SZ Leserbrief Keskin

Stoiber schürt Ängste 'Beitritt der Türkei wäre das Ende . . .' / SZ vom 21./22. Februar

In Sebastian Becks Interview äußert sich der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber wie folgt: ‘Nimmt man die Türkei (in die EU) auf, dann ist das das Ende der Vision von der politischen Union Europa. (. . .) Mit einem Staat wie die Türkei, der einen ganz anderen gesellschaftlichen Hintergrund hat, sprengt man die politische Union.’ Mit dieser Äußerung wirft Stoiber allen 15 Staats- und Regierungschefs, die 1999 in Helsinki die Türkei offiziell als Beitrittskandidaten anerkannt haben, Unfähigkeit oder gar Verantwortungslosigkeit vor. Mehr noch: Dieser Vorwurf müsste sogar für den Übervater der Union, Konrad Adenauer, gelten, der das Assoziierungsabkommen zwischen der EWG und der Türkei hat ratifizieren lassen.

Deshalb halten wir in der Türkischen Gemeinde in Deutschland, deren Bundesvorsitzender ich bin, diese Aussage Stoibers für höchst peinlich. Mit Behauptungen wie diesen sollen bei der deutschen Bevölkerung einmal mehr Ängste geschürt werden, um damit bei den anstehenden Wahlen Stimmen zu fangen.

In diesem Interview weist Ministerpräsident Stoiber erneut auf die islamischen Religionen in der Türkei und auf kulturelle Unterschiede hin, die der europäischen Identität und dem damit verbundenen Zusammengehörigkeitsgefühl nicht entsprechen. Es zeugt nicht gerade von großem Selbstbewusstsein, wenn Stoiber befürchtet, ein einziges islamisch geprägtes Land unter zukünftig 28 EU-Staaten und einer Bevölkerung von mehr als 500 Millionen Menschen könnte die Identität der EU gefährden. Diese Befürchtung dürfte, wenn überhaupt, eher für die Türkei gelten.

Die türkische Bevölkerung votiert zu 80 Prozent für eine EU-Mitgliedschaft des Landes. Die mehrheitlich islamische Bevölkerung der Türkei hat sich seit der Ausrufung der Republik vor 80 Jahren zielgerichtet Europa zugewandt und den laizistischen, demokratischen, sozialen Rechtsstaat längst verinnerlicht. Seit mehr als 50 Jahren verteidigt sie innerhalb der Nato gemeinsam das westliche Wertesystem.

Auch für die EU-Mitgliedschaft der Türkei dürfen nur die Kopenhagener Kriterien gelten und nichts anderes. Die Türkei hat diese mit radikalen Reformen rein rechtlich bereits heute erfüllt. Jetzt gilt es, diese in die Tat umzusetzen.

Mit ihrem gemäßigten und toleranten Islam präsentiert die Türkei bereits heute ein Modell für die übrige islamische Welt, dass nämlich Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte mit dem Islam vereinbar sind. Die Türkei wird in dieser Eigenschaft eine unerlässliche Vorbild- und Vermittlerfunktion zwischen EU und der islamischen Welt haben und für die Demokratisierung anderer islamischer Länder beispielgebend sein. Gerade deshalb wird die EU von einer EU-Mitgliedschaft der Türkei mittel- und langfristig, was die Sicherheitspolitik und Systemübertragung anbetrifft, unschätzbare Vorteile haben. Die EU-Mitgliedschaft wird außerdem eine funktionierende Demokratie in der Türkei unumkehrbar machen. Dies wird der eigentliche Gewinn für die Bevölkerung in der Türkei und der Deutschland-Türken sein.