Während seines Deutschlandbesuchs traf der türkische Ministerpräsident Mesut Yýlmaz am 18. Mai 1996 auch mit Vertretern türkischer Organisationen aus Deutschland zusammen. Zu diesem Anlaß hielt der Bundesvorsitzende der 'Türkischen Gemeinde in Deutschland', Prof. Dr. Hakkı Keskin, die nachstehend abgedruckte Rede. Wir bitten hierfür eine Sperrfrist bis zum 18.5.96, 14.00 Uhr, einzuhalten.
Während seines Deutschlandbesuchs traf der türkische Ministerpräsident Mesut Yýlmaz am 18. Mai 1996 auch mit Vertretern türkischer Organisationen aus Deutschland zusammen. Zu diesem Anlaß hielt der Bundesvorsitzende der ‘Türkischen Gemeinde in Deutschland’, Prof. Dr. Hakkı Keskin, die nachstehend abgedruckte Rede. Wir bitten hierfür eine Sperrfrist bis zum 18.5.96, 14.00 Uhr, einzuhalten.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Mesut Yýlmaz, sehr geehrte Minister, sehr geehrter Herr Botschafter, verehrte Vertreter der Medien, liebe Vertreter der Vereine!
Es ist zu begrüßen, daß der Ministerpräsident der Türkei die Meinung und die Vor-schläge der Vertreter der ‘Deutschland-Türken’ anhören und sich dazu äußern will. Ganz bewußt verwende ich hier diesen Begriff ‘Deutschland-Türken’. Vor genau 35 Jahren wurde der Vertrag zwischen der Türkei und Deutschland über die Anwerbung türkischer Arbeiter unterzeichnet. Doch erst im letzten Jahrzehnt haben wir uns mehrheitlich dafür entschieden, daß wir dauerhaft in Deutschland bleiben und auch zu diesem Land gehören. Auch die Regierungen der Türkei haben erst in den letzten Jahren eine Orientierung entwickelt, welche dieser Tatsache Rechnung trägt. Diese Entwicklung zu erkennen und zu akzeptieren hat sowohl für uns als auch für die Tür-kei enorme Bedeutung. Unsere Entscheidungen können nur dann zukunftsge-recht und richtig sein, wenn wir uns dieses Faktum zu eigen machen.
Aus diesem Grunde messen wir der erleichterten Einbürgerung mit der Möglichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft eine besondere Bedeutung bei. Nicht zuletzt dank der Unterstützung durch den ehemaligen Minister Bülent Akarcalý gelang es uns nach vielen Bemühungen, eine entsprechende Gesetzesänderung durch das Parlament der Türkei zu erreichen. Nunmehr wird es eines unserer Hauptanliegen sein, auch in Deutschland entschlossen für die Realisierung der Doppelstaatsbür-gerschaft einzutreten.
Damit wir mit diesem Anliegen hier in Deutschland auf mehr Verständnis stoßen, möchten wir Ihnen, Herr Ministerpräsident, empfehlen, den Deutschen und den anderen Ausländern in der Türkei unter erleichterten Bedingungen den Erwerb der türkischen Staatsbürgerschaft zu ermöglichen, und zwar ebenfalls ohne Verlust der bisherigen Staatsbürgerschaft. Dann wäre es auch für uns einfacher, zu argumentieren: ‘Die Türkei hat den Deutschen in der Türkei dieses Recht zuer-kannt, nun sollte es auch den Türken in Deutschland gewährt werden!’
Bekanntlich ist für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit die vorherige Ent-lassung aus der türkischen Staatsbürgerschaft Voraussetzung. Trotz einiger Erleich-terungen in den letzten Jahren gibt es dabei nach wie vor bürokratische Schwierig-keiten in der Türkei, die zügig beseitigt werden müßten.
Für die in Westeuropa lebenden Türken ist es erforderlich, die Staatsbürgerschaft des jeweiligen Landes zu erwerben
- damit sie ihre Berechtigten Forderungen wirkungsvoll in die Tat umsetzen können,
- damit sie auch in Zukunft als Brücke zwischen der Türkei und ihrer neuen Heimat wirken können,
- damit sie gleichberechtigte Bürger des neuen Heimatlandes werden können,
- aber auch, damit sie wirksam einer ungerechtfertigte Behandlung des Her-kunftslandes Türkei entgegentreten können.
Die politischen Parteien und die Regierungen in Deutschland werden der türkischen Bevölkerung erst dann die notwendige Beachtung schenken, wenn sie zum Wahlvolk gehört. Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, im Jahr 2000 eine Million deutsche Staatsbürger türkischer Herkunft zu haben. Von der türkischen Regierung er-warten wir die hierfür notwendigen Erleichterungen.
Von den türkischen Konsulaten sowie von der öffentlich-rechtlichen Fernseh-anstalt der Türkei, ‘TRT-INT’, erwarten wir eine sachliche Informationsarbeit für den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft.
Die ‘Deutschland-Türken’ erwarten von Ihrer Regierung Unterstützung bei der Visaerteilung durch die deutschen Konsulate in der Türkei. Oft erreichen uns Beschwerden über willkürliche und unbegründete Ablehnungen von Besuchervisa für Familienangehörige und Verwandte. Die Türkische Gemeinde wird sich für klare Bestimmungen bei der Erteilung von Besuchervisa einsetzen. Von der Türkei erwarten wir dabei diplomatische Unterstützung.
In den letzten Jahren waren die Deutschland-Türken mit zunehmender Türkenfeindlichkeit konfrontiert, mit Angriffen, körperlichen Verletzungen und sogar Ermor-dungen. Am 29. Mai werden wir wieder der Morde an zwei türkischen Frauen und drei Mädchen in Solingen gedenken.
Auf der anderen Seite werden türkische Geschäfte, Vereine und Moscheen immer wieder Ziel von Anschlägen durch die PKK und ihr nahestehender Gruppierungen. Wiederholt haben wir uns an die Bundesregierung und die Landesregierungen gewandt und um wirksamere Schutzmaßnahmen für die türkische Bevölkerung ersucht. Diese unsere Forderung sollte auch durch Ihre Regierung bekräftigt werden.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, manche Schwierigkeiten der in Westeuropa lebenden Türken stehen in einem direk-ten Zusammenhang mit der Politik der Türkei. Es ist unbestritten, daß eine respek-tierte, geachtete und stabile Türkei den im Ausland lebenden Türken zugute käme. Eine respektierte, geachtete und stabile Türkei ist aber nur möglich
- bei stabilen politischen Verhältnissen,
- bei einer starken Wirtschaft,
- bei einer funktionierenden Demokratie und,
- mit einer von großen Teilen der Bevölkerung unterstützten Regierung.
Unsere Hauptforderung an Sie ist es daher, sich entschieden für eine Türkei in diesem Sinne einzusetzen. Hierfür ist der Konsens aller Parteien erforderlich, die die Grundprinzipien eines demokratischen Rechtsstaats akzeptieren, mit dem Ziel, zum Nutzen der Türkei enger zusammenzuarbeiten oder sich gar, wenn die Parteiprogramme dies ermöglichen, zusammenzuschließen.
Die Türkei ist mit einem Konflikt konfrontiert, der dringend einer Lösung bedarf. Sie haben, Herr Ministerpräsident, kurz nach Ihrem Amtsantritt die Feststellung getrof-fen, daß die Kurdenfrage nicht mir militärischen Mitteln zu lösen sei. Ihre Feststel-lung ist richtig. Sie haben hierbei unsere volle Unterstützung. Die Lösung der Kur-denfrage und die Isolierung der Terrororganisation PKK wird insbesondere in den westeuropäischen Staaten und innerhalb der kurdischen Bevölkerung nur gelingen können, wenn die kulturelle Identität der kurdischen Bevölkerung der Türkei akzeptiert und ihre kulturellen Rechte gewährleistet werden.
Wir haben dafür gekämpft, daß unsere Kinder in Deutschland das Recht haben, auch ihre Muttersprache Türkisch neben der Amts- und Schulsprache Deutsch zu erlernen. In den Schulen, in denen die Voraussetzungen hierfür bestehen, wird dies auch praktiziert. Bekanntlich haben wir ebenfalls Rundfunk- und Fernsehsendungen in türkischer Sprache.
Die Amts- und Schulsprache in der Türkei ist Türkisch. Wir meinen aber, auch den türkischen Staatsbürgern kurdischer Herkunft sollte das Recht und die Möglichkeit eingeräumt werden, ihre Muttersprache in den Schulen zu erler-nen, in Kurdisch Fernseh- und Rundfunksendungen zu hören. Die Ausübung der kulturellen Rechte ist am Ende dieses Jahrhunderts ein Gebot der Demo-kratie sowie eine Verpflichtung gegenüber auch von der Türkei unterzeichne-ten internationalen Vereinbarungen.
Die Türkei sollte mit allen rechtsstaatlichen Mitteln gegen die Terrororganisation PKK oder andere, die Gewalt anwenden, vorgehen. Niemand aber sollte in der Türkei wegen einer Meinungsäußerung vor Gericht gestellt oder gar bestraft werden. Die heutige Türkei verdient dies nicht.
Die Türkei sollte zu den allseits respektierten Ländern gezählt werden können, in denen niemand, mit welcher Begründung auch immer, gefoltert wird. Wir möchten auf eine Türkei stolz sein, die ein geachtetes Mitglied der Staaten ist, in denen Demokratie und Menschenrechte volle Geltung erfahren.
Erst wenn dies gewährleistet ist, wird es für die Türken in den westeuropäischen Staaten leichter sein, sich selbstbewußt zu ihrem Herkunftsland Türkei und zu ihrer kulturellen Identität zu bekennen und sich mit ihrem Herkunftsland zu solidarisieren.