Am 4. Marz 1997 wird die nationale Eröffnungsveranstaltung des 'Europäischen Jahres gegen Rassismus 1997' in Berlin stattfinden. Wir begrüßen es ausdrücklich, daß der Europäische Rat und die Mitgliedsstaaten der EU das Jahr 1997 zum Jahr des Kampfes gegen den Rassismus erklärt haben.
Dem Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus kommt – insbesondere in den letzten Jahren – angesichts der zunehmenden Stärkung der rassistisch-anti¬semitischen Parteien und Organisationen und der Übergriffe gegen die ethnisch-kulturellen Minderheiten in den EU-Staaten eine besondere Bedeutung zu.
Die kulturellen Minderheiten in Deutschland haben es im Vergleich zu den meisten anderen EU-Staaten sehr schwer über das Thema Rassismus und Diskriminierung in der deutschen Öffentlichkeit zu reden und vor allem mit den Parteien und Regie-rungen zu einem sachlichen Gespräch zu kommen. Die Bundesregierung, vor allem aber das Bundesministerium des Inneren, das bei dieser Veranstaltung und weiteren Aktivitäten zu diesem Thema in diesem Jahr als nationale Koordinierungsstelle fungiert, meidet die Verwendung der Begriffe ‘Ras-sismus’, ja sogar ‘Diskriminierung’ und negieren damit, daß es in Deutschland Rassismus und Diskriminierung gibt. Selbst die Begriffe ‘Einwanderer’, ‘Immigran-ten’ und ‘ethnisch-kulturelle Minderheiten’ werden in bezug auf die hier lebenden Nichtdeutschen vermieden, weil diese ja offiziell als Ausländer oder gar ‘Wanderar-beiter’ gelten. Wo und wie soll hierbei eine sachliche Diskussion über Rassismus und Diskriminie-rung der in Deutschland lebenden kulturellen Minderheiten möglich sein, wenn be-reits die notwendigen Begriffe dafür abgelehnt und vermieden werden? Genau so schief ist aber auch das Verständnis des Umgangs der Politik mit den hier lebenden Einwanderern. Müßte es nicht selbstverständlich sein, daß in dem ‘Koordi¬nierungsausschuß für das Europäische Jahr gegen Rassismus’ in Deutschland auch die vom Rassismus am meisten betroffenen Vertreter der Einwandererorgani-sationen beteiligt sind und sie die Aktivitäten gegen den Rassismus mitplanen und mitentscheiden? Allein die Wahl der Diskutanden für das Programms der nationalen Eröffnungskonferenz belegt dieses inakzeptable und falsche Verständnis der Orga-nisatoren. Die vom Rassismus alltäglich betroffenen Immigranten und deren Organi-sationen brauchen offensichtlich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, gar nicht dabei zu sein. Es genügt ja, wenn die deutschen Experten unter sich über die Betrof-fenen diskutieren. Von 17 Rednern und Diskussionsteilnehmern gehören lediglich drei Personen den Minderheiten in Deutschland an, die vom Rassismus und Antise-mitismus am stärksten betroffen sind. In Großbritannien, in Frankreich und in den skandinavischen Ländern sehen solche Programme ganz anders aus. Solche Diskussionen finden in einem ausgewogenen Verhältnis von Einheimischen und Immigranten statt. Den Betroffenen wird notwen-digerweise bei solchen Veranstaltungen mehr Gehör verschafft. So müßte es auch in Deutschland sein. Das interessante ist, daß dieser untragbare Umgang mit den Ein-wanderern und dem Thema nicht einmal den Organisatoren bewußt ist. Die ethnisch-kulturellen Minderheiten sind in Deutschland wahrhaft nicht zu benei-den, sie haben und werden es auch in Zukunft ganz offensichtlich schwer, sehr schwer haben! Damit es bei dem auch von der Bundesrepublik Deutschland mitunterzeichneten ‘Euro¬päischen Jahr gegen Rassismus’ nicht nur bei verbalen Bekundungen bleibt, der Kampf gegen Rassismus vielmehr als eine aufrichtig gemeinte Herausforderung begriffen wird, erwarten wir von der Bundesregierung und den politischen Parteien konkrete Maßnahmen dagegen. Die Verabschiedung eines Antidiskriminierungsge-setzes gehört seit Jahren zu den wichtigsten Forderungen der Einwandererorganisa-tionen. In fast allen westeuropäischen Staaten existieren besondere Gesetze und Begleitmaßnahmen gegen Diskriminierungen der ethnisch-kulturellen Minderheiten und gegen rassistisch motivierte Straftaten. Gerade in diesem Jahr würde es Deutschland gut anstehen, diesen Nachholbedarf zu realisieren.
Prof. Dr. Hakký Keskin