Religions- und Glaubensfreiheit sind universale Menschenrechte. Diese Rechte drücken sich in der Freiheit aus, die religiösen Inhalte im Lernen und Lehren an nachfolgende Generationen weiterzugeben, Rechte, die in den meisten Verfassungen demokratischer Staaten als unantastbare, unverzichtbare und unveränderliche Grundrechte verankert sind.
Auch in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, in den Artikeln 4 I, II und Art. 7 GG, sind diese Grundrechte niedergelegt; sie haben für alle in diesem Lande lebenden Menschen unabhängig von ihrer Herkunft Gültigkeit.
Mit 2,3 Millionen Menschen bildet die türkische Gemeinde die zahlenmäßig größte Min-derheit in Deutschland. Damit sind die türkische Sprache wie auch die islamische Kultur ein fester Bestandteil dieser Gesellschaft geworden. Allein in Hamburg leben rund 77.000 Menschen türkischer Herkunft. Der größte Teil dieser Menschen lebt seit vielen Jahren in Deutschland, Tausende von ihnen sind bereits deutsche Staatsbürger gewor-den, Zehntausende streben die deutsche Staatsbürgerschaft noch an.
Die meisten Schülerinnen und Schüler türkischer Herkunft haben Eltern, die mit einer Form des Islam groß geworden sind, die in weiten Teilen von tolerantem und liberalem Denken geprägt ist. Lediglich in der laizistischen Republik Türkei ist der ‘Islam’ – befreit vom Anspruch, gleichzeitig Ideologie, politische Doktrin und Rechtssystem zu sein – ausschließlich Religion.
Die Religion ist ein integraler Bestandteil der Kultur. In allen Sozialwissenschaften gibt es zahlreiche religiöse Motive, so in der Sprache, der Literatur, der Kunst und der Philoso-phie, die den Kindern nur über die Muttersprache vermittelt werden können.
Im Vergleich zu anderen Fachsprachen hat sich die religiöse Sprache mit ihren liturgi-schen Termini langsam über viele Jahrhunderte hinweg entwickelt, bevor sie sich in Sprache und Kultur, bevor sie im Bewußtsein der Menschen fest verankert hat. Dies be-deutet, daß ein islamischer Religionsunterricht in deutscher Sprache, also ohne diesen Prozess, nicht in der Lage ist, die Emotionen, also die Herzen anzusprechen. Dies kann dazu führen, daß das Werte- und Normensystem, das dem Islam wie jeder anderen Re-ligion zu Grunde liegt, unverständlich und in sich widersprüchlich wird, aber auch dazu, daß die Beziehung der Kinder zur elterlichen Kultur abbricht und Kinder und Eltern ein-ander fremd werden. Aus diesen Gründen möchte auch der größte Teil der türkischen Eltern die Grundlagen der islamischen Religion als einem wesentlichen Bestandteil ihrer Kultur in zeitgenössi-scher Interpretation in türkischer Sprache vermittelt sehen.
Wir, die Organisationen der Hamburger Türken, die wir einen beträchtlichen Teil dieser Menschen vertreten, setzen uns für eine Integration der türkischen Bevölkerung in die deutsche Gesellschaft ein. Zugleich wollen wir jedoch die Bewahrung und Weiterentwick-lung einer eigenen türkischen kulturellen Identität. Maßgeblich für diese Identität ist auch das Erlernen der Muttersprache und der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse über die eigene Religion.
Um diesen Tatbeständen Rechnung zu tragen, setzen wir uns nachdrücklich für eine konzeptionelle Änderung des ‘Hamburger Lehrplans für Religionsunterricht in den Schu-len’ ein und fordern deshalb:
1. Islamischer Religionsunterricht für türkische Schüler soll auf freiwilliger Basis in öf-fentlichen Schulen nach demokratischen Prinzipien unter Einhaltung der Menschen-rechte gemäß den universellen Rechtsnormen erteilt werden, und zwar in Fortfüh-rung der Prägung durch das Elternhaus in der Muttersprache Türkisch.
2. Über Inhalte, Formen und Methoden dieses Unterrichts, über die Lehrmaterialien und die Ausbildung der Lehrkräfte soll eine Kommission entscheiden, der neben Eltern-vertretern, den deutschen Behörden und dem türkischen Konsulat auch zivile und re-ligiöse türkische Organisationen, die türkischen Eltern- und Lehrervereine sowie Islamwissenschaftler angehören sollen.
3. Das Hamburger Modell eines Islamischen Religionsunterrichts für türkische Schüler von 1983 muß, so begrüßenswert es im Ansatz sein mag, nach Form und Inhalt wei-terentwickelt werden. In den seit 1973 an mehreren Schulen in Hamburg erteilten Türkischunterricht wurde 1983 auch der islamische Religionsunterricht integriert. Dies muß – auch aus juristischen Gründen – heute getrennt unterrichtet werden.
4. Nach einer kritischen Bestandsaufnahme der Situation an den Schulen, die islami-scher Religionsunterricht erteilen, muß sichergestellt sein, daß zum einen ein ausrei-chendes Angebot an Lehrkräften besteht, um die Nachfrage nach muttersprachlich erteiltem Religionsunterricht in den Grundschulen zu decken, zum anderen müssen hierfür genügend zweisprachige Fachlehrer in den weiterführenden Schulen zur Ver-fügung stehen.
5. Die Lehrmaterialien sollen nach Inhalt und Form zeitgenössisch und gemäß den Le-bensbedingungen der Schüler weiterentwickelt werden. 6. Der derzeit in der Muttersprache erteilte islamische Religionsunterricht soll nach In-halt und Zielen weiterentwickelt werden, um bei ausreichender Verbreitung und Kon-tinuität zur Institution zu werden. Künftige Generationen sollen in einem Islamverständnis erzogen werden, das auf säku-laren, zeitgenössischen und demokratischen Prinzipien basiert und die Menschenrechte achtet. Mit dieser Erziehung soll dazu beigetragen werden, dass die Jugendlichen ihr Selbstwertgefühl und ihre kulturelle Identität entwickeln und befähigt werden, sich an allgemeingültigen ethischen Normen zu orientieren. Sie sollen die Eignung erwerben, Konflikte gewaltfrei zu lösen und damit den gesellschaftlichen Frieden zu erhalten. Reli-giöse Erziehung darf nicht die Kräfte stärken, welche die Religion für ihre politische Zwe-cke und egoistischen Ziele missbrauchen und damit nicht nur die islamischen Gemein-schaft sondern die gesamte Gesellschaft spalten und zu anhaltenden Konflikten führen.