Rede vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zum Thema Interkulturelle Bildung
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren,
ich danke unserer Kollegin Christine Muttonen für Ihre federführende Arbeit zu dem vorliegenden Entwurf für eine Empfehlung zur interkulturellen Bildung.
Lassen sie mich dabei zunächst festhalten, dass die Globalisierungsprozesse nicht nur einen beschleunigten ökonomischen und sozialen Wandel mit sich bringen, sondern aus zu einem intensiveren interkulturellen Austausch beitragen. Die Gesellschaften in den Mitgliedstaaten und darüber hinaus sind infolge der zurückliegenden, globalen Migrationsprozesse insbesondere in kultureller Hinsicht vielfältiger geworden.
Das Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen kann unterschiedliche Reaktionen auslösen. Neben kreativen Impulsen für Kultur und Kunst kann das Verständnis füreinander gestärkt werden, ebenso wie bisweilen auch Konflikte entstehen können. Vor diesem Hintergrund wird die Bedeutung der interkulturellen Bildung in naher Zukunft stark zunehmen.
Die primäre Aufgabe der interkulturellen Bildung sollte darin bestehen, die sozialen Kompetenzen auszubilden, die das einzelne Individuum benötigt, um sich in einer kulturell vielfältigeren Gesellschaft zurecht zu finden. Die kulturellen Unterschiede sollten somit nicht als Bedrohung, sondern als Normalität und Bereicherung des eigenen Selbst empfunden werden.
Ich stimme daher zu, wenn in dem vorliegenden Entwurf der Stellenwert von interkultureller Bildung in den Mitgliedstaaten gestärkt werden soll. Dies betrifft den besseren interkulturellen Erfahrungsaustausch, der in den Bereichen Bildung und Erziehung stärkere Berücksichtigung finden muss.
Und selbstverständlich unterstütze ich die Forderung nach Anerkennung des Rechts auf kulturelle Bildung mit entsprechenden Unterstützungsprogrammen für die Mitgliedstaaten, mit denen die Bildungs- und Teilhabechancen von benachteiligten Personen und kulturellen Minderheiten verbessert werden sollen.
Nach meinem Verständnis kann sich kulturelle Bildung nicht nur in der Ausübung und Toleranz künstlerischer Vielfalt erschöpfen. Dem Entwurf liegt m. E. ein primär auf Kunst verengtes Verständnis von kultureller Bildung zugrunde.
Ich vertrete die Auffassung, dass interkulturelle Bildung sämtliche kulturellen Ausdrucksformen im Lebensalltag der Menschen konkret vermitteln und erfahrbar machen sollte! Dies betrifft beispielsweise die Vielfalt der Sprachen, den Dialog der Religionen, die Akzeptanz unterschiedlicher Lebensentwürfe samt ihren kulturspezifischen Grundlage. Meine Damen und Herren,
Vor diesem Hintergrund kommt der interkulturellen Bildung aus meiner Sicht vielmehr die zentrale gesellschaftspolitische Funktion zu, die Integration der unterschiedlichen Kulturen in den jeweiligen Gesellschaften zu fördern und ihr friedliches und solidarisches Zusammenleben zu gewährleisten!
Des Weiteren verlangt die Förderung der interkulturellen Bildung mehr öffentliche Investitionen. Und wenn es darum geht, dass gleichberechtigte Miteinander unterschiedlicher Kulturen im Bildungssystem zu gewährleisten, dann müssen auch eventuell vorhandene, sozial und ethnisch diskriminierende Bildungsstrukturen beseitigt werden.
Ich plädiere hierbei ausdrücklich für Bildungsreformen nach skandinavischem Vorbild! Eine integrative Gemeinschaftsschule für alle, in der die Kinder unabhängig von ihrer Herkunft länger gemeinsam miteinander lernen und individuell gefördert werden, stärkt nicht zuletzt auch die interkulturellen Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen nachhaltig!
Aus diesem Grund halte ich die Forderung 14.5. für äußerst problematisch, wonach die kulturelle Vielfalt in den Mitgliedstaaten beispielsweise durch die Herausstellung der nationalen Identität einer bestimmten Kultur bei gleichzeitiger Anerkennung anderer Kulturen und gemeinsamer kultureller Wurzelnkulturelle gefördert werden soll. In den deutschsprachigen Ländern kommt dieses Verständnis in dem Begriff der sogenannten ‘Leitkultur’ zum Ausdruck. Sowohl in der Theorie wie in der Praxis beschreibt dies nichts anderes als die Ungleichwertigkeit der Kulturen mit Unterordnung der fremden Kulturen unter die althergebrachte und historisch überlieferte. Dies ist kein zukunftsweisendes Konzept! In der globalen Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts wird es keinen demokratisch begründbaren Dominanzanspruch einer Kultur mehr geben können! In den pluralistisch zusammengesetzten Gesellschaften der Mitgliedstaaten müssen alle Minderheitengruppen gegenüber der Mehrheitsgesellschaft gleichberechtigt sein. Der Bereich der Kultur darf hierbei keine Ausnahme bilden!
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit!