Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
es ist erfreulich, dass wir heute mit dem Südkaukasus über eine Region debattieren, die in der öffentlichen Wahrnehmung und Medienberichterstattung leider viel zu wenig Beachtung findet.
Die Kolleginnen und Kollegen von der FDP haben einen Antrag zu diesem Thema eingebracht. Sie werden verstehen, meine Kolleginnen und Kollegen von der FDP, dass Die LINKE. mindestens ein ebenso großes Interesse an dieser Region hat und folglich einen eigenen Antrag vorlegt.
Der Antrag der FDP betont die Notwendigkeit einer demokratischen Entwicklung in den drei Südkaukasusrepubliken Georgien, Armenien und Aserbaidschan. Dieses wichtige Anliegen unterstützt Die LINKE. voll und ganz. In dem FDP-Antrag dominiert allerdings eine eurozentrische Handschrift, die keine Antwort auf die Frage liefert, welche sozialen und ökonomischen Grundlagen geschaffen werden müssten, damit sich die betreffenden Staaten selbstbestimmt und demokratisch entwickeln können und welche inneren und äußeren Kräfte dem entgegenstehen? Hierfür müssten vor allem die geostrategischen Interessen der EU, aber auch der USA, die mit den jeweiligen Oligarchien aufs engste verbunden sind, sowie die Interessen Russlands kritisch hinterfragt werden. Und genau dieser Aufgabe weicht die FDP aus.
Die Fraktion Die LINKE. stellt in den Mittelpunkt ihres Antrags ein erweitertes Verständnis einer demokratischen Nachbarschaftspolitik der EU, die mit den Partnerländern einen fairen und gleichberechtigten Umgang pflegt und dies nicht von der Übernahme des eigenen Wirtschafts- und Politikmodells abhängig macht.
Die Südkaukasusregion darf nicht auf die Rolle einer Nachschubbasis und eines Transitraums für den Energiehunger Europas nach fossilen Rohstoffen reduziert werden. Sie bildet vielmehr eine Brücke für den politischen Dialog mit den Staaten Zentralasiens und des Mittleren Ostens und ist somit von nicht zu unterschätzender Bedeutung.
Meine Damen und Herren,
die EU-Nachbarschaftspolitik verfolgt bislang das Ziel, Georgien, Armenien und Aserbaidschan mithilfe einer einseitigen Exportorientierung in die internationale Arbeitsteilung der kapitalistischen Weltwirtschaft zu integrieren. Die Entwicklung einer stabilen Binnenwirtschaft wird dabei ebenso vernachlässigt wie der Aufbau armutsfester Sozialstandards. Wie nicht anders zu erwarten, ist als Folge dieser neoliberalen Politik der materielle Reichtum in allen drei Ländern höchst ungleich verteilt: Nur eine schmale Führungselite partizipiert an den wirtschaftlichen Erfolgen, während die Bevölkerungsmehrheit nahe am bzw. unter dem Existenzminimum lebt.
Die ‘Kaukasusinitiative’ der Bundesregierung, die sich als ‘Struktur- und Friedenspolitik’ versteht, ignoriert, dass die ungezügelte Herrschaft der Oligarchien und die neoliberale Privatisierungswelle nach Auflösung der Sowjetunion zu gravierenden sozialen Verwerfungen geführt haben, die nicht mit noch mehr Privatisierung zu bewältigen sind. Auch andere ‘Eckpfeiler’ der Kaukasusinitiative wie ‘Kommunale Demokratie’ und ein ‘demokratisches Rechtssystem’ stehen unter diesen Bedingungen im Widerspruch zu den geostrategischen Interessen, die über die Oligarchien realisiert werden.
Die Linksfraktion fordert, dass die EU-Nachbarschaftspolitik stärker an sozialen Kriterien auszurichten ist, an der Förderung von Bildung, Ausbildung, Gesundheit und Ökologie als öffentliche und nicht privatwirtschaftlich zu lösenden Aufgaben. Primär muss die Entwicklung der Binnenwirtschaften in den Südkaukasusstaaten unterstützt werden! Die EU muss hierbei auch ihren eigenen Binnenmarkt stärker für andere Exportprodukte wie Industriegüter und landwirtschaftliche Erzeugnisse aus den Partnerländern öffnen und nicht nur für Erdöl und Erdgas.
Ein weiteres Entwicklungshemmnis bilden die ungelösten, eingefrorenen Regionalkonflikte in Abchasien, Südossetien und Berg-Karabach. Die USA, aber zusehends auch die EU, betreiben seit dem Zerfall der Sowjetunion eine offensive Zurückdrängung des russischen Einflusses im Südkaukasus. Das aggressive Vorgehen der USA verletzt die legitimen Sicherheitsinteressen Russlands und führt zur gegensätzlichen, regionalen Blockbildung unter Einbeziehung Georgiens und Aserbaidschans auf Seiten der USA und Armeniens auf Seiten Russlands. Eine eventuelle Aufnahme Georgiens in die NATO würde die Blockkonfrontation weiter zuspitzen und findet deshalb keine Zustimmung der Linksfraktion!
Werte Kolleginnen und Kollegen,
eines darf nicht vergessen werden: Die Leidtragenden in der Südkaukasusregion sind die insgesamt weit über eine Million Flüchtlinge, die Anfang der 90er Jahre im Zuge blutiger Sezessionskonflikte aus ihren Wohnsitzen vertrieben wurden. Die umgehende Verbesserung ihrer humanitären Lage und ihr Recht auf schnelle Rückkehr in die Herkunftsregionen müssen im Mittelpunkt aller Bemühungen stehen!
Die südkaukasischen Regionalkonflikte müssen nach den Prinzipien des Völkerrechts und des Gewaltverzichts gelöst werden. Die diesbezüglichen Vorschläge der Linksfraktion lauten: Entmilitarisierung der Südkaukasusregion und Intensivierung der Konfliktvermittlung! Die deutsche Bundesregierung ist hierbei aufgerufen, deutlich größere Anstrengungen zu unternehmen, um auf der Ebene von UN und OSZE eine Verhandlungslösung zu unterstützen. Die LINKE. bekräftigt die territoriale Integrität Georgiens, Aserbaidschans und Armeniens sowie die Unverletzlichkeit der völkerrechtlich anerkannten Grenzen! Die LINKE. sieht in der Einführung von hohen Autonomiestandards für Abchasen, Süd-Osseten und Karabach-Armenier die einzige völkerrechtlich legitime Alternative zu den faktisch vollzogenen, gewaltsamen Sezessionen.
Die Fraktion DIE LINKE. ruft die Bundesregierung auf, ihre Außen- und Europapolitik strikt am Primat des Völkerrechts auszurichten, um im Südkaukasus einer verhängnisvollen Fehlentwicklung präventiv entgegenzuwirken, die Frieden und Stabilität in dieser wichtigen Nachbarschaftsregion der EU weiter untergraben würde.
Prof. Dr. Hakkı Keskin