Die Zypernfrage

Das Zypern-Problem wird offensichtlich weiterhin ein großes Hindernis bei den Beitrittsverhandlungen der Europäischen Union mit der Türkei darstellen. Hier finden Sie eine stichpunktartige Übersicht zur historischen Entwicklung und dem aktuellen Stand der Auseinandersetzung

Ursachen des Konflikts und der historische Hintergrund

• Von 1571 bis 1878 gehörte die Insel Zypern zum Osmanischen Reich. Am Ende des 19. Jahrhunderts befand sich das Osmanische Reich im Zerfall. Um sich durch eine Allianz mit Großbritannien gegen expansive Bestrebungen Russlands zu schützen, wurde mit Großbritannien das Abkommen ‘Convention of Defensive Alliance’ abgeschlossen. Ab diesem Zeitpunkt wurde die Insel de facto von Großbritannien beherrscht. Die Insel blieb aber rechtlich ein Teil des Osmanischen Reiches.

• Als das Osmanische Reich im Ersten Weltkrieg auf der Seite der Mittelmächte in den Krieg eintrat, annektierte Großbritannien im November 1914 die Insel. Im Jahr 1925 wurde Zypern britische Kronkolonie.

• 1960 erlangte Zypern die Unabhängigkeit. In der Verfassung von 1960 wurde festgelegt, in welcher Weise beide Volksgruppen in staatlichen Institutionen vertreten werden sollten. Als Präsident der Republik Zypern war ein griechischer Zypriot und als Vizepräsident ein türkischer Zypriot vorgesehen. Großbritannien, Griechenland und die Türkei waren Garantiemächte mit dem Recht, beim Bruch mit den verfassungsrechtlichen Bestimmungen eingreifen zu dürfen.

• Die Unabhängigkeit Zyperns als Republik beruhte auf der Verfassung von 1960. Sie war die Basis für die Anerkennung der zypriotischen Republik als souveräner Staat. Diese Verfassung sollte die Gleichberechtigung der beiden Volksgruppen aufrechterhalten und dafür sorgen, dass keine Politik, die sich gegen eine der beiden Volksgruppen richtet, entstehen kann.

• Im Jahr 1963 verfolgte Makarios als Präsident der Republik Zypern das Ziel, die Verfassung dahingehend zu ändern, dass den türkischen Zyprioten die Gleichberechtigung entzogen und ihnen nur noch ein Minderheitenstatus zugestanden werden sollte. Dies wurde von den türkischen Zyprioten nicht akzeptiert, da eine solche Verfassungsänderung die drei Jahre zuvor ausgearbeitete Verfassung und Legitimation eines gemeinsamen Staates unterlaufen und die Mitbestimmungsrechte der türkischen Zyprioten aufgehoben hätte.

• Auf griechisch-zypriotischer Seite wurde die terroristische Vereinigung EOKA gegründet, die türkische Dörfer überfiel und Zivilisten wahllos tötete. Ziel der EOKA war es dabei, die so genannte ENOSIS, die Anbindung der Insel an Griechenland, zu verwirklichen.

• 1967 wurde in Griechenland in Folge eines Militärputsches die Regierung gestürzt. Die Obristen in Griechenland hatten später am 15. Juli 1974 einen Putsch gegen Makarios mit dem Ziel durchgeführt, Zypern an Griechenland anzuschließen. Die Militärjunta Griechenlands erklärte das nationale Ziel der ENOSIS zur Priorität ihrer Außenpolitik.

• Das vorrangige Ziel der Putschisten in Zypern war neben der ENOSIS die Beseitigung von Makarios und die Säuberung der Insel von Sozialisten, Kommunisten und anderen ‘Feinden des Griechentums’. Makarios rettete sich jedoch nach London. Die Putschisten ernannten Nicos Sampson, der für seine zahlreichen Morde an türkischen Zyprioten bekannt war, zum Präsidenten.

• Die Türkei forderte nach diesem Putsch Großbritannien auf, gemeinsam als Garantiemächte zu intervenieren, um die verfassungsmäßige Ordnung auf der Insel wieder herzustellen. Doch Großbritannien lehnte es ab und verhinderte sogar gemeinsam mit den USA eine Verurteilung des Putsches durch den Weltsicherheitsrat. Fünf Tage nach dem Putsch, am 20. Juli 1974, landeten türkische Truppen an der Nordküste Zyperns und besetzten den Nordteil der Insel, wo mehrheitlich die türkisch-zypriotische Bevölkerung lebt.

• Infolge dieser Intervention der Türkei auf Zypern stürzte am 23. Juli in Athen die Junta und überließ den Zivilisten die Macht, da sie nicht in der Lage war, mit den Konsequenzen des Putsches fertig zu werden. Mit dem Sturz der Obristen in Griechenland hatte auch Nicos Sampson keine Rückendeckung mehr und kapitulierte ebenfalls am gleichen Tag. Bis zum 16. August 1974 besetzten türkische Truppen den Nordosten der Insel bis zur Linie Lefka – Nikosia – Famagusta (Attila-Linie). Hiermit machte die Türkei von ihrem Interventionsrecht als Garantiemacht Gebrauch. Es kam zur Teilung der Insel.

• Trotz zahlreicher Initiativen kam es nicht zu einer Lösung des Zypernkonflikts. Am 15. November 1983 wurde die Türkische Republik Nordzypern gegründet. Bislang wird diese jedoch lediglich von der Republik Türkei anerkannt.

Zur gegenwärtigen Situation • Die Teilung der Insel hält bis heute an, weil beide Seiten, sowohl der griechisch-zypriotische als auch der türkisch-zypriotische Teil an ihren Maximalforderungen festhielten. Das türkische Militär ist auf der Insel nach wie vor präsent. Der Abzug des türkischen Militärs (bis auf eine symbolische Vertretung) war stets verbunden mit einer Lösung des Zypern-Konflikts, wie dies auch im gescheiterten Annan-Plan vorgesehen war.

• Als im Jahr 1999 auf dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs in Helsinki die Zypernfrage zu einem Kriterium für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gemacht werden sollte, verließen der damalige türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit und der ehemalige Außenminister der Türkei, Ismail Cem, aus Protest das Gipfeltreffen. Die Türkei hat unmissverständlich klar gemacht, dass die Zypernfrage nicht als zusätzliches Kriterium neben den Kopenhagener Kriterien akzeptiert werden kann. Daraufhin flogen der EU-Erweiterungskommissar Günther Verheugen und Xavier Solana nach Ankara und brachten Ecevit persönlich einen Brief des amtierenden EU-Ratspräsidenten Paavo Lipponen. In diesem Brief wird der Türkei zugesichert, dass Zypern kein weiteres Aufnahmekriterium darstellt und die Erwähnung Zyperns sich ‘nur auf den politischen Dialog bezieht’ (Brief von Lipponen an den Ministerpräsidenten Evecit, 10.12.1999).

• Nach Jahre langen Bemühungen wurde unter Federführung des UNO-Generalsekretärs Annan eine Einigung sowohl mit den griechisch-zypriotischen als auch mit den türkisch-zypriotischen Vertretern erzielt. Dieser, von der EU unterstützte, so genannte ‘Annan-Plan’, wonach die Wiedervereinigung Zyperns vorgesehen war, wurde in einem Referendum am 24. April 2004 von den griechischen Zyprioten abgelehnt, während sie von einer großen Mehrheit der türkischen Zyprioten angenommen wurde.

• Auf Verlangen der Türkei wurde im Verhandlungsprozess zwischen EU und Türkei und aufgrund des positiven Abstimmungsergebnisses im türkischen Teil der Insel wurde der Türkei zugesichert, durch die Aufnahme von direkten Handelsbeziehungen mit Nordzypern dessen Isolation beenden zu wollen.

‘Die türkisch-zyprische Gemeinschaft hat ihren klaren Wunsch nach einer Zukunft innerhalb der Europäischen Union zum Ausdruck gebracht. Der Rat ist entschlossen, die Isolierung der türkisch-zyprischen Gemeinschaft zu beenden und die Wiedervereinigung Zyperns durch Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung der türkisch-zyprischen Gemeinschaft zu begünstigen.’ (Schlussfolgerungen des Rates der Europäischen Union, 26. April 2004 in Luxemburg)

• Die Umsetzung dieses Beschlusses wird jedoch durch das Veto der Republik Zypern verhindert.

• Der griechische Süden Zyperns wurde am 1. Mai 2004 in die EU aufgenommen.

Versäumnisse der EU • Die heutige Zypernproblematik in Bezug auf die EU- Türkei Beziehungen basiert auf einer Fehlentscheidung der EU. Mit der Aufnahme eines nicht wiedervereinigten Zyperns hat die EU gegen ihre eigenen Grundsätze verstoßen. Denn zur Beitrittsreife eines Landes gehört, dass interne Konflikte vor einem EU-Beitritt gelöst werden müssen. Demzufolge hätte die Republik Zypern erst nach Wiedervereinigung des Inselstaates oder aber beide Teile gleichzeitig in die EU aufgenommen werden dürfen, bevor das Zypernproblem gelöst war – keinesfalls aber im jetzigen Zustand.

• Die ungleiche Behandlung der Türkei von Seiten der EU bei Beitrittsverhandlungen und in der Zypernfrage, führen gegenwärtig zu einer deutlichen Abnahme der Befürworter eines türkischen EU-Beitritts innerhalb der türkischen Bevölkerung. Diese Entwicklung ist ernst zu nehmen, da sie zu einer politischen Umorientierung und zu vermehrtem Nationalismus und Fundamentalismus in breiten Teilen der Bevölkerung führen kann.

• Diese Entwicklung spiegelt sich auch auf der politischen Ebene wider. Sechs ehemalige Außenminister der Republik Türkei haben vor einigen Tagen gemeinsam die Position vertreten, die Türkei solle in der gegenwärtigen Situation die Beitrittsverhandlungen mit der EU unterbrechen. Eine Lösung der Zypernfrage solle nach einer Vollmitgliedschaft angegangen werden. (Milliyet, 09.11.2006)

Dateien:

kibris_sorunu.pdf