Pressekonferenz der TGD zu den neuen Anschlägen in Istanbul
Der Terror hat keine Religion, keine Nationalität. Sein Kennzeichen ist Menschenverachtung
Am Sonnabend, dem 15.November, sind wir erschüttert und entsetzt worden durch die Bombenanschläge gegen die zwei Synagogen in Istanbul. 27 Menschen starben, mehr als 400 Personen wurden verletzt. Die Menschen in der Türkei und die Deutschlandtürken waren nicht nur durch die hohe Zahl der Toten und Verletzten tief betroffen, sondern auch, weil Synagogen und somit türkische Juden Ziel des An-schlages waren.
Die Türkei und ihrer Bevölkerung sind stolz auf ihre Geschichte, als eines der weni-gen Länder dieser Erde, die Juden nicht verfolgt, nicht unterdruckt und diskriminiert hat. Vielmehr fanden Juden, die in anderen Ländern verfolgt wurden, in der Türkei ihre Heimat. 1492 standen mehr als Einhunderttausend Juden in Spanien vor der Inquisition und wurden mit den Schiffen des Osmanischen Reiches unter anderem auch nach Istanbul gebracht, wo sie seit mehr als einem halben Jahrtausend in ihrer geliebte Stadt Istanbul leben. Auch viele durch die Nazis verfolgten Juden wurden in den dreißiger Jahren in der Türkei aufgenommen. Sie haben als Wissenschaftler und als Künstler für die neue Republik Türkei große Beiträge geleistet.
Die Terroranschläge sollten die Türkei treffen, die bevölkerungsmäßig als ein islami-sches Land seit Jahrzehnten gute Beziehungen zu Israel unterhält und als NATO-Mitglied und Verbündete der USA sich mittelbar am Irak-Krieg beteiligt habe.
Wer wollte denken, dass es 5 Tage nach diesen grausamen Terroranschlägen zwei weitere, dieses Mal gegen das Konsulat und eine Bank Großbritanniens gerichtet, noch entsetzlichere und barbarischere Terrorakte folgen würden.
An dieser Stelle möchte ich unsre tiefe Betroffenheit und herzliche Anteilnahme für alle Angehörigen der Getöteten und Verletzten aussprechen.
Das abscheuliche und menschenverachtende bei diesem Terror ist, dass die Dut-zende getötete und Hunderte Verletzte völlig unschuldige und unbeteiligte Menschen sind.
Der Zusammenhang dieser Terroranschläge mit dem Palästina-Konflikt und mit dem Irak-Krieg ist sofort erkennbar. Ich bin sicher, dass unter den Getöteten und Verletz-ten viele möglicherweise den Irak-Krieg und auch die Politik Scharons gegenüber den Palästinensern mißbilligt haben.
Die unmenschliche Logik der Terroristen scheut sich nicht, völlig unschuldige Men-schen zu töten. Dies gehört vielmehr zu ihrer Logik und der Strategie, im allgemei-nen Angst, Unsicherheit und größtmögliche Betroffenheit and Aufmerksamkeit zu erzielen.
Die Türkei wurde für diese Terroranschläge gewählt, weil:
- sie das Land ist, in dem mit Erfolg belegt wird, dass der Islam mit Demokratie und Rechtsstaat durchaus zu vereinbaren ist,
- sie das Land ist, in dem in der ganzen islamischen Welt beispielhaft gezeigt wird, dass die Trennung von Staat und Religion, der Laizismus also, möglich, ja sogar zwingend erforderlich ist, um die Freiheit der Person, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu gewährleisten,
- sie das Land ist, welches zeigt, dass die vielen Errungenschaften der westlichen Werte und Zivilisation kein Gegensatz zum Islam und zur eigenen Kultur und Tradition stehen,
- sie das Land ist, welches ein gleichberechtigter Partner in einer Wertegemein-schaft der westlichen Welt, nämlich in der EU, sein will und kann.
Die sogenannten ‘islamischen’ Gruppen, die die Religion für ihre eigene Ideologie instrumentalisieren und missbrauchen, wollen verhindern, dass dieses ‘laizistische Modell Türkei’ für die übrige islamische Welt zum Muster wird.
Die laizistisch-demokratisch und rechtsstaatliche Türkei, noch dazu als Verbündete der verhassten westlichen Welt, ist den Bombenlegern und Brandstiftern ein Dorn im Auge.
Das Islamverständnis, wie wir es unter dem Terrorregime der Taliban in Afghanistan gesehen haben, widerspricht allen Grundsätzen des Islam. Derartige Auswüchse hat es in den vergangenen Tausend Jahren nicht gegeben.
Diesen Wahnsinnigen muss der Boden für ihre Agitation entzogen werden. Die Agi-tation basiert vor allem auf vier Bereichen:
1. Der seit Jahrzehnten andauernde und ungelöste Konflikt zwischen Israel und Palästina. Hier brauchen wir eine gerechte Lösung.
2. Der Irak-Krieg war und ist illegitim, völlig unbegründet und ungerecht. Der Irak gehört den Irakern. Die Besetzungsmächte USA und Großbritannien müssen sich so rasche wie möglich aus dem Irak zurückziehen.
3. Die zunehmende Polarisierung zwischen Arm und Rech in der Welt darf so nicht weitergehen. Wir brauchen eine Welt, in der für alle Menschen zumin-dest die Existenzgrundlagen gesichert sind. Die Terroristen dürfen nicht zu den Sprechern der Armen in der Dritten Welt gemacht werden. Daher muss auch weltweit ein konsequenter Kampf gegen Armut, Elend und Hunger ge-führt werden.
4. Wir brauchen eine geistige Auseinandersetzung mit den Akademikern und jungen Menschen in der islamischen Welt über die Werte der Demokratie, Rechtsstaat, Sozialstaat, Laizismus und Religion.
Der Kampf gegen den Terrorismus, mit welcher Begründung und in welchem Lande auch immer, muss gemeinsam und entschlossen weitergeführt werden. Intensive internationale Zusammenarbeit ist zwingend erforderlich.
Die Türkei sollte als ein laizistisch-demokratisches und rechtsstaatliches Modell für die übrige islamische Welt in ihrem seit ihrer Gründung verfolgten Weg unterstützt werden.
Eine klare Perspektive für den EU-Beitritt der Türkei im nächsten Jahr wird auch für die übrige islamische Welt eine sehr wichtige Signalwirkung haben. Dagegen könnte sich eine Absage an die Türkei für diese Extremisten als die beste Munition für ihre Agitation zum Krieg gegen die westliche Welt erweisen.
Prof. Dr. Hakkı Keskin