Kulturelle Vielfalt ist Reichtum, keine Bedrohung !
Herr Schmidt operiert in seiner langen Ausführungen mit Staaten, die als Bewerberländer der EU-Mitgliedschaft nicht in Disposition stehen: Rußland, Ukraine, Weißrußland. Gegen die Bedrohung dieser Länder haben die meisten der heutigen EU-Staaten gemeinsam mit der Türkei seit rund 50 Jahren, die westliche Welt und ihr Wertesystem verteidigt. Die NATO existiert immer noch.
Noch wichtiger ist jedoch die Tatsache, daß die Türkei seit 1963 ein EU-Assoziiertes Land und seit 1996 Mitglied der EU-Zollinion ist. Gegenseitige Verträge sehen die volle EU-Mitgliedschaft der Türkei in absehbare Zeit vor. Nicht zuletzt deshalb wurde auch die Türkei auf dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschef der Mitgliedstaaten der EU in Helsinki Anfang Dezember 1999 in die Liste der Beitrittskandidaten aufgenommen. Bei der Frage der EU-Mitgliedschaft der Türkei mit den oben genannten Ländern gleich einzustufen und ihr unter anderem mit gleichem Argument die EU-Mitgliedschaft zu verneinen, ist empörend und stellt puren Egoismus dar.
Derie Kerngedanke bei Herrn Schmidt ist jedoch noch erstaunlicher: Die Türkei als ein nicht christliches Land ‘ liegt außerhalb des europäischen Kulturkreises’ und verdient vor allem daher die EU-Mitgliedschaft nicht. Auf kurze Formel gebracht: er erklärt die EU zu einem ‘Christen-Club’, in dem weder die Moslems, die sich nicht haben integrieren können, noch die Türkei als ein islamisches Land einen Platz haben.
Die Entscheidung der 15 EU-Staats- und Regierungschefs in Helsinki basiert auf der Tatsache, daß die EU und ihre Mitgliedstaaten längst und unumkehrbar multikulturell geworden sind, in der Menschen und Länder mit unterschiedlichen Ethnien, Kulturen und Religionen bereits leben und leben werden. Im Unterschied zu Herrn Schmidt betrachtet diese zukunftsträchtige und weise Politik die kulturelle Vielfalt nicht als Bedrohung, sondern als eine unverzichtbare Bereicherung. Die Bedingungen für die volle EU- Mitgliedschaft der Beitrittskandidaten, auch für die Türkei, sind in den Kopenhagen-Kriterien festgelegt worden, die von allen zu erfüllen sind. Schade, daß der große alte Staatsmann Helmut Schmidt, offensichtlich die Homogenität in Kultur und Religion, ja sogar auf EU Ebene, zur Voraussetzung der EU-Mitgliedschaft erhebt und damit vielen konservativen Politikern einen wichtigen Beistand leistet.