"Humanitäre Folgen des georgisch-russischen Krieges bewältigen"

Rede vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zu den Folgen des georgisch-russischen Krieges (Resolution 1633)

Frau/Herr Präsident/in, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren,

der Krieg zwischen Georgien und Russland im vergangenen Jahr hat mich tief geschockt. Die schrecklichen Bilder von getöteten und um ihr Leben flüchtenden Menschen haben sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt. Sie beweisen: Krieg kann und darf im 21. Jahrhundert nicht mehr verstanden werden als Politik mit anderen Mitteln! Krieg tötet und entmenschlicht! Er löst keine Probleme, sondern schafft nur neues Unrecht!

Grundsätzlich hat Georgien natürlich das Recht, seine staatliche Einheit gegen gewaltsame Abspaltungsversuche zu verteidigen. Das Völkerrecht erlaubt keine Gründung neuer Staaten auf dem Wege von einseitigen Sezessionen! Allerdings sollte hierbei auch die Frage nach den Ursachen für derartige Konflikte gestellt werden. Eine friedliche Lösung erfordert letzten Endes die Beseitigung der Konfliktursachen, die oftmals in einer sozioökonomischen Benachteiligung oder kulturellen Diskriminierung von Minderheiten zu suchen sind. Und genau zu diesem Zweck waren die UNO und die OSZE seit über anderthalb Jahrzehnten bemüht, zwischen Georgien und seinen abtrünnigen Provinzen zu vermitteln. Dies war und bleibt richtig, die Lösung der Konflikte kann jedoch nicht verordnet, sondern muss zwischen den Konfliktparteien vereinbart werden.

Diese langwierigen Bemühungen wurden durch die Offensive Georgiens gegen die süd-ossetische Provinzhauptstadt Tschinwali zunichte gemacht. Damit wurde der von der OSZE überwachte Waffenstillstand von der georgischen Regierung gebrochen. Die militärische Kriegsführung Russlands gegen seinen kleinen Nachbarn im Süden war allerdings ebenso vollkommen unverhältnismäßig und traf vor allem die georgische Zivilbevölkerung.

Der Krieg mündete in eine humanitäre Katastrophe, deren Auswirkungen bis heute zu spüren sind. Zahlreiche Opfer sind zu beklagen: die Angaben schwanken zwischen mehreren hundert und knapp 2000 Getöteten. Schätzungsweise wurden 133.000 Personen; überwiegend Georgier, aus Südossetien und aus Abchasien gewaltsam vertrieben.

Demgegenüber flohen nach Angaben russischer Behörden mehr als 36.000 südossetische Zivilisten ins benachbarte Nordossetien. Zählen wir auch die weiteren 222.000 Flüchtlinge aus früheren Konflikten hinzu, beläuft sich die Gesamtzahl von Menschen in Not auf über 350.000.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die vordringlichste Aufgabe muss sein, all diesen Menschen unmittelbare Hilfe zukommen zu lassen. Sie brauchen vor allem Lebensmittel, eine sichere Unterkunft, Schutz vor winterlichen Witterungsbedingungen, medizinische Hilfe sowie die Aussicht, ohne Gefahren für Leib und Leben in die ursprünglichen Heimatorte zurückkehren zu können. Die derzeit bestehende Gefahr von weiteren ethnischen Säuberungen insbesondere in der mehrheitlich von Georgiern bewohnten Gali-Region in Abchasien muss abgewendet werden!

Wichtig sind konkrete Hilfsleistungen der Mitgliedstaaten des Europarates und von internationalen Institutionen und Organisationen. Dies gilt für die Menschen auf beiden Konfliktseiten. Der Einsatz und die sachgemäße Verwendung von Hilfsgütern und finanziellen Mitteln müssen zudem besser koordiniert und kontrolliert werden.

Darüber hinaus sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass es nach dem letzten Krieg recht unwahrscheinlich ist, dass sich Abchasien und Südossetien je wieder Georgien anschließen werden. Dennoch ist es wichtig, unabhängig von der Statusfrage der abtrünnigen Provinzen weiter aktiv an der Konfliktvermittlung zu arbeiten, damit die vertriebenen Menschen zurückkehren können und weitere Vertreibungen verhindert werden. Die Parlamentarische Versammlung sollte ihren Beitrag dazu leisten, dass die Konfliktparteien einsehen, dass jeder Mensch ein Rückkehrrecht in seine ursprüngliche Heimat besitzt und dieses Recht auch gewährt werden muss!

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!