"Wir werden teuer für den Irak-Krieg bezahlen"

Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz rechnet vor, was das Engagement die Vereinigten Staaten wirklich kostet. Das Gespräch Führte Nathan Gardels. Link

DIE WELT: Die amerikanische Wirtschaft steht am Rande einer Rezession und hat den Irak als Schlüsselthema des Präsidentschaftswahlkampfs ersetzt. Was haben die wirtschaftlichen Nöte der USA mit dem Irak-Krieg zu tun?

Joseph Stiglitz: Die wirtschaftliche Abkühlung ist die unmittelbare Folge des Kriegs. Erstens: Bevor die USA in den Irak-Krieg zogen, lag der Ölpreis bei 25 Dollar pro Barrel. Jetzt liegt er bei 100 Dollar. Obwohl auch andere Faktoren bei diesem Preisanstieg eine Rolle spielen, ist der Irak-Krieg zweifellos ein bedeutender Faktor. Vor dem Krieg hat der Futuremarkt errechnet, dass der Ölpreis für wenigstens ein Jahrzehnt bei etwa 23 Dollar pro Barrel verharren würde, den wachsenden Energiebedarf Indiens und Chinas bereits mit eingerechnet. Für die Differenz sind der Krieg und die Volatilität, die er verursacht hat, verantwortlich, zusammen mit dem aufgrund niedriger Zinsen fallenden Dollar und dem riesigen Handelsdefizit. Dieser höhere Preis bedeutet, dass Milliarden, die sonst in den Taschen der Amerikaner verblieben und zu Hause ausgegeben worden wären, nach Saudi-Arabien und in andere Öl exportierende Länder geflossen sind. Zweitens: Geld, das für den Irak ausgegeben wird, stimuliert die Wirtschaft zu Hause nicht. Wenn Sie im Irak einen philippinischen Bauarbeiter beschäftigen, bleibt der Multiplikatoreffekt, den es gäbe, würde stattdessen eine Brücke in Missouri gebaut, aus. Drittens: Dieser Krieg wurde, anders als jeder andere Krieg in der amerikanischen Geschichte, komplett durch Defizite finanziert. Defizite sind ein Ärgernis, weil sie am Ende Investitionen verhindern und Schulden anhäufen, die in der Zukunft beglichen werden müssen. Das schadet der Produktivität, weil für öffentliche Investitionen in Forschung, Bildung und Infrastruktur oder für private Investitionen in Maschinen oder Fabriken nur wenig übrig bleibt.

Aber warum werden die Folgen erst jetzt wirtschaftlich wirksam?

Bis vor Kurzem haben wir diese drei Faktoren nicht in voller Härte zu spüren bekommen, weil die Notenbank reagiert hat, als müsste sie die Wirtschaft am Laufen halten, ganz gleich, wie viel Geld Präsident Bush für den Irak ausgäbe. Sie hat die Wirtschaft mit Geld überschwemmt und weggeschaut, als das Geld über faule Immobilienkredite zum Fenster rausgeworfen wurde. Die Regeln waren lax. Der Hahn war weit aufgedreht. Gleichzeitig ist die Sparrate auf null gesunken, weshalb vom Wiederaufbau des Irak bis zur Eigenheimrenovierung alles auf Pump geschah. Alle Probleme wurden durch Pump verkleistert. Die Blase ist schließlich geplatzt, als das Verhältnis von Häuserpreisen und Einkommen nicht länger aufrechtzuerhalten war. Jetzt, da wir über die Blase hinaussehen können, wird die vom Irak-Krieg verursachte wirtschaftliche Schwäche voll zutage treten. Und wir werden teuer dafür bezahlen – mit Zinsen.

Sie haben bisher nur über Amerika gesprochen. Welche Rolle spielen andere Staaten in dieser Sache?

Eine der bizarren Erscheinungen der Globalisierung ist, dass die Chinesen, die in der UN gegen den Irak-Krieg waren, diesen Krieg am Ende zu einem Gutteil finanziert haben, indem sie mit den enormen Dollar-Reserven aus ihrem Handelsüberschuss mit Amerika US-Schatzanweisungen gekauft haben. Also borgt eine Verbraucherdemokratie ohne Rücklagen bei einem markt-leninistischen Staat, um den Terror zu bekämpfen. Und die Ironien hören da noch nicht auf. Dies ist der erste amerikanische Krieg seit dem Unabhängigkeitskrieg, der von außen finanziert wurde. Am Beginn jedes anderen Kriegs stand eine echte öffentliche Debatte darüber, welche Kosten man künftigen Generationen aufladen könne und für welche man heute aufkommen müsse – in Form von Steuern. Dies ist der erste Krieg, mit dessen Beginn wir die Steuern gesenkt haben. Und der Irak-Krieg wurde nicht nur vom Ausland finanziert, er ist auch der am weitestgehend privatisierte Krieg der amerikanischen Geschichte. Die Folgen sind ungeheuerlich. Ein Sicherheitsmann – und ich rede hier nicht über hoch spezialisierte Techniker – verdient über 1000 Dollar am Tag, oft mehr als 400 000 Dollar im Jahr. Jemand in der US Army bekommt für die Erfüllung der gleichen Aufgaben nur einen Bruchteil davon – um die 40 000 Dollar. Wer einen Betrieb kennt, in dem einer zehnmal mehr verdient als ein anderer, der den gleichen Job macht, weiß, dass das ein Rezept für Unzufriedenheit ist. Also hat die US Army die Bonuszahlungen für Freiwillige erhöht. Wir stehen im Wettbewerb mit uns selbst! Und das erhöht die Kosten ringsum. Damit aber ist das Ende der Absurdität noch nicht erreicht. Der amerikanische Steuerzahler zahlt für die Sicherheitsleute Berufsunfähigkeits- und Todesfallversicherungen, die Policen aber schließen Zahlungen im Fall von ‚Feindseligkeiten‘ aus. Wofür aber zahlen wir dann? Der Steuerzahler gibt den Versicherern Geld für gar nichts. Das nenne ich mal ein Geschäft!

Wie teuer kommt der Irak-Krieg Amerika zu stehen?

Alles in allem hat dieser Krieg, konservativ geschätzt, bisher beinahe unvorstellbare drei Billionen Dollar gekostet. Realistischer allerdings dürften fünf Billionen sein, rechnet man die langfristigen Leistungen für Veteranen ein, die Kosten, die es verursachen wird, unser jetzt ausgelaugtes Militär wieder auf Vorkriegsstärke zu bringen, sowie die erheblichen Kosten, die ein Rückzug aus dem Irak und die Neupositionierung von Truppen anderswo in der Region verursachen werden. Und dann sind da noch die Mikrokosten. Fällt ein Soldat, so bekommt seine Familie 500 000 Dollar. Das sind Kosten über das öffentlich bekannt gegebene Budget hinaus. Man kann sie nicht länger einfach unter den Teppich kehren. Und schließlich: Wer behauptet, dass wir auch nur vier, geschweige denn ganze 100 Jahre, wie John McCain gesagt hat, im Irak bleiben sollten, muss dem amerikanischen Volk ehrlich Auskunft darüber geben, wer die Zwölf-Milliarden-Dollar-Monatsrechnung bezahlen soll. Woher sollen die nächsten 1,2 Billionen kommen? Und wird das Amerika sicherer machen? Lassen Sie uns eher früher als später abziehen. Und vor allem: Hören wir auf zu fantasieren.

Ist die wirtschaftliche Schieflage Folge einer neokonservativen Fantasterei oder eines bewussten Versuchs der Bush-Regierung, die Kosten vor der amerikanischen Öffentlichkeit zu verbergen?

Beides. Es war neokonservative Fantasterei, zu glauben, dass wir mit Blumenkränzen empfangen würden. Als müssten wir nur die Blütenblätter auffegen, und der Rest würde mit irakischem Öl bezahlt. Aber es war auch der bewusste Versuch, die Kosten vor dem amerikanischen Volk zu verbergen. Wie sonst ließe sich erklären, dass amerikanische Soldaten nicht angemessen ausgerüstet wurden? Wie sonst ließe sich erklären, dass das Amt für Kriegsrenten nicht genügend Mittel bekam, um unsere heldenhaften, von diesem Krieg physisch wie psychisch versehrten Soldaten zu behandeln? Das lässt sich doch nur als bewusster Versuch deuten, die wahren Kriegskosten zu vertuschen – und zwar um den Preis der Schwächung unserer Streitkräfte. Die Regierung Bush hat einen kurzfristigen politischen Vorteil der Sicherheit des Landes vorgezogen.

Wenn John McCain sagt, dass er den wirtschaftlichen Aspekt in diesem Zusammenhang nicht versteht, was sagt das dann über seine Führungsfähigkeiten aus?

Wenn er von Wirtschaft keine Ahnung hat, hat er von Sicherheit keine Ahnung. Hätten wir unendliche Mittel, könnten wir vielleicht in vollkommener Sicherheit leben. Aber wie jedes andere Land hat auch Amerika beschränkte Mittel. Also muss man sein Geld clever – das heißt wirtschaftlich – ausgeben. Wer die amerikanische Wirtschaft schwächt, dem wird es an Mitteln für die Sicherheit fehlen. Das lässt sich nicht trennen.

Joseph Stiglitz wurde 2001 mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet. Sein neues Buch ‚The Three Trillion Dollar War: The True Cost of the Iraq Conflict‘ (W.W. Norton) ist soeben in den USA erschienen.