Multikulti sollte zu einem Konzept des gemeinsamen Lebens entwickelt werden
Kulturelle Vielfalt in Deutschland ist eine unumkehrbare Realität. Keinem wird es helfen, diese Tatsache zu leugnen, genauso wie die 40 Jahre lange Behauptung ‘Deutschland ist kein Einwanderungsland’. Erst seit kurzem haben manche Politiker widerwillig ihre Verneinungsstrategie diesbezüglich aufgegeben. Nun wäre es genau so falsch, eine andere Tatsache, die kulturelle Vielfalt Deutschlands zu leugnen.
Die Akzeptierung der kulturellen Vielfalt bedeutet nicht anders als die Akzeptierung der Tatsache, daß in Deutschland Menschen mit unterschiedlichen Kulturen und kulturellem Hintergrund seit Jahrzehnten leben und auch leben werden. In den Kindergärten, Schulen, in Betrieben, Stadtteilen, Wohnblocks, in allen Lebensbereichen sind wir alltäglich mit dieser Realität konfrontiert. Dies ist übrigens nicht nur in Deutschland so, sondern in fast allen Ländern der Erde, gerade in unser Zeit der globalisierten Welt. Wir können einerseits nicht wollen, daß die deutschen Unternehmen weltweit und grenzenlos operieren, sich überall niederlassen und ihre Produkte vermarkten, andererseits gleichzeitig aber eine homogene deutsche Bevölkerung und Gesellschaft haben und bleiben wollen. Wer davon träumt, wird mit dem Kopf gegen die Wände der vollzogenen alltäglichen Realität Stößen.
Wir sind stolz darauf, das Deutschland nach USA als Exportnation weltweit an zweite Stelle steht, wovon mehr als jeder dritte Arbeitsplatz gesichert wird. Wer das will, kann nicht zu gleich wollen andere Menschen und kulturelle Minderheiten in Deutschland nicht zu haben. Dies ist realittetesfremd und nicht mehr zeitgemäß.
Die Frage ist also nicht mehr ob wir eine multikulturelle Gesellschaft sind und sie haben wollen, sondern wie wir sie als Konzept gestalten wollen.
Das Leben mit Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und kulturellen Minderheiten ist ohne Frage mit manchen Schwierigkeiten verbunden. Sie können aber sehr gut gemeistert werden, wenn wir dieser Herausforderung bewußt sind und mit Konzepten das Zusammenleben der deutschen Bevölkerung und der kulturellen Minderheiten zum Vorteil aller Menschen und der deutschen Gesellschaft gestalten können.
Folgende Überlegungen könnten nach meinem dafürhalten als Hauptgrundsatz für die Ausarbeitung einer Konzeption einer multikulturelle Gesellschaft als Vision, zu mindest aber für eine Diskussion hierbei dienlich sein:
1. Das Ziel in einer multikulturellen Gesellschaft sollte nicht das Leben Nebeneinander, sondern Miteinander sein. In diesem Sinne sind Parallelgesellschaften in Deutschland nicht wünschenswert.
2. Miteinander leben sollte das Ziel haben:
• Dialoge zu willig zu sein und diese zu fördern, • sich zu einander öffnen, • kultureller Austausch zu wollen, sich kennenlernen, • von einander lernen, • aber auch Tolerant sein und Akzeptanz entwickeln gegenüber Anderssein, • Ängsten und Vorurteilen abbauen wollen, • Rassismus, Antisemitismus und Ausländerhaß als Menschenfeindliche Einstellung bekämpfen, um friedlich und in guter Nachbarschaft miteinander zu leben.
3. Leben in einer multikulturellen Gesellschaft sollte dem Ziel Gerecht werden, sich gegenseitig zu befruchten und zu bereichern.
4. Das Erlernen der deutschen Sprache ist für alle Menschen, die in Deutschland dauerhaft leben vom großen Wert. Mit gezielter Förderung von Deutschkursen sollten alle Menschen die Möglichkeit haben, die deutsche Sprache zu erlernen. Dies gilt auch für die erste Einwanderergeneration.
5. Sehr gute Deutschkenntnisse mit dem Beginn der Schule ist die Grundvoraussetzung für gute und erfolgreiche Schulabschlüsse und eines guten beruflichen Werdegangs. Die Eltern sollten motiviert werden ihre Kinder nach dem dritten Lebensjahr zu Kindergärten zu schicken, damit sie bis zum Schulbeginn die deutsche Sprache gut erlernen können. Mit geschultem Personal in Kindergärten und Schulen sollte das schnelle Beherrschen der deutschen Sprache unterstützt werden.
6. Überdurchschnittliche Ballung der kulturellen Minderheiten in einigen Stadtteilen ist vor allem für die schulische Ausbildung der Kinder, aber auch für ein multikulturelles Leben kontraproduktiv. Mit einem Bündel von Maßnahmen, beispielsweise Verbesserung der Infrastruktur, Verbesserung der schulischen Situation und eine neue Wohnungsvergabepolitik sollte zu einer Entballung der Bevölkerungsstruktur in diesen Stadtteilen beigetragen werden.
7. Kindertagesstädten, Schulen und Hochschulen sollte im Rahmen einer interkulturellen Erziehungs- und Bildungspolitik die besten Orte des Erlernen und Erprobens des Miteinenderlebens in diesem Sinne sein. Interkulturelles Lernen als Konzept sollte dem Ziel dienen, die Kinder dialogfähiger, toleranter, humaner, kulturell vielseitige zu erziehen und zu bilden. Kinder, Jugendlicher und Junge Menschen Resistenz zu machen gegen Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit, sollte eines der wichtigsten Ziele unserer Pädagogischen Orientierung sein.
8. Interkulturelle Erziehung und Bildung begreift die Sprachliche und kulturelle Vielfalt der Kinder als Reichtum an und fördert das Erlernen der Muttersprache in den Schulen. Das Erlernen der eigenen Muttersprache stärkt das Selbstvertrauen und verbessert die Grundlage der Kinder zum besseren Erlernen der deutschen Sprache.
9. Für die Integration und Identifikation der kulturellen Minderheiten in die deutsche Gesellschaft ist derer gleichberechtigte Aufnahme in die deutsche Gesellschaft als ein fester Bestandteil von ihr die Grundvoraussetzung. Deshalb kommt der Beseitigung aller Berrieren für den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft eine zentrale Bedeutung zu. Die Erfahrung mit dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht zeit, daß sie diesem Ziel nicht gerecht wird und daher eine umfassendere Reform dringend geboten ist.
An einem Rundentisch, an dem Bürgermeister, Senatorin für Schule, Arbeit, Gesundheit und Soziales, Senator für Wohnungsbau, die Ausländerbeauftragte, Vertreter der Migrantenorganisationen, und Wissenschaft beteiligt sein sollten, über Konzepte der multikulturellen Gesellschaft beraten werden. Die Politik sollte diesem gesellschaftlich wichtigen Thema die notwendige Priorität einrumen.