In den diesjährigen Fortschrittsberichten zum Stand der Beitrittsreformen stellt die EU-Kommission eine allgemeine Verlangsamung bei allen Kandidaten fest. In Bezug auf die Türkei werden insbesondere auf weiterhin bestehende Defizite in den Bereichen der Meinungsfreiheit und des Minderheitenschutzes hingewiesen.
Die Kommission fordert die Türkei auf, die Meinungsfreiheit beschränkende Gesetze wie den Paragraphen 301 zu ändern. Auch müssten deutliche Anstrengungen zum besseren Schutz der nicht-muslimischen Bevölkerung unternommen werden.
Kritisch sieht die Kommission auch, dass das türkische Militär versuchte, durch öffentliche Stellungnahmen anlässlich der Präsidentschaftswahlen Einfluss auf die politischen Entwicklungen auszuüben. Gleichzeitig begrüßt die Kommission, dass die Verfassungskrise im Sommer 2007 auf demokratischem Wege gelöst wurde. Auch die Zusammensetzung des neugewählten Parlaments wird sehr positiv bewertet. Sie entspricht nach Auffassung der Kommission der politischen Vielfalt des Landes.
Diese politischen Umstände müssen berücksichtigt werden, wenn man verstehen will, warum sich das Reformtempo verlangsamt hat. Die Türkei ist nun gefordert, den Schutz ihrer religiösen wie kulturellen Minderheiten zu gewährleisten und zum Reformtempo der Vorjahre zurückzukehren. Die kulturellen Rechte der Kurden sollten hier im Vordergrund stehen.
Ähnlich wie im Bericht von 2006 wird der zweite Beitrittskandidat Kroatien für Versäumnisse in der Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität kritisiert. Das Land weist aber im Gesamtvergleich die höchste Beitrittsreife auf. Eine EU-Mitgliedschaft im Jahr 2009 wird nach wie vor als realistisch erachtet. Den restlichen Balkanländern bietet die Kommission lediglich eine mittel- bis langfristige Beitrittsperspektive, weil die vorhandenen Defizite als zu beträchtlich angesehen werden.
Um für vorhandene Konflikte und Demokratiedefizite in allen betroffenen Ländern langfristig eine Lösung im EU-Rahmen bieten zu können, sollte sich die EU an einer Beitrittsperspektive für den gesamten Balkan orientieren und konsequent festhalten.
Vor allem gegenüber der Türkei sind immer wieder von Regierungen mancher Mitgliedstaaten -jüngst von Frankreich- Stimmen zu hören, die die Aufnahme der Türkei generell in Frage stellen. Dies führt dazu, dass sich in der Türkei eine zunehmend ablehnende Haltung gegenüber einer EU-Mitgliedschaft entwickelt. Daher sind die EU und ihre Mitgliedstaaten dazu aufgerufen, gegen diese Stimmungsmache klar und deutlich Position zu beziehen. Nur so kann der Demokratisierungsprozess auf dem Balkan und in der Türkei gefördert und die Glaubwürdigkeit der EU sichergestellt werden.
Hakkı Keskin