Eher beiläufig erfuhr die Öffentlichkeit von der neuerlichen Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer, bei der zwei Flüchtlingsboote vor der libyschen Küste gekentert und möglicherweise bis zu 500 Menschen ertrunken sind.
Die Flüchtlinge stammten meist aus afrikanischen Ländern und dem Nahen Osten, darunter waren auch zahlreiche Frauen und kleine Kinder.
In Europa scheint man sich mittlerweile an solche Nachrichten gewöhnt zu haben. Es vergeht nahezu kein Tag, an dem nicht Hunderte von Flüchtlingen in einem Akt tiefster Verzweiflung die riskante Überfahrt über das Mittelmeer mit primitiven Schlauch- oder Holzbooten wagen. Der Flüchtlingsstrom wird von einer skrupellosen Menschenmafia gelenkt, die die bitterarmen Flüchtlinge bis aufs letzte Hemd finanziell auspresst und ihren Tod gleichgültig in Kauf nimmt.
Das Grenzregime der Europäischen Union ist jedoch nicht minder menschenverachtend. Wer mit Kanonenbooten Flüchtlinge auf hoher See aufgreift und wieder abschiebt, trägt dazu bei, dass die künftigen Fluchtrouten zur illegalen Einreise noch riskanter werden und noch mehr Menschenleben gefährden.
Nicht Flüchtlinge, sondern Fluchtursachen müssen bekämpft werden! Hierzu gehört vor allem die längst überfällige Aufstockung der Entwicklungshilfe für die armen und ärmsten Länder, um dort eine soziale Infrastruktur aufzubauen, die Lebensperspektiven schafft. Es sind zahlreiche europäische Staaten, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland, die ihre bisherigen, bescheidenen Zusagen immer noch nicht erfüllt haben. Das EU-Grenzregime muss ebenso umgehend humanisiert werden. Kein Mensch ist illegal, die Menschenrechte gelten für alle und für jeden!
Ich werde die neuerliche Flüchtlingstragödie zum Anlass nehmen, um als Mitglied im Migrationsausschuss des Europarates eine Entschließung zu diesem Thema einzubringen. Die Flüchtlingsabwehr muss beendet werden, damit das Mittelmeer nicht zum dauerhaften Massengrab wird.
Prof. Dr. Hakkı Keskin