Eröffnung Xenos

Rede von Prof. Dr. Hakkı Keskin zum Thema: Unsere Kinder und Jugendlichen brauchen eine berufliche Perspektive - dem Fremdenhass müssen wir schon im Schulbereich den Boden entziehen

Zur Information über unser Projekt ‚Interkulturelles Praktikum zur Integration und in-neren Einheit‘ im Rahmen des Xenos-Programms heiße ich herzlich willkommen: den Präses der Behörde für Soziales und Familie, Senatorin Birgit Schnieber-Jastram, den Generalkonsul der Republik Türkei, seine Exzellenz Erol Etçioğlu, und Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von Behörden, Einrichtungen Organisa-tionen und den Medien.

Die Türkische Gemeinde in Deutschland und ihre Landesverbände in Hamburg, Berlin und Schleswig-Holstein sind seit einigen Jahren bemüht, mit gezielter Projektarbeit zur Förde-rung von Chancengleichheit für türkische Jugendliche auf dem Ausbildungs- und Arbeits-markt ihren Beitrag zu leisten.

Unsere Beweggrund ist die besonders schwierige Lage der türkischen Kinder und Jugend-liche im Bildungs- und Ausbildungsbereich.

Trotz mancher Verbesserungen in den letzten Jahren ist die schulische und berufliche Si-tuation türkischer Kinder und Jugendlicher nach wie vor alarmierend.

Ungleiche Startchancen vieler türkischer Kinder insbesondere wegen nicht ausreichender Sprachkenntnisse beim Schulbeginn begleiten viele dieser Kinder durch ihre gesamte Schul- und Berufslaufbahn.

Nur wenige Zahlen machen dies deutlich:- Fast doppelt so viele nichtdeutsche Schüler wie ihre deutsche Altersgenossen blei-ben ohne Hauptschulabschluss, – Nur knapp 10 Prozent der nichtdeutschen Kinder, das sind drei mal weniger als die deutschen Schüler, erreichen die Hochschulreife, – Über 50 Prozent der Jungendlichen ohne Berufsabschluss sind nichtdeutscher Her-kunft, – Knapp die Hälfte der 20-25 jährigen jungen Erwachsenen nichtdeutscher Herkunft bleiben ohne Berufsabschluss.

Mit unserer Beratungs- und Überzeugungsarbeit versuchen wir, Kinder und Jugendliche, aber auch die Eltern türkischer Herkunft über die Bedeutung eines guten Schulabschlus-ses und eines zukunftsträchtigen Berufs zu informieren.

Zum Abbau der Arbeitslosigkeit bei türkischen Jugendlichen laufen Projekte der Türki-schen Gemeinde in Hamburg, Berlin, Neumünster und Kiel, die vom Ministerium für Arbeit und Sozialordnung finanziert werden.

Unser zweites Projekt, das ‚Interkulturelle Praktikum zur Integration und inneren Ein-heit‘, über das Sie heute sehr genau informiert werden, hat ein weiteres wichtiges Ziel. Mit Hilfe von interkultureller Begegnung und Austausch, über Dialog und gemeinsame praktische Erfahrung werden deutscher Jugendliche aus Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sowie türkische Jugendliche aus Berlin und Hamburg 12 Wochen lang in Deutschland und in der Türkei zusammenkommen. Mit diesem interkulturellen Austausch wollen wir die vorhandenen Ängste, Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit abbauen helfen.

Dies ist für uns eine große Herausforderung. Aber Sie werden erfahren, dass wir diese Arbeit mit großem Elan begonnen haben.

Wie erfolgreich auch diese sicherlich nur in einem sehr begrenzten Rahmen geführten Ar-beiten sein mögen, müssen letztendlich die gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingun-gen verbessert werden, wenn wir nicht nur bei Hunderten, sonder für Millionen von Men-schen das Zusammenleben von deutschen und Nichtdeutschen grundlegend verbessern wollen.

Meine Damen und Herren,

Die Eingewanderten und ihre Kinder und Enkel sind ein fester Bestandteil der deutschen Gesellschaft. Deutschland ist auch ihre Heimat. Diesen Menschen eine gleichberechtigte Aufnahme in die Gesellschaft zu ermöglichen, ist die Grundvoraussetzung für eine Integra-tion und eine vordringliche Aufgabe der Politik. In der eigenen Heimat kann und darf man nicht als Ausländer mit minderen Rechten leben.

Ohne eine rechtliche, politische und soziale Gleichstellung der hier dauerhaft lebenden kulturellen Minderheiten wird eine Integration nicht gelingen.

Die kulturelle Vielfalt ist die Zukunft und eine Bereicherung für Deutschland

Die sogenannten Ausländer, die ich die neuen kulturellen Minderheiten Deutschlands nenne, bilden eine Brücke zwischen ihren Herkunftsländern und Deutschland. In einer Zeit der Globalisierung ist diese Ressource für Deutschland ein unverzichtbarer Standortvor-teil. Diese Menschen machen Deutschland in bezug auf Sprache, Musik, Literatur, Kunst, Sport, Religion, auf unterschiedliche Lebensweise und nicht zuletzt in der Gastronomie bunter, reicher und attraktiver.

Kindergärten, Schulen und Hochschulen sind bereits heute Orte einer lebendigen und dy-namischen kulturellen Vielfalt. Diese Orte können mit einem seit Jahren von Wissenschaft-lern geforderten ‚interkulturellen Ansatz‘ im Erziehungs- und Bildungsbereich für alle Kin-der zu Laboratorien sprachlicher Vielfalt, des gegenseitigen Verstehens und Lernens, der Toleranz, der Dialogfähigkeit, der Verständigung und des Abbaus von Vorurteilen gemacht werden. Die Förderung dieses interkulturellen Ansatzes ist das beste Bollwerk gegen rechtsradikale und neonazistische Ideen und damit gegen die von der rechten Szene aus-gehende Gewalt.

Das Erlernen der Muttersprache ist als Reichtum und als eine berufliche Chance für die Zukunft der Kinder zu verstehen und sollte gezielt gefördert werden.

Schulbücher und Materialien über Geschichte sowie Geographie müssen gemäß dem An-satz der interkulturellen Erziehung gründlich überarbeitet werden.

Die Erzieherinnen, Lehrer, Sozialpädagogen und Professoren müssten durch Fort- und Weiterbildung befähigt werden, diesem interkulturellen Ansatz und der neuen Schulrealität gerecht zu werden.

Wie durch die sprachwissenschaftliche Forschung in einigen Ländern und auch in Deutschland bereits untermauert, ist die optimale sprachliche Entwicklung der Kinder von der Beherrschung der Muttersprache abhängig. Deshalb sollte der Zweisprachigkeit, dem erlernen der Muttersprache neben der Schulsprache Deutsch, sowohl in den Vor-schuleinrichtungen als auch in den Schulen die notwendige Bedeutung beigemessen wer-den.

Schulische Bildungs- und berufliche Ausbildungschancen der Migrantenkinder ver-bessern

Eine große Zahl von Kindern türkischer Herkunft, die in Deutschland geboren sind und größtenteils in den sogenannten Ballungsgebieten aufwachsen, verfügen beim Schulbe-ginn über keine oder nur sehr geringe Kenntnisse der deutschen Sprache.

Dies ist ein ganz zentrales Problem, dem wir uns stellen und das wir mit aller Kraft lösen müssen.

Diese Entwicklung ist hauptsächlich dadurch zu erklären, dass jene Kinder gar nicht oder nur in geringem Umfang vorschulische Einrichtungen besuchen und daher nicht von den dort angebotenen Förderangeboten Gebrauch machen können.

Die Erfahrung zeigt, dass Kinder nichtdeutscher Eltern nach mindestens zweijährigem Be-such einer Kindertagesstätte zum Zeitpunkt der Einschulung kaum noch sprachliche Defi-zite aufweisen.

Gute, zumindest aber ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache sind aber die Grundvoraussetzung für gleiche Start- und Bildungschancen, wie später für erfolgreiche Schulabschlüsse.

Deshalb sind dringend Maßnahmen erforderlich, um Defizite bei der deutschen Sprache bis zum Schulbeginn zu beheben, zumindest aber zu verringern.

  • Insbesondere nichtdeutsche Eltern sollten motiviert werden, ihre Kinder spätestens ab dem vierten Lebensjahr in Kindertagesstätten zu schicken.
  • Mit diesem Ziel sollte eine enge Zusammenarbeit der türkischen Eltern- und Lehrer-vereine und der Gemeinden mit den Schulbehörden erfolgen. Hierfür sollten die türki-sche Eltern durch Briefe, Informationsveranstaltungen, Öffentlichkeitsarbeit und Bera-tungen vor allem in den Schulen und Vorschuleinrichtungen sowie den türkischen Vereinen informiert werden.
  • In den Kindertagesstätten sollte den Kindern ohne deutsche Muttersprache einen Platz gesichert werden, selbst dann, wenn ein Elternteil nicht berufstätig ist.
  • In den Kindertagesstätten und Vorschulklassen sollten geeignete Rahmenbedingun-gen geschaffen werden mit dem Ziel, die sprachliche Kompetenz der Kinder gezielt zu fördern.
  • Die Vermittlung der deutschen Sprache sollte durch geschulte und kompetente Päda-goginnen und Pädagogen erfolgen. Hierzu bedarf es der Qualifizierung der im Elementarbereich tätigen Lehrkräfte. Die Bemühungen und Fördermaßnahmen sollten sich vor allem auf die Stadtteile konzentrieren, in denen der Anteil der Kinder ohne deutsche Muttersprache hoch ist.
  • Darüber hinaus wäre zu überlegen, in wieweit zumindest ein einjähriger obligatori-scher Besuch von Einrichtungen im Elementarbereich aller Kinder, deutscher und nichtdeutscher Herkunft, möglich ist. Dieses ‚Vorschuljahr‘ könnte beispielsweise unmittelbar vor Schulbeginn erfolgen.
  • Einer der Hauptgründe für das schlechte Abschneiden des deutschen Bildungssys-tems im internationalen Vergleich – das zeigt die PISA-Studie deutlich – ist die unge-nügende Förderung gerade sozial benachteiligter Kinder und Jugendlicher durch das deutsche Schulsystem. Deshalb sollten besonders diese Schüler gezielt durch Ver-kleinerung der Schülerzahl in den Klassen und durch gezielten Nachhilfeunterricht ge-fördert werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Integration wird erst dann gelingen,-wenn wir Chancengleichheit für alle, vor allem in Bildungs- und Ausbildungsbereich sowie im Berufsleben auch für die Nichtdeutschen ermöglichen, -wenn niemand sich benachteiligt und diskriminiert fühlt, weil er oder sie einer anderen Ethnien, Religion oder sozialen Gruppierung angehört, -wenn sich die neuen kulturellen Minderheiten in die deutsche Gesellschaft als gleich-berechtigte Menschen aufgenommen und behandelt sehen.

Eine nichtdeutsche Studentin hat es für mich genau auf den Punkt gebracht: ‚Für mich‘, sagte sie, ‚ist Integration dann gelungen, wenn ich mich in diese Gesellschaft aufgenom-men, wenn ich mich wohl fühle‘. Genau für dieses Ziel sollten wir alles nur denkbare tun.