch sind die Kinderarmutsquoten in den Staaten der Europäischen Union?

15. Wie beurteilt die Bundesregierung das Ausmaß der Kinderarmut in anderen EU-Staaten im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland?

16. Welche konkreten Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen oder unterstützen, um EU-weit oder bundesweit Kinderarmut zu bekämpfen und die Ausgrenzung von Kindern aus sozial schwächeren Familien im Bereich Bildung zu verhindern?

17. Welche Maßnahmen unterstützt die Bundesregierung in der Frage einer möglichst bundesweiten Gewährleistung des kostenlosen Zugangs zu Unter- richtsmaterialien, wie dies in anderen EU-Staaten wie beispielsweise in Finnland der Fall ist?

Berlin, den 10. Januar 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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