Der Linken-Abgeordnete Keskin kritisiert 15 Jahre nach den Anschlägen von Mölln die Sprache der damals mächtigen Politiker. Auch der Umgang der Justiz mit Tätern sei falsch.
taz: Herr Keskin, erinnern Sie sich an den 23. November vor 15 Jahren?
Hakki Keskin: Ich kann mich sehr gut erinnern, ja.
taz:Damals starben bei Brandanschlägen im schleswig-holsteinischen Mölln zwei Mädchen, Yeliz Arslan, 10, und Ayse Yilmaz, 14, sowie ihre 51-jährige Großmutter Bahide Arslan.
Hakki Keskin: Ich war am gleichen Tag an Ort und Stelle, habe die Familie besucht, die Überlebenden, die ja zum Teil schwer verletzt waren. In den Tagen danach haben wir dann eine große Protestaktion in Mölln und in Hamburg organisiert.
taz: Was hat dieser Tag für die türkische Community in Deutschland bedeutet?
Hakki Keskin: Ich hatte es nicht für möglich gehalten, dass in der Bundesrepublik Deutschland so etwas passieren könnte. Die Menschen mit einem Brandsatz zu töten, quasi im Schlaf, in ihren Häusern, das war unvorstellbar grausam. Bei mir hat das Erinnerungen an den Nationalsozialismus wachgerufen.
taz: Unter vielen in Deutschland lebenden Türken breitete sich das Gefühl aus, der Staat könne seine Bürger nicht schützen. Der Schriftsteller Ralph Giordano rief zur Selbstverteidigung auf. War das im Rückblick eine Überreaktion?
Hakki Keskin: Mölln hatte ja seine Vorläufer. Denken Sie an die rassistischen Übergriffe gegen Flüchtlinge in Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda. Im Jahr darauf folgten die Anschläge in Solingen. Große Teile der Politik haben uns Migranten damals mit unserer Angst allein gelassen. Mit ihren Äußerungen, dass in Deutschland zu viele Ausländer und Asylbewerber lebten, haben sie die Neonazis sogar regelrecht zu ihren Taten ermutigt. Daher hatte Giordano damals völlig recht.
taz: Mehr als zwei Millionen Menschen gingen nach Mölln in ganz Deutschland auf die Straßen, bildeten Lichterketten. Hat die deutsche Gesellschaft von Mölln gelernt?
Hakki Keskin: Diese pogromartige Stimmung Anfang der 90er-Jahre existiert erfreulicher Weise heute nicht mehr. Aber die Gefahr des Rassismus ist natürlich nicht verschwunden. Immer wieder kommt es zu Gewalt gegen Migrantinnen und Migranten, da reicht ein Blick in die Verfassungsschutzberichte.
taz: Wofür steht Mölln heute?
Hakki Keskin: Mölln ist zu einem Symbol der barbarischsten Form des Rassismus geworden. Diese Ereignisse darf man nie vergessen.
taz: Einer der beiden Mörder, Lars C., kam schon im Jahr 2000 frei, der zweite Täter, Michael P. ist vor wenigen Tagen entlassen worden. Was halten Sie davon?
Hakki Keskin: Das finde ich eine Schweinerei.
taz: Auch Mörder haben ein Recht auf Resozialisierung. Gilt das für die beiden Täter von Mölln nicht?
Hakki Keskin: Jemand der Menschen aus rassistischen Motiven tötet, weil sie eine andere Herkunft, Hautfarbe oder Religion haben, sollte härter bestraft werden. Das Gericht hätte damals eine besondere Schwere der Schuld feststellen können. Michael P. hätte frühestens nach 25 Jahren frei kommen dürfen. Ich befürchte, dass er in der rechten Szene nun als Held gefeiert wird.
taz: Laut Oberlandesgericht Schleswig hat Michael P. sich intensiv mit seiner Tat auseinandergesetzt und von der rechten Szene abgewandt.
Hakki Keskin: Das kann ich nicht beurteilen. Ich hoffe nur, dass das aufrichtig gemeint ist und die Täter überzeugt sind, damals einen furchtbaren Fehler begangen zu haben.
INTERVIEW: WOLF SCHMIDT, die tageszeitung