Sehr geehrter Herr Bundespräsident Joachim Gauck,
gestatten Sie mir bitte, Ihnen vorerst ganz herzlich zu Ihrer Wahl zum Bundespräsidenten zu gratulieren und Ihnen viel Erfolg zu wünschen. Ihre Antrittsrede habe ich im Fernsehen aufmerksam mit verfolgt. Sie haben viele Themen angesprochen und Ihren Schwerpunkt auf Freiheit und Gerechtigkeit gelegt, die sich bedingen. Vor allem die Gerechtigkeit ist für mich seit meiner Jugendzeit ein ganz elementares Anliegen. Denn Freiheit ohne Gerechtigkeit bleibt vor allem die Freiheit der Privilegierten in der Gesellschaft.
Ich kam nach meinem Abitur zum Studium nach Hamburg und Berlin und bin nunmehr seit 45 Jahren in Deutschland. Ich gehöre zu den `68ern, die Sie in ihrer Rede lobend erwähnt haben. Ich habe sowohl die türkische als auch die deutsche Identität und setze mich entschieden in beiden Ländern für gereifte Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, soziale Gerechtigkeit und für den Sozialstaat ein.
Mehr als 30 Jahre lang habe ich mich in meinen verschiedenen Aufgabenbereichen, als Hochschullehrer, als Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Hamburg, als Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland (z. Zt. bin ich derer Ehrenvorsitzender) und als Abgeordneter in Hamburg und im Bundestag für die rechtliche, soziale und politische Gleichstellung und Gleichbehandlung der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland engagiert.
Die Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft, somit die rechtliche Gleichstellung, war und ist für mich ganz entscheidend für die Partizipation und der so genannten Integration in Deutschland. Viele Untersuchungen belegen, dass die Immigrierten, ja sogar die in Deutschland geborenen Kinder der Eingewanderten ihre alte Staatsbürgerschaft beibehalten wollen. Deshalb habe ich mich für die erleichterte Einbürgerung unter Hinnahme der Beibehaltung der alten Staatsbürgerschaft in
Deutschland eingesetzt, was in vielen westlichen Staaten seit Jahrzehnten mit Erfolg praktiziert wird.
Ich halte es in einem demokratischen Rechtsstaat nicht hinnehmbar, dass Menschen, die seit Jahrzehnten in Deutschland legal leben, ja sogar vor 2000 hier geboren worden sind, hier arbeiten und ihre Steuer zahlen, dennoch aber an dem politischen Willensbildungsprozess nicht teilhaben können. Dieses Problem sollte auch im Interesse Deutschlands nunmehr gelöst werden, damit die Absonderung und Ungleichbehandlung in politischen Bereichen von rund 7 Millionen Menschen ein Ende hat. Ohne Lösung dieses Problems wird die Identifikation dieser Menschen mit Deutschland nicht gelingen und sie werden sich hier nicht beheimatet fühlen können. Viel mehr bleibt diese Diskriminierung eine anhaltende Gefahr für den sozialen Frieden in Deutschland
Mit einer Reihe Publikationen, zuletzt mit meiner Veröffentlichung „Deutsch-türkische Perspektiven“, erschienen 2009, habe ich eine eingehende Analyse der Migrationpolitik, darunter der Fehlleistungen der Politik und Alternativen für eine zukunftsgerechte Integrationspolitik vorgelegt. In den letzten 30 Jahren setzte ich mich gemeinsam mit vielen anderen argumentativ in Hunderten von Vorträgen und Veranstaltungen vor allem für eine erleichterte Einbürgerungspolitik ein. Diese Jahrzehnte lange engagierte Arbeit brachte leider keine substanzielle Änderung in der Einbürgerungspolitik für die Migranten, die für viele bereits zu einer Resignation geführt hat.
Der Grund des Scheiterns einer gleichberechtigten und zukunftsorientierten Partizipationspolitik liegt daran, dass es zwischen den politischen Parteien im Bundestag bis lang keine Einigung gab.
Gerade hierbei, sehr geehrter Herr Bundespräsident, möchte ich Sie bitten, für eine Konsensfindung zwischen den politischen Parteien Ihren ganz entscheidenden Beitrag zu leisten, im Interesse des sozialen Friedens und für die Herstellung der Gerechtigkeit in der deutschen Gesellschaft.
Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
gestatten Sie mir bitte, dass ich Sie auch zu einem außenpolitischen Anliegen von mir ebenfalls anspreche.
Während meiner Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter – aber auch danach – habe ich mich ehrenamtlich intensiv mit Fragen der Sicherung des Friedens in der Südkaukasusregion befasst. Leider ist in dieser Region ein akutes Konfliktpotenzial vorhanden, welches jederzeit zum Ausbruch eines Krieges führen kann. Das
Hauptproblem hierbei liegt darin, dass 20 Prozent des Staatsterritoriums Aserbaidschans (das Autonomiegebiet Berg-Karabach sowie sieben umliegende Distrikte) durch die Nachbarrepublik Armenien militärisch besetzt ist. Seit dieser Besatzung vor 20 Jahren flüchteten aus den besetzten Gebieten knapp eine Million Binnenflüchtlinge nach Baku und in die umliegenden Orte. Für die Gewährung und dauerhafte Sicherung des Friedens in dieser konfliktbelasteten Region muss sich Armenien gemäß vier Resolutionen des Sicherheitsrats der UNO aus den besetzten Gebieten Aserbaidschans baldmöglichst zurückziehen.
Die Regierung Aserbaidschans versucht seitdem mit friedlichen Mitteln eine Lösung des Konflikts zu erreichen. Eine Millionen Flüchtlinge warten seit zwei Jahrzehnten auf eine Lösung, welche ihnen die Rückkehr in ihre Heimatorte ermöglicht. Dies bedeutet auch einen enormen Druck auf die politisch Verantwortlichen im Lande. Sollte dieses Problem in absehbarer Zeit nicht gelöst werden, wird nach meiner Erkenntnis ein Krieg dort unvermeidlich sein.
Deshalb, sehr geehrter Herr Bundespräsident, möchte ich Sie höflich bitten, im Interesse der Gewährung und dauerhaften Sicherung des Friedens in Südkaukasien initiativ zu werden, bevor es zu spät wird.
Gern stehe ich Ihnen zu diesen Themen für ein Gespräch zur Verfügung.
Hochachtungsvoll
Hakkı Keskin