Beendigung der Zusammenarbeit mit der radikal islamisch orientierten "Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e.V." (AMGT) im TGB

Das Bündnis Türkischer Einwanderer Hamburg e.V. (TGB) wurde am 7. März 1986 als Reaktion gegen die Ermordung von Ramazan Avcý durch Skinheads ge-gründet.

Am 5. Juni 1994 fand nun eine außerordentliche Mitgliederversammlung statt, auf der eine grundsätzliche Entscheidung getroffen wurde.

Das TGB vereinte als erste türkische Organisation die unterschiedlichsten Verei-ne, Moscheen, Initiativen, Mitarbeiter bestimmter Institutionen, Vertreter von Be-triebsräten sowie Gewerkschafter unter einem Dach. Gemeinsam war ihnen neben der Ablehnung von Gewalt das Eintreten für demokratische Grundsätze. Unter die-sem Grundkonsens konnte so der gemeinsame Einsatz

  • gegen Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit und
  • für gleiche Rechte
  • sozialdemokratischer, liberaler, konservativer und religiöser Menschen in einer har-monischen Zusammenarbeit realisiert werden.

Mit seiner pluralistischen Zusammensetzung hat das TGB eine wirkungsvolle Ar-beit leisten können und gehört seit langem zu den beachteten Einwandererorganisa-tionen in der deutschen und türkischen Öffentlichkeit. Es ist heute eine von deut-schen wie türkischen Medien gleichermaßen gefragte Einrichtung.

Am 5. Juni 1994 fand eine außerordentliche Mitgliederversammlung des TGB statt, wie einige Mitgliedervereine des TGB dies gefordert hatten, in der über die Zu-sammenarbeit mit den radikal islamisch orientierten Vereinen acht Stunden lang dis-kutiert wurde. In dieser gleichwohl sachlich und mit gegenseitigem Respekt geführ-ten Diskussion entschieden sich die Delegierten des TGB mehrheitlich, die Zusam-menarbeit mit den Vereinen ‘Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa (AMGT) Hamburg e.V’, ‘Gesellschaft der türkischen Arbeiter in Hamburg und Um-gebung zur Errichtung einer Moschee e.V.’, ‘Hicret Moschee’ und der ‘Islamische Vereini-gung Harburg’ zu beenden.

Die Gründe für diese Entscheidung lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1. Die ‘Vereinigung der Neuen Weltsicht’ und die dieser nahestehenden oben ge-nannten Vereine unterstützen aktiv die ‘Wohlfahrtspartei der Türkei’ (Refah Par-tesi). Diese ‘Wohlfahrtspartei’ wuchs inzwischen zu einer der Parteien, die in naher Zukunft in der Türkei die Regierung übernehmen könnte. 80% der türki-schen Bevölkerung befürchtet allerdings, daß diese Partei den Grundprinzipien eines pluralistischen, freiheitlich-demokratischen und laizistischen Rechtsstaats nicht treu sein wird. Wir können es nicht verantworten, mit einer Bewegung in Deutschland ‘für gleiche Rechte der Einwandererbevölkerung’ zusammenzuar-beiten, die in der Türkei für einen theokratischen Staat kämpft und somit an ihrer Treue zu einer pluralistischen Demokratie und ihrem Eintreten für die Grundsätze eines demokratischen Rechtsstaats ganz erhebliche Zweifel bestehen.

2. Die letzten Berichte des Bundesamtes sowie des Hamburger Landesamtes für den Verfassungsschutz warfen der AMGT vor, ‘mit politischen Mitteln eine isla-mische Republik Türkei unter Führung der Refah Partesi anzustreben’. Außer-dem wird von einer ‘antisemitischen Haltung’ der AMGT gesprochen. Aus die-sen Gründen wurde dem TGB vorgeworfen, mit einer Organisation zusammenzu-arbeiten, die einen islamischen Staat zum Ziel hat und eine ‘anti-jüdische Hal-tung’ einnimmt. In jüngster Zeit nahm diese Kritik zu. Das TGB ist jedoch ohne jeden Zweifel ein den Grundsätzen des demokratischen Rechtsstaats fest ver-pflichtetes Bündnis, das gegen Ausländer- und Judenfeindlichkeit kämpft und als ein gemeinnütziger Verein im Sinne des Völkerverständigungsgedankens aner-kannt ist.

3. In jüngster Zeit hatte sich das TGB häufig mit Vorwürden wegen des Massakers in Sivas, wegen seiner unflätigen Beschimpfungen gegen Staatsgründer Atatürk des Abgeordneten Hasan Mezarcý von der Wohlfahrtspartei und wegen einer Rede Erbakans, des Vorsitzenden der Refah Partesi, daß das türkische Volk dar-über entscheiden werde, ob seine ‘Partei blutig oder mit friedlichen Mitteln an die Macht käme’, auseinandersetzen müssen. Aus diesem Grunde war es dem Vorstand des TGB in den letzten Monaten kaum noch möglich, sich mit den ei-gentlichen Aufgaben des Bündnisses zu befassen und eine seinen Zielen ent-sprechende Politik zu verfolgen. Während so der Vorstand des TGB zur Zielscheibe dieser Kritik wurde, hat die AMGT sich außer zu den Ereignissen von Sivas sonst nicht öffentlich zu diesen Kritikpunkten geäußert und nicht Stellung bezogen.

4. Der AMGT und der von ihr unterstützten Wohlfahrtspartei wurde in den letzten Monaten außerdem die Verwicklung in manche Finanzskandale vorgeworfen. Die damit in Zusammenhang stehenden Fragen wurden ebenfalls in einem langen und sachlich geführten Diskussionsprozeß eingehend erörtert. Die Delegierten der außerordentlichen Mitgliederversammlung kamen zu dem Entschluß, daß ohne eine klare und längst überfällige Klärung dieser Vorwürfe eine weitere Zusammenarbeit mit der AMGT und den ihr nahestehenden Vereinen nicht mehr möglich ist.

Seit Gründung des TGB, also seit nunmehr achteinhalb Jahren, kamen immer zwei der neun Vorstandsmitglieder aus den Reihen der jetzt ausgeschlossenen Ver-eine. Wir haben mit ihnen stets in einer harmonischen Atmosphäre gute Arbeit ge-leistet. Für ihre Mitwirkung und die aufrichtige Zusammenarbeit gilt ihnen unser Dank.

Das TGB wird sich auch in Zukunft mit aller Entschiedenheit für die Belange der türkischen wie der übrigen Einwandererbevölkerung einsetzen.

Mit dieser Entscheidung fordert das TGB zugleich die Mitglieder der AMGT, die ja ohne Zweifel in der Türkei und in Deutschland einen Teil der türkischen Bevölkerung ausmachen, auf, ihre Positionen zu den kritisierten Punkten zu überdenken. Wir sind nach wie vor der festen Überzeugung, daß sich die türkische Einwandererbevölke-rung in Deutschland trotz unterschiedlicher politischer Überzeugungen in grundsätz-lichen Punkten einigen und daraus eine gemeinsame Politik entwickeln muß. Zu die-sen grundsätzlichen Punkten gehört jedoch ohne Zweifel auch die Bejahung der Grundsätze eines pluralistischen, freiheitlich-demokratischen und laizistisch-rechtsstaatlichen Gemeinwesens.

Prof.Dr. Hakký Keskin