Memorandum zum 'islamischen Religionsunterricht' an Hamburger Schulen
Das vorliegende Memorandum basiert in seinem ersten Teil auf einer Stellungnahme von Nihat Ercan zum interreligiösen Unterricht an Hamburger Schulen.
Religions- und Glaubensfreiheit sind universale Menschenrechte. Diese Rechte drücken sich in der Freiheit aus, die religiösen Inhalte im Lernen und Lehren an nachfolgende Generationen weiterzugeben, Rechte, die in den meisten Verfassungen demokratischer Staaten als unantastbare, unverzichtbare und unveränderliche Grundrechte verankert sind. Auch in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland sind diese Grundrechte niedergelegt; sie haben für alle in diesem Lande lebenden Menschen unabhängig von ihrer Herkunft Gültigkeit.
Mit 2,3 Millionen Menschen bildet die türkische Gemeinde die zahlenmäßig größte Min-derheit in Deutschland. Damit sind die türkische Sprache wie auch die islamische Kultur ein fester Bestandteil dieser Gesellschaft geworden. Allein in Hamburg leben fast 80.000 Menschen türkischer Herkunft. Der größte Teil dieser Menschen lebt seit vielen Jahren in Deutschland, Tausende von ihnen sind bereits deutsche Staatsbürger geworden, Zehn-tausende streben die deutsche Staatsbürgerschaft noch an.
Zur Zeit findet eine bundesweite Diskussion über Formen und Inhalte eines Religionsun-terrichts statt, der sich insbesondere auch mit anderen als der christlichen Religion be-fassen soll. Dabei geht jedes Bundesland seinen eigenen, ganz charakteristischen Weg, wie nicht zuletzt das Beispiel Brandenburgs mit seinem ‘LER’ zeigt. Gerade auch in Hinblick auf die verschiedenen Wege (und leider auch Irrwege) hin zu Möglichkeiten, islamischen Religionsunterricht zu erteilen, zeichnet sich noch längst kein einheitliches Bild ab.
Im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland nimmt das sogenannte ‘Hamburger Modell’ eines Religionsunterrichts interkultureller Prägung eine Ausnahmestel-lung ein und gehört damit zu den fortschrittlichsten Konzepten. Nach den Richtlinien die-ses Modells wird Islamischer Religionsunterricht normalerweise von deutschen Lehrern und damit Angehörigen des christlichen Kulturkreises erteilt, was in der Praxis oft dazu führt, daß die Kinder an den Nachmittagen in Koranschulen von politisch-islamistischen Fundamentalisten bzw. von Sektenmitgliedern unterwiesen werden, ohne daß den Eltern diese Tatsache immer bewußt ist. Beide Wege, sei es über eine staatliche Schule, sei es mittels privaten Koranunterrichts führen zu einer negativen Entwicklung. Die Angehöri-gen der türkischen Gemeinde in Deutschland sollten nicht gezwungen werden, zwischen zwei falschen Wegen wählen zu müssen. Diese Wege sind im Übrigen nur verschiedene Seiten derselben Medaille:
Der größte Teil der Eltern des türkischen Kulturkreises ist mit einer Form des Islam groß geworden, die weitaus toleranter und liberaler geprägt ist, als die anderer islamischer Staaten. In der Türkei ist ‘Islam’ heute auf religiöse Inhalte beschränkt, es fehlt der An-spruch, er sei gleichzeitig Ideologie, politische Doktrin und Gesetzbuch. Daher werden diese Eltern im Regelfall keiner Form des Religionsunterrichts zustimmen, der ihre Kin-der im Sinne fundamentalistischer Strömungen im Islam indoktriniert, es sei denn, es bietet sich keine akzeptable Alternative. Gleichermaßen legen sie aber auch Wert dar-auf, daß der Religionsunterricht ihrer Kinder von Personen vorgenommen wird, die dem islamischen Kulturkreis angehören.
Im ‘Hamburger Modell’ ist die Beschränkung auf die Religion allerdings zu kurz gegrif-fen, man sollte den Mut aufbringen, dieses Konzept auch auf andere Schulfächer zu ü-bertragen. Unser zweiter Kritikpunkt bezieht sich auf die Tatsache, daß diese Art des Religionsunterrichts leider immer noch nicht vom größten Teil der betroffenen Eltern-schaft angenommen wird. Es sollte alle Alarmglocken in den Amtszimmern der Schulbe-hörde zum Schrillen bringen, wenn festgestellt werden muß, daß die Mehrheit der türki-schen Eltern ihre Kinder immer noch in oft fundamentalistisch geprägte Koranschulen schickt, und dies nicht etwa deshalb, weil sie selbst dieser Richtung des Islam anhängen würden, sondern weil das Angebot der Schulen ihren Bedürfnissen an die religiöse Er-ziehung ihrer Kinder nicht ausreichend erscheint.
Um diesem Tatbestand Rechnung zu tragen, setzen wir uns nachdrücklich für einige Änderungen bei den Richtlinien im Hamburger Schulgesetz ein:
Islamischer Religionsunterricht für türkische Schüler sollte auf freiwilliger Basis in öffent-lichen Schulen nach demokratischen Prinzipien unter Einhaltung der Menschenrechte gemäß den Gesetzen der Bundesrepublik Deutschland erteilt werden, und zwar in Fort-führung der Prägung durch das Elternhaus in der Muttersprache. Über Inhalte, Formen und Methoden dieses Unterrichts, über die Lehrmaterialien und die Ausbildung der Lehr-kräfte sollte eine Kommission entscheiden, der neben Elternvertretern, den deutschen Behörden und dem türkischen Konsulats auch zivile Organisationen wie TGB, türkischer Eltern- und Lehrerverein angehören sollten.
Das ‘Hamburger Modell’ muß, so begrüßenswert es im Ansatz sein mag, nach Form und Inhalt weiterentwickelt werden. In den seit 1973 an bestimmten Schulen in Hamburg erteilten Türkischunterricht wurde 1983 auch islamischer Religionsunterricht integriert. Dies muß – auch aus juristischen Gründen – heute getrennt unterrichtet werden. Nach einer kritischen Bestandsaufnahme der Situation an Schulen, an denen islamischer Reli-gionsunterricht unterrichtet wird, muß sichergestellt sein, daß zum einen ein ausreichen-des Angebot an Lehrkräften besteht, um die Nachfrage nach muttersprachlich erteiltem Religionsunterricht zu decken, zum anderen müssen dafür genügend zweisprachige Fachlehrer zur Verfügung stehen.
Der Volksmund sagt: Wer nicht weiß, woher er kommt, kann nicht wissen, wo er steht; wer nicht weiß wo er steht, kann auch nicht wissen, wohin sein Weg führt.
Mit einer entsprechenden Anpassung der Richtlinien möchten wir dazu beitragen, die aufgrund von Problemen mit der eigenen Identität leider bei manchen Jugendlichen tür-kischer Herkunft immer noch bestehende Orientierungslosigkeit, innere Zerrissenheit und mangelnde Selbstsicherheit abzubauen und damit zur Integration dieser Menschen in die Gesellschaft beizutragen. Nihat Ercan