Stoiber EU Türkei

Die Äußerung Edmund Stoibers, der 'Beitritt der Türkei wäre das Ende der politischen Union Europas' ist für einen erfahrenen Politiker mehr als peinlich

In einem Interview mit der Süddeutscher Zeitung vom 21./22.2 äußert Herr Stoiber sich wie folgt: ‘Nimmt man die Türkei auf, dann ist das das Ende der Vision von der politischen Union Europa. (…). Mit einem Staat wie die Türkei, der einen ganz anderen gesellschaftlichen Hintergrund hat, sprengt man die politische Union.’

Mit dieser Äußerung wirft Stoiber allen 15 Staats- und Regierungschefs, die 1999 in Helsinki die Türkei offiziell als Beitrittskandidaten anerkannt haben, Unfähigkeit oder gar Verantwortungslosigkeit vor. Mehr noch, dieser Vorwurf müsste selbst für den Übervater der Union, Konrad Adenauer, gelten, der das Assoziierungsabkommen zwischen der EWG und der Türkei ratifiziert hat.

Deshalb halten wir diese Aussage von Ministerpräsident Stoiber für höchst peinlich. Mit Behauptungen wie diesen sollen bei der deutschen Bevölkerung einmal mehr Ängste geschürt werden, um damit bei den anstehenden Wahlen Stimmen zu fangen.

In diesem Interview wird von Herrn Stoiber erneut auf die islamische Religionen in der Türkei und auf kulturelle Unterschiede verwiesen, die der europäischen Identität und dem damit verbundenen Zusammengehörigkeitsgefühl nicht entspräche. Es zeugt nicht gerade von großem Selbstbewußtsein, wenn Herr Stoiber befürchtet, ein einziges islamisch geprägtes Land unter zukünftig 28 EU-Staaten und einer Bevölkerung von mehr als 500 Millionen Menschen könnte die Identität der EU gefährden. Diese Befürchtung dürfte, wenn überhaupt, eher für die Türkei gelten.

Die türkische Bevölkerung votiert zu 80 Prozent für eine EU-Mitgliedschaft des Landes. Die mehrheitlich islamische Bevölkerung der Türkei hat sich seit der Ausrufung der Republik vor 80 Jahren zielgerichtet Europa zugewandt und den laizistischen, demokratischen, sozialen Rechtsstaat längst verinnerlicht. Seit über 50 Jahren verteidigt sie innerhalb der NATO gemeinsam das westliche Wertesystem.

Auch für die EU-Mitgliedschaft der Türkei dürfen nur die Kopenhagener Kriterien gelten und nichts anderes. Die Türkei hat mit radikalen Reformen rein rechtlich bereits heute diese erfüllt. Jetzt gilt es, diese umzusetzen.

Mit ihrem gemäßigten und toleranten Islam präsentiert die Türkei bereits heute ein Modell für die übrige islamische Welt, dass nämlich Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte mit Islam vereinbar ist. Die Türkei wird in dieser Eigenschaft eine unverzichtbare Vorbild- und Vermittlerfunktion zwischen EU und der islamischen Welt haben und für die Demokratisierung anderer islamischer Länder beispielgebend sein. Gerade deshalb wird die EU von einer EU-Mitgliedschaft der Türkei mittel- und längerfristig, was die Sicherheitspolitik und Systemübertragung anbetrifft, unschätzbare Vorteile haben. Die EU-Mitgliedschaft wird außerdem eine funktionierende Demokratie in der Türkei unumkehrbar machen. Gerade dies wird der eigentliche Gewinn für die Bevölkerung in der Türkei und der Deutschlandtürken sein.

Prof. Dr. Hakkı Keskin Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland