Im heute vorgestellten Fortschrittsbericht der EU-Kommission zum Stand der Beitrittsreife der Republik Türkei werden dem Land schwerwiegende Reformdefizite attestiert. Dies betrifft vor allem die Bereiche Meinungsfreiheit, die Situation der Frauen, die Rechte der religiösen Minderheiten im Land sowie das ungelöste Zypernproblem.
Ich plädiere für einen fairen Umgang mit den vorgelegten Ergebnissen des Fortschrittsberichts. Hierbei sollte nicht der Eindruck erweckt werden, als stünde der Beitritt der Türkei unmittelbar bevor. Weitere Reformanstrengungen sind in den genannten Bereichen zweifellos nötig.
Im Rahmen der laufenden Beitrittsverhandlungen muss die Gleichbehandlung der Türkei gegenüber allen anderen, ehemaligen wie zukünftigen Beitrittskandidaten gewährleistet sein. Zur Lösung der Zypernfrage müssen sich unbedingt alle Seiten bewegen: die Türkei, Zypern, wie auch die Europäische Union.
Das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs in Helsinki hatten der damalige türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit und der ehemalige Außenminister der Türkei, Ismail Cem, im Jahr 1999 vorzeitig mit der Begründung verlassen, dass sie es keineswegs akzeptierten, dass die Zypernfrage als ein zusätzliches Kriterium neben den Kopenhagener Kriterien der Türkei auferlegt würde. Als Reaktion darauf flogen der EU-Erweiterungskommissar Günther Verheugen und Xavier Solana abrupt nach Ankara, um Ecevit den Brief des damaligen EU-Ratspräsidenten Paavo Lipponen zu übergeben. In diesem Brief wird der Türkei zugesichert, dass den Kopenhagener Kriterien keine weiteren Beitrittskriterien hinzugefügt werden und dass die Türkei somit eine Gleichbehandlung mit allen anderen Beitrittskandidaten erfahren werde. Insofern ist es mehr als verwunderlich, dass im aktuellen Fortschrittsbericht das Zypernproblem als ein Beitrittshemmnis angesehen wird.
Zur EU-Beitrittsreife eines Landes gehört, dass interne Konflikte vor einem EU-Beitritt gelöst werden müssen. Demzufolge hätte allerdings die Republik Zypern nicht in die EU aufgenommen werden dürfen, bevor das Zypernproblem gelöst war. Die unter der Federführung des UNO-Generalsekretärs Annan erzielte Einigung für die Wiedervereinigung Zyperns wurde im Referendum von den griechischen Zyprioten abgelehnt, während sie von den türkischen Zyprioten klar angenommen wurde.
Mit der Aufnahme eines nicht wiedervereinigten Zyperns hat die EU somit entgegen ihrer eigenen Grundsätzen gehandelt.
In der gegenwärtigen Situation erklärt sich die Türkei durchaus bereit, ihre Häfen und Flughäfen für Zypern zu öffnen. Allerdings fordert sie gemäß den Beschlüssen des Rates am 26.April 2004 in Luxemburg, die eindeutig die Isolation Nordzyperns beenden sollen:
‘Die türkisch-zyprische Gemeinschaft hat ihren klaren Wunsch nach einer Zukunft innerhalb der Europäischen Union zum Ausdruck gebracht. Der Rat ist entschlossen, die Isolierung der türkisch-zyprischen Gemeinschaft zu beenden und die Wiedervereinigung Zyperns durch Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung der türkisch-zyprischen Gemeinschaft zu begünstigen.’
Die 25 Staats- und Regierungschefs hatten einstimmig beschlossen, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zwar ergebnisoffen, jedoch mit dem Ziel der vollen Mitgliedschaft zu führen. Es ist deshalb in keiner Weise zu akzeptieren, wenn insbesondere von der CSU rein populistisch die privilegierte Partnerschaft immer wieder in die Diskussion gebracht wird.
Im Interesse der eigenen Glaubwürdigkeit der EU ist es geboten, sich an den Verträgen mit der Türkei zu halten und mit dem Ziel der Vollmitgliedschaft die Verhandlungen konsequent weiterzuführen.
Prof. Dr. Hakkı Keskin