asiatisch-europäischer Dialog Berlin

Kulturelle Wirkungen in Asien und Europa unter den Be-dingungen der Globalisierung: Gesellschaften zwischen kultureller Desintegration und neuer kultureller Integrati-on?

Eine gerechte Welt- und Weltwirtschaftsordnung ist das wirksamste Mittel bei der Bekämpfung des Terrorismus

Die unmenschlichen Terroranschläge jüngst in Madrid und vorher in den USA, in Nai-robi, Djerba, Bali, Istanbul, um nur einige zu nennen, sind, was ihre Brutalität, ihre Wirkung und aber auch ihre Perfektion betrifft, ohne Beispiel.

Auf grausamste Weise sind bei diesen und anderen Terroranschlägen Tausende von unschuldigen und unbeteiligten Menschen getötet worden. Was auch die Begrün-dung und das Ziel der Terroristen sein mag, mit nichts können Terroranschläge ent-schuldigt werden, wo auch immer sie geschehen.

Dies möchte ich einführend unterstreichen, um meine Position zu jedweder Art von Terror unmissverständlich deutlich zu machen.

Gerade angesichts der zunehmenden Eskalation der Gewalt vor allem wegen des ungelösten Konflikts Israel-Palästina und wegen des illegitimen Krieges im Irak wer-den wir mit größter Wahrscheinlichkeit mit weiteren Terroranschlägen in Europa und anderswo rechnen müssen. In meinem Beitrag möchte ich nach den möglichen Ursachen für das zunehmenden Gewallt- und Terrorpotenzial unter den Bedingungen der Globalisierung fragen und zugleich versuchen, einige Überlegungen für zivile Lösungswege darzulegen.

Das militärische Vorgehen fragt nicht nach den Ursachen für die Entstehung des Ter-rors und kann nicht den Nährboden dafür beseitigen helfen. Im Gegenteil, es werden neue, teilweise noch tiefere Wunden geschlagen, die weiterer Nährboden für Gewalt und Terror sein können, wie wir dies im Irak bereits erleben.

Modernisierung allein führt nicht zum Terror

Modernisierungen in traditionellen Gesellschaften gehen meist einher mit einer schleichenden Auflösung alter gesellschaftlicher Strukturen. Es entwickeln sich auf-grund des Einsatzes neuer Technologien neue Arbeitsbedingungen, von denen wie-derum verändernde Impulse auf andere Lebensbereiche ausgehen. Diese führen in der Regel überall zur Zurückhaltung, möglicherweise zu Widerständen bei Teilen der Bevölkerung.

Unter den Bedingungen der Globalisierung entsteht durch Multidimensionalität, Mas-senhaftigkeit und Komplexität eine Verunsicherung bei der traditionell orientierten Bevölkerung in den Entwicklungsländern. Diese kann jedoch nicht als Erklärung für Gewaltbereitschaft- und ein Gewaltpotential in diesen Ländern angeführt werden. Auch dann nicht, wenn im Zuge der Globalisierung sogar die traditionellen kulturellen Lebensformen und Wirtschaftsstrukturen ganz erheblich unter Veränderungsdruck geraten.

Durch derartige Veränderungen können sich höchstens die Auseinandersetzungen und Konflikte innerhalb der jeweiligen Gesellschaft verschärfen, wie dies auch bei dem Übergang vom Feudalismus zur Industriegesellschaft überall erlebt wurde und wird.

Wenn aber die Globalisierung in manchen Ländern als eine Art neuer Form der Be-herrschung und Eroberung verstanden wird, und das heißt eine neue Form der He-gemonie, um nicht das Wort Kolonialisierung zu verwenden, oder wenn diese auch nur von Teilen der Bevölkerung in den Ländern der Dritten Welt oder in Schwellen-ländern als eine solche Gefahr betrachtet wird, so kann dies zur Mobilisierung eines Widerstandes gegen eine solche Einwicklung führen. Diese Protesthaltung kann vor allem bei jungen Menschen die Gefahr des Widerstandes auch mit gewaltsamen Mit-teln bis hin zum Terror beinhalten.

Die islamischen Fundamentalisten wollen ihre religiös motivierte Ideologie nicht als System in die westlichen Länder übertragen. Sie versuchen jedoch, ihre Ideologie in den islamischen Ländern zu verbreiten und zur Geltung zu bringen.

Die Übertragung des eigenen Systems auf das anderer Länder erfolgt jedoch welt-weit durch die von den USA geführte westliche Welt.

Die Politik der USA wird nicht akzeptiert

Gegen die USA als Führungsmacht der westlichen Welt, aber auch gegen ihre west-lichen Verbündeten ist bei großen Teilen der Bevölkerung der Dritten Welt, insbe-sondere in den islamischen Ländern, eine starke Antipathie, wenn nicht Hass ent-standen. Es wäre jedoch falsch, diese Entwicklung lediglich auf die islamische Welt zu beschränken. Von den Ursachen hier geht es letztlich um eine Nord-Süd Proble-matik.

Die USA und die übrigen entwickelten Industriestaaten im Norden wären gut beraten, konsequent nach Strategien zu suchen, um die zunehmende Kluft zwischen den ar-men Menschen im Süden und den reichen im Norden zu schließen, zumindest aber verringern zu helfen. Ein radikales Umdenken bei den bisherigen Beziehungen zwi-schen den entwickelten Industriestaaten und den Länder der Dritten Welt ist uner-lässlich. Dies bedeutet jedoch, insbesondere die Wirtschafts- und Außenwirtschafts-beziehungen auf völlig neue Grundlagen zu stellen mit dem Ziel, eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung zu schaffen.

Es ist weder eine Laune der Natur noch die Unfähigkeit und Faulheit der Menschen in den Ländern der Dritten Welt, wenn wir heute mit einer höchst ungerechten Welt-lage konfrontiert sind.

Nur wenige Angaben zeigen diese unerträgliche Ungerechtigkeit:

22 Prozent der Weltbevölkerung leben in den Industrieländern. Diese-verfügen über 83 Prozent des Welteinkommens, -verbrauchen 72 Prozent der Weltenergie, -verursachen weltweit 70 Prozent des Treibhausgases CO2. In vielen Ländern der Dritten Welt haben wir dagegen eine höchst dramatische Lage:

  • Für 1,3 Milliarden Menschen, das heißt für jeden sechsten auf dieser Erde, fehlt es heute an Nahrung, sauberem Wasser, an ausreichender gesundheitlicher Versor-gung und an Schulbildung .
  • Täglich sterben über 26.000 Kinder und Frauen an Unterernährung und Hunger.
  • Laut einem Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) suchen 120 Millio-nen Menschen Arbeit und bessere Existenzbedingungen außerhalb ihrer Länder.
  • 30 Millionen Flüchtlinge müssen ihre Heimat vor allem aus politischen Gründen ver-lassen.
  • In diesen Ländern herrscht eine chronische Arbeitslosigkeit von 20 bis 50 Prozent,
  • eine hohe Inflationsrate,
  • eine zunehmende Kluft zwischen den breitet armen Bevölkerungsteilen und einer dünnen Ober- und Mittelschicht.

Diese Situation bestimmt das alltägliche Leben Hunderter Millionen von Menschen.

Verantwortlich für diese dramatische Lage in den Ländern der Dritten Welt sind nicht nur die Hinterlassenschaften der kolonialen Vergangenheit, sondern die Fortsetzung der Benachteiligung und Ausbeutung dieser Länder mit neuen, zum Teil verdeckten und subtilen Mitteln und Mechanismen. Dazu gehören vor allem die ungleichen Tauschverhältnisse zwischen Export und Importwaren zu Ungunsten der armen Län-der.

Deshalb hat sich der Einkommensabstand zwischen den unteren und den oberen zwanzig Prozent der Weltbevölkerung seit 1970 von 1:30 auf 1:60 mehr als verdop-pelt.

Viele Menschen und von ihnen vor allem die informierten jungen Menschen in diesen Entwicklungsländern kennen die Gründe und Ursachen ihrer miserablen Lebensbe-dingungen.

  • Sie wissen, dass sie unter einer Doppelausbeutung leiden, der durch die entwi-ckelten Industriestaaten und der durch die eigenen Herrscher im Lande.
  • Sie meinen, dass Institutionen wie Weltbank und IWF heute die alte koloniale Po-litik mit modernen Mitteln fortführen. Nicht nur, aber auch die Wirtschaftspolitik und die Verschuldungspolitik dieser Institutionen hat viele Entwicklungsländer an den Rand des Ruins geführt.
  • Sie erkennen die Zusammenhänge zwischen ihrem Elend, ihrer Armut, der man-gelhaften Entwicklung ihrer Länder und dem Reichtum und der Wohlfahrt der entwickelten Staaten, der so genannten ‘freien Welt’.
  • Sie verfolgen den ungleichen Tausch zwischen ihren Exportprodukten und Im-porten aus den entwickelten Industriestaaten, der zur Polarisierung zwischen den armen und den reichen Ländern führt und die Hauptursache der zunehmenden Auslandsverschuldung für die Länder der Dritten Welt ist.

Der bekannte Friedens- und Konfliktforscher Johann Galtung hat nach dem 11. Sep-tember in einem Vortrag in Hamburg den Grund für die Terroranschläge in den USA in einem Satz plastisch so zusammengefasst: ‘Das ist der internationale Klassen-kampf zwischen armen und reichen Ländern und Menschen,’ sagte er.

Diese ungerechte Weltlage ist vielleicht nicht die alleinige Ursache von Terrorismus und Gewaltanwendung, stellt aber mit Sicherheit den Hauptgrund dafür dar, dass viele verzweifelte und in Not lebende Menschen ohne Perspektive Verständnis dafür haben, wenn auch mit Mitteln des Terrors gegen die Industrienationen und gegen ihre Verbündeten im Inland vorgegangen wird, ja diesen Terror zum Teil sogar billi-gen.

Die akuten Konfliktfelder brauchen eine gerechte Lösung

Der Krieg der USA und Großbritanniens gegen den Irak war und ist illegitim, er ba-sierte auf Behauptungen, die sich als falsch erwiesen haben. Als der wahre Grund für diesen Krieg wird nach Meinung der Weltöffentlichkeit der Versuch angesehen, die Kontrolle über die reichen Erdölreserven dieses Landes zu gewinnen und nicht, wie behauptet, die Demokratisierung dieses Landes anzustreben.

Für diejenigen, die jetzt gegen die Besetzung Iraks mit Gegengewalt und Terroran-schlägen vorgehen, ist ihr Widerstand gegen die Großmacht USA eine Form des Be-freiungskampfes gegen eine ungerechte Fremdherrschaft.

Dass dieser Krieg der USA und ihrer Verbündeten unter den breiten Massen nicht nur der islamischen Welt breite Ablehnung fand und findet und den blinden Terror auch gegen völlig unbeteiligte und unschuldige Menschen geschürt und angezettelt hat, ist eindeutig.

Die religiösen Fundamentalisten in der islamischen Welt werden durch diese fremde Besetzung des Irak moralisch ermutigt, mit allen Mitteln dagegen vorzugehen.

Ein weiterer wichtiger Grund für die Antipathie, ja den Hass bei Teilen der Bevölke-rung der Dritten Welt gegen die Politik der Großmächte hat mit den Konflikten zu tun, die als Erbe der Kolonial- und Großmachtpolitik bis heute ungelöst existieren. Der Kaschmir-Konflikt zwischen Indien und Pakistan, der Zypernkonflikt zwischen der Türkei und Griechenland, der israelisch-palästinensische Konflikt, der tamilische Kon-flikt in Sri Lanka und viele andere Konflikte in Afrika und Asien.

Das wichtigste und aktuellste Problem ist jedoch der ungelöste Konflikt im Nahen Osten. Für uns Europäer findet dieser Konflikt zwar nur im Fernsehen statt, für die beteiligten Palästinenser und Israeli ist er Tag für Tag lebensbedrohende Wirklich-keit.

Viele Menschen, insbesondere in den islamischen Ländern, missbilligen die Rolle der USA bei den seit Jahrzehnten andauernden kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten.

Der USA-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, Koydl , fasst dieses Problem treffend wie folgt zusammen: ‘Es ist Tatsache, dass Amerika als ungerecht und als Instrument der Unterdruckung gesehen wird. Ungerecht, weil die USA für Argumente taub und blind Israel zu unterstützen scheinen; ein Instrument der Unterdruckung, weil sie ihre schützende Hand über die repressiven Regime der Region halten, so lange sie als Partner betrachtet werden.’

Die 56 Staaten der ‘Organisation der Islamischen Konferenz’ (OIC) haben sich in einer Deklaration am 10 Oktober 2001 in Doha/Qatar klar für ‘einen gerechten Frie-den im Nahen Osten, für die Anerkennung Israels und für die Gründung eines paläs-tinensischen Staates’ ausgesprochen.

Den Islam, was übersetzt ‘Frieden’ bedeutet, als Feind und als Gefahr, die Muslime als potentielle Feinde für die westliche Welt zu sehen und damit einen Kampf der Kulturen und Religionen heraufzubeschwören, wäre dumm und töricht. Es wäre ge-nau das, was auch die fanatischen Islamiten mit der Instrumentalisierung der Religi-on für ihre politischen und ökonomischen Ziele zu erreichen suchen.

Gerade jetzt müssen wir den interkulturellen und interreligiösen Austausch, den Dia-log zwischen den Kulturen und Religionen intensivieren. Eine andere Wahl haben wir weder in Deutschland noch anderswo auf der Welt.

Zusammengefasst möchte ich unterstreichen:

Wenn wir präventiv gegen Gewalt und Terror und für Frieden und Sicherheit mittel- und längerfristig handeln wollen, so muss der Nährboden für Gewalt- und Konfliktpo-tenziale beseitigt werden. Und das bedeutet, dass mit entschiedenen Maßnahmen gegen Hunger, Elend, Armut, Ausbeutung und für eine gerechte Weltwirtschaf und gerechte Lösungen der oben genanten Konflikte gearbeitet werden muss.

Die Nord-Süd Beziehungen hatte ich in einem Aufsatz 1986 mit der Überschrift: ‘Die Unordnung als System’ tituliert.

Wir haben es in der Tat mit einer ‘Unordnung als System’ zu tun. Was wir aber dringend brauchen ist ein System,

1. in dem eine sozial und ökonomisch gerechte Welt- und Weltwirtschaftsord-nung möglich ist und auf die auch schrittweise hingearbeitet wird,

2. in dem der Friede nicht nur bei uns, sondern überall der Welt gewollt ist und auch herrscht und

3. in dem die Würde des Menschen nicht nur bei uns als unantastbar geachtet und geschützt wird, sondern überall der Welt.

Nicht nur Militärs, Geheimdienste und Polizei, sondern vor allem eine gerechte und gerecht empfundene Welt- und Weltwirtschaftsordnung werden uns mehr Sicherheit gewährleisten, und zwar längerfristig und weltweit. Wir, die Menschen in den entwickelten Wohlfahrtsstaaten der Welt, müssen begrei-fen, dass wir nicht auf einer Insel der Seligen, nicht in einer geschützte Festung Eu-ropa, USA oder Japan leben können, und dies meist auf Kosten der Armen dieser Erde, ohne Rücksicht auf die unmenschlichen Lebensbedingungen von Milliarden von Menschen in den Ländern der Dritten Welt.

Wir werden nicht in Sicherheit und Frieden leben können, wenn anderswo in der Welt mit den Waffen, die wir exportieren, Kriege stattfinden, für die auch wir Verantwor-tung tragen.

Zu Recht wies Bundespräsident Johannes Rau in seiner Ansprache bei der Solidari-tätskundgebung mit den USA am 14.September 2001 in Berlin auf diese Problematik hin, als er sagte: ‘Armut und Ausbeutung, Elend und Rechtlosigkeit lassen Men-schen verzweifeln. Die Missachtung religiöser Gefühle und kultureller Traditionen nimmt Menschen Hoffnung und Würde. Das verführt manche zu Gewalt und Terror. Das sät den Hass schon in den Herzen von Kindern. (…) Wer in Würde und Zuver-sicht lebt, aus dem wird kaum ein Selbsmordattentäter werden. (..) Der beste Schutz gegen Terror, Gewalt und Krieg ist eine gerechte internationale Ordnung.’