Rede von Gregor Gysi, Vorsitzender der Bundestagsfraktion DIE LINKE, beim 1.Parteitag in Cottbus
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Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde, liebe Gäste, das, was ich hier euch gleich sagen werde, ist auch eine Art Schlusswort, soll ich euch ankündigen, und hinterher sollt ihr die ‘Internationale’ singen.
Und ich mache noch eine zweite Vorbemerkung für die Medien: Oskar Lafontaine wird wahrscheinlich während meiner Rede gehen. Und damit Sie das nicht missverstehen – das hat ausschließlich mit der Abflugzeit seines Flugzeuges zu tun und nicht mit dem Satz, den ich in dem Moment gerade sage.
Ich war am Freitag auf dem Katholiken-Tag. Ich hoffe, ich trete euch nicht zu nahe – aber die Kultur war irgendwie ähnlich.
Und nun kommt ein wenig Kritik, das hat noch nichts mit dem Bericht der Bundestagsfraktion zu tun. Ich nenne erst das Positive und dann das nicht ganz so Positive: Die zwei Parteien, die wir vor knapp einem Jahr vereinigt haben, haben sich zusammengefunden, aber vereint sind wir noch nicht. Deshalb sage ich ganz deutlich: Nach Cottbus muss gelten, dass wir uns ab sofort wirklich vereinigen.
Ich habe neue Erfahrungen gesammelt. Ich weiß seit 2002, wie schwer es ist, Niederlagen zu verkraften. Jetzt weiß ich auch, wie schwer es ist, Erfolge zu ertragen. Aber ich finde, wir müssen das lernen. Wir haben erst seit einem Jahr mit der Frage der Ost-West-Problematik in Form von Linkspartei.PDS und WASG zu tun. Es ist für mich hochinteressant, wenn ich so die Vorurteile und ihre Begründungen höre. Ich will das veranschaulichen. Was sagen mir Genossinnen und Genossen aus den alten Bundesländern, wenn sie über welche aus den neuen Bundesländern sprechen? Sie sagen: Ich finde, die sind zu angepasst. Und spreche ich mit Genossinnen und Genossen aus den neuen Bundesländern, dann sagen die mir: Aber du kannst doch nicht leugnen, dass es im Westen auch ein paar Sektierer und Spinner gibt. Ich höre mir das an und stelle fest: Die einen lehnen die eine Kritik ab, die anderen die andere Kritik. So kommt man nicht zueinander, weil man im Kern Folgendes will: Die anderen sollen werden, wie man selber schon ist. Und genau so kriegt man eine Vereinigung nicht zustande.
Lasst mich kurz etwas zur Geschichte sagen: Ihr wisst, dass die Linkspartei.PDS in einem sehr komplizierten demokratischen Reformprozess aus der SED hervorgegangen ist. Früher war sie in der DDR-Regierung immer in Koalitionen mit den Blockparteien, die dann plötzlich alle erklärten, dass sie mit ihr gar nichts mehr zu tun haben wollen. Das heißt, man war sich ab 1990 einig, dass man eine Ausgrenzung dieser einen Partei organisiert. So kämpft sie um Akzeptanz. Wenn man um Akzeptanz kämpft, bekommt man auch ein paar komische Züge. Das hängt zum Beispiel damit zusammen, dass dich irgend so ein CDU-Mensch positiv erwähnt, du irgendwie stolz bist, weil du ja nicht mehr ausgegrenzt sein willst.
Kurzum: Wenn man so erfolgreich wie die Landesverbände in den neuen Bundesländern um Akzeptanz ringt, macht man auch mal den einen oder anderen Kompromiss zu viel. Was wäre denn so schlimm daran, das einfach einzuräumen und zu sagen: Diesbezüglich können wir uns doch korrigieren.
Jetzt komme ich mal zu den LINKEN in den alten Bundesländern: Die sind ja sehr unterschiedlich. Sie kommen zum Teil aus der SPD, einige auch von den Grünen. Wir haben durchaus auch welche von CDU und CSU. Wir haben aber auch viele, die in gar keiner Partei waren. Und dann haben wir auch welche aus kleineren Klubs. Na gut. Ich möchte Euch das mal so schildern: Nun mal angenommen, du bist 19 Jahre alt. Da sage ich euch, mit 19 Jahren ist man so klug wie nie wieder in seinem Leben. Das weiß ich auch von mir. Was ich damals alles wusste, das ist fast alles weg. Das, was ich jetzt weiß, weiß ich etwas tiefer als damals. Das ist wahr. Aber es ist ein eingeschränktes Spektrum. Also, man ist relativ klug. Man ist 19 Jahre alt und entscheidet sich, links zu sein. Dann kommst du in eine Organisation, die schon 35 Mitglieder hat, und dann verbringst du da sieben Nächte, um ein Papier bei dem schlechtesten denkbaren Rotwein, bei ganz vielen Zigaretten und ein ganz kleines bisschen Petting – alles was dazugehört – zu verabschieden. Nach sieben Tagen verabschiedest du dann 25 Seiten Papier mit harten Auseinandersetzungen. Da bleibt vom amerikanischen Präsidenten nichts übrig – von der Union, der FDP, der SPD und den Grünen auch nicht. Die Medienwelt und die deutschen Konzerne werden entlarvt. Du bist auch ziemlich stolz. Aber, es gibt da ein Problem: Dieser amerikanische Präsident ist derart arrogant, der liest das überhaupt nicht, die anderen Parteien auch nicht. Keine Zeitung schreibt darüber. Die Gewerkschaften, die Kirchen sagen nichts – niemand. Da ist man erstmal sauer. Das verstehe ich. Aber nach zwei Wochen äußert sich so von drei Nebenstraßen entfernt ein anderer marxistisch-leninistischer Klub mit sogar 45 Mitgliedern. Der schreibt dir auf 35 Seiten, dass du von Tuten und Blasen keine Ahnung hast, dass du alles revisionistische Zeug, das es schon mal gab, wiedergegeben hast, dass du nichts wirklich tiefgründig analysiert und begriffen hast. Und das liest du wütend. Anschließend musst du wieder sieben Nächte zubringen – bei dem gleichen Rotwein, bei den gleichen Zigaretten. Dann muss erstmal entschieden werden, antwortet man oder antwortet man nicht. Dann gibt es strittige Abstimmungen, die zum Teil wiederholt werden müssen. Nach sieben Tagen antwortest du auf 45 Seiten. Und dann bist du in einer Sekte. So einfach ist das. Und jetzt möchte ich einfach mal wissen, ob eine oder einer von Euch mir sagt: Das hätte mir nie passieren können. Ich behaupte das von mir nicht.
Was ist das Problem? Das Problem ist, dass es in der Gesellschaft der alten Bundesrepublik Deutschland nach 1949 niemals ein nennenswertes Bedürfnis nach einer Kraft links von der Sozialdemokratie gab. Aber jetzt ist es entstanden. 2005 wirkte es sich schon im Wahlergebnis aus. Jetzt sage ich mal meinen Genossinnen und Genossen aus den neuen Bundesländern: Damit setzte eine Entwicklung in den alten Bundesländern ein, die entscheidend ist. Auf diese Entwicklung kommt es an! Heute sind wir schon in vier Landtagen. Heute sagt ein Spitzenkandidat anderthalb Sätze irgendwo in Hessen und wird im Bayerischen Rundfunk gesendet. Ja, das kannte der ja gar nicht. Der hat auch schon viele kluge Sätze gesagt. Kein Mensch hat sie in die Öffentlichkeit gebracht. Es ist eine andere Form der Wahrnehmung, dadurch entsteht natürlich auch ein anderer Stil von Politik. Also: Wenn die einen sagen, da stimmt irgendwas nicht mit der Herkunft und mit dem Denken, dann können wiederum die LINKEN in den alten Bundesländern dies annehmen. Das heißt, wenn wir sagen, wir müssen uns gegenseitig verändern, und dann werden wir gemeinsam die neue LINKE, dann ist es der richtige Weg. Wenn wir nur wollen, dass die einen so werden wie die anderen sind, werden wir es nicht schaffen. Das möchte ich Euch gerne mitgeben.
Dann sind natürlich bestimmte Strukturen unterschiedlich. Diejenigen, die etwas älter sind und aus der DDR kommen, kannten dort keine demokratischen Strukturen. Diese Strukturen haben sie sich erarbeitet. Wenn du sie dir so mühsam erarbeitet hast, bist du besonders demokratieempfindlich, fragst immer: Ist denn der gefragt worden, hat das Gremium getagt usw. Und jemand wie Oskar Lafontaine lebte seine gesamte bewusste Zeit in demokratischen Strukturen. Er konnte immer gewählt oder abgewählt werden. Das ist gar nicht die erste Frage, die ihn beschäftigt. Für ihn war immer die entscheidende Frage, wie setze ich etwas durch. Deshalb ist er etwas anders. Und jetzt sage ich mal denjenigen, die immer meinen, ihn irgendwie kritisieren zu müssen: Liebe Genossinnen und Genossen, wir verdanken ihm Erfolge, die wir ohne ihn nie gehabt hätten! Ich sage das hier ganz klar: Wir können uns doch nicht von unseren politischen Gegnern und auch nicht von einem Teil der Journalistinnen und Journalisten Oskar Lafontaine ausreden lassen. Würden wir das machen, wären wir ja alle kurz nach der Geburt mit dem Klammerbeutel gepudert worden. Wir sind doch nicht bescheuert. Ich bitte Euch.
Dann ist natürlich immer die spannende Frage: Regierung oder nicht Regierung. Ist das die Falle des großen Verrats oder nicht? Da gibt es hier einen Ost-West-Unterschied, der seine Gründe hat. Wenn ich nämlich so lange ausgegrenzt war, wenn ich immer außerparlamentarisch agierte und sowieso in keinen Landtag kam, dann fange ich doch an, das zu glorifizieren, und sage: Das ist ja prima. Wirkliche Opposition ist immer außerparlamentarisch. Es ist gut, dass ich in Parlamente nicht hineinkomme. Nun stimmt das ja in gewisser Hinsicht auch. Herr Schäuble hat mal zu mir gesagt: Wir sind seiner Meinung nach solange nicht verfassungstreu, solange wir meinen, dass die außerparlamentarische Bewegung wichtiger wäre als die parlamentarische. Da habe ich gesagt: Das verstehe ich gar nicht, Herr Schäuble, Sie setzen doch auch in erster Linie auf außerparlamentarische Bewegungen. Dann sagt der: Wie kommen Sie denn darauf? Da sage ich: Wenn ich an die Deutsche Bank denke, an die Katholische Kirche, das sind doch alles außerparlamentarische Kräfte. Das sind bloß andere. Aber davon ganz abgesehen. Ich will nur sagen: Ich weiß doch, wie es kommt, dass man etwas glorifiziert, weil es nun mal so ist, wie es ist, und weil man es anders nicht bekommen hat. Das ändert sich aber im Westen.
Nun komme ich wieder zurück zum Osten: Anfangs haben wir doch in den neuen Bundesländern schwer darunter gelitten, dass wir nur wenige Mitglieder in den alten Bundesländern hatten und dort immer so ein 1-Prozent-Ergebnis nach tapferem Wahlkampf hinlegten. Da hätten wir uns doch gewünscht, andere Ergebnisse zu haben. Hätten wir vor zehn Jahren so ein Ergebnis in Niedersachsen und Hessen bekommen wie jetzt, wärt Ihr doch 48 Stunden lang betrunken gewesen. Das ist doch die Wahrheit. Und jetzt passiert etwas Anderes: Wir hatten sechs gewichtige Landesverbände und kleine aus den alten Bundesländern. Jetzt werden die plötzlich gewichtiger und bekommen Landtagsfraktionen. Jetzt haben sie mehr Mitglieder. Wenn die aber gewichtiger werden, nimmt natürlich das eigene Gewicht ein bisschen ab. Das ist das Problem. Nun sage ich Euch: Wozu gehen wir denn in eine Partei? Doch nicht zur Selbstbefriedigung, sondern um Gesellschaft zu verändern. Und nur, wenn wir in ganz Deutschland stark sind, können wir sie verändern!
Zurück zur Frage Regierung oder nicht Regierung: Wir tun immer so, als ob wir riesige Spielräume hätten. In Wirklichkeit haben wir die doch gar nicht. Nehmt doch mal folgendes Beispiel: Wir haben eine Wahl in Brandenburg. Drei Parteien ziehen ein – CDU, SPD und wir. Und dann sagt die SPD, sie will doch Gemeinschaftsschulen mit uns machen, sie will einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, sie will öffentliche Aufträge ganz anders vergeben, und sie findet, wir sind ihr viel näher. Also, sie würde gerne mit uns zusammen regieren. Und dann sagten wir: Nein. Wir haben eine Bitte: Regiert mit der Union. Das müssten wir dann sagen, wenn wir in der Opposition bleiben wollten. Da bleiben wir rein und edel, und das ist uns so wichtig, dass wir dann darauf verzichten, in die Regierung zu gehen. Das können wir einmal machen. Aber wenn wir das dreimal machen, dann sind wir nicht mehr im Landtag. Ich sage immer, wir tun so, als ob wir Spielräume haben, die wir nicht haben. Es gibt aber auch den umgekehrten Fehler: Gehen wir in eine Regierung und werden dann so neoliberal wie die anderen Parteien schon sind, machen wir uns am selben Tage völlig überflüssig. Deshalb ist es völlig richtig, das nicht auszuschließen, sondern immer zu sagen, welche politischen Veränderungen wir erwarten. Kompromisse kann es geben bei Fristen, bei Zeiten, bei der Länge des Schrittes, aber nicht in der Richtung. Wenn wir in eine Bundesregierung gingen und plötzlich sagten, na gut, die Soldaten bleiben in Afghanistan, na gut, wir lassen Hartz IV, na gut, wir lassen es bei der Rente ab 67 Jahren etc. Auf der Stelle wären wir überflüssig. Es gibt doch schon vier neoliberale Fraktionen. Deutschland braucht keine fünfte! Deshalb ist es richtig, wenn wir sagen, die SPD muss große Schritte auf uns zugehen. Sie muss wenigstens wieder sozialdemokratisch werden. Das ist doch nicht zu viel von der SPD verlangt, denn Schröder hat sie entsozialdemokratisiert. Das ist die Wahrheit, und so sieht sie nach wie vor heute aus!
Ich möchte, dass wir lernen, da pragmatischer heranzugehen. Im Übrigen kenne ich natürlich unsere Fraktionen in den neuen Bundesländern. Ihr müsst Euch das mal vorstellen: Sie sitzen da zum Teil schon 18 Jahre. Seit 18 Jahren machen sie Oppositionspolitik. Da langweilen sie sich auch ein bisschen. Sie wollen mal in eine andere Rolle hineinkommen. Das könnt Ihr, aus den alten Bundesländern, erst beurteilen, wenn Ihr auch schon 18 Jahre im Landtag sitzt. Das dauert noch eine Weile. Insofern möchte ich, dass man etwas aufgeschlossener miteinander umgeht, damit wir die Vereinigung schaffen.
Aber wir haben nicht nur Ost und West, wir haben auch Strömungen. Ich finde es auch gut, dass wir Strömungen und Arbeitsgemeinschaften haben, auch dass sie unterschiedliche politische Ansätze haben. Aber um eines bitte ich Euch: Wir dürfen keine Kämpfe um Siege und Niederlagen führen, sondern immer nur um eine politische Ausrichtung der Partei. Das ist etwas völlig Anderes. Manchmal sieht es so aus, als ob es schon fast um Tod oder Leben geht. Darum geht es aber nicht. Die Gesellschaft wollen wir verändern, nicht uns selbst bekriegen!
Dann kommt noch die spannende Frage der Schubladen. Das macht uns ja auch Probleme. Ich war auf dem Landesparteitag in Hessen. Das hat mir sehr gut gefallen. Da haben zwei Menschen vor mir gesprochen. Der eine sagte: Ich muss Euch mal sagen, liebe Genossinnen und Genossen, meinem Ideal nach bin ich eigentlich Kommunist. Aber nicht, dass Ihr jetzt an Stalin oder so etwas denkt. Ich denke an Karl Marx. Dann kam der nächste: Ja, also ich muss Euch ehrlich sagen, meinem Ideal nach bin ich Sozialdemokrat. Aber ich möchte jetzt nicht, dass Ihr an Scharping denkt. Ich denke natürlich an August Bebel. Bevor nun der dritte kam und mir erklärte, dass er eigentlich Trotzkist ist, aber dabei nicht nur an Trotzki denkt, sondern auch noch an andere, war ich dran. Und da habe ich gesagt: Seht Ihr, genauso habe ich auch immer gedacht. Ich habe immer versucht, die Schublade für mich zu finden und habe den Medien, die sagten, ja vielleicht sind Sie ein Sozialdemokrat, gesagt: Ja, aber dann wie August Bebel. Ich kenne das alles. Ich glaube, es bringt uns nicht weiter. Es sind die Schubladen des 20. Jahrhunderts, die wir aufarbeiten müssen. Aber jetzt sind wir die neue LINKE des 21. Jahrhunderts und brauchen diese Schubladen nicht mehr. Wir müssen die neuen Fragen unseres Jahrhunderts beantworten, dann werden wir eine neue Kraft!
Jetzt sage ich noch etwas zu unserer Vereinigung: Noch denkt man ja immer: Wie viele sind denn da aus der Linkspartei.PDS und wie viele aus der WASG? Ist das eigentlich alles ausgewogen usw.? Ich schildere Euch etwas, was mich noch mehr bewegt hat – ich nenne natürlich keine Namen – nämlich, dass man auch in unserem Parteivorstand noch sieht, wie stimmen die Einen ab und wie die Anderen. Dann erzählt mir jemand, dass er so abgestimmt habe, wie er gar nicht wollte, aber er wollte ja seine Leute nicht verlassen.
Liebe Genossinnen und Genossen, ein Jahr war das in Ordnung, ab jetzt – meine ich – ist das streng verboten. Jeder im Parteivorstand muss nach seiner Überzeugung abstimmen, und nach nichts anderem! Danach müssen Mehrheiten gebildet werden.
Und jetzt kommt eine weitere Kritik: Seit dem 16. Juni 2007, seit unserer Vereinigung, haben wir 11.000 neue Mitglieder gewonnen. Wie viele sind im Parteivorstand? Kein einziges. Deshalb sage ich: Das ist aber das letzte Mal. Denn wir müssen gerade die Mitglieder, die nie in der Linkspartei.PDS oder in der WASG waren, besonders fördern. Sie bringen doch das Neue zum Ausdruck. Sie sind Mitglieder dieser LINKEN geworden, und deshalb sollten sie selbstverständlich auch in der Leitung vertreten sein. Darauf müssen wir in zwei Jahren achten.
Ich habe schon gesagt, dass wir Erfolge hatten. Ihr wisst, immer wenn man Erfolge hat, kämpft man an den führenden Personen herum und will sie für die Partei entzaubern. Ich habe zu Oskar Lafontaine gesprochen, und ich hoffe, dass wir für die Zukunft daraus lernen. Er ist ein ungeheuer politischer Mann und er ist ungeheuer wichtig. Ich sage Euch noch eines, was ich vorhin nicht gesagt habe: Heimlich wären die meisten Parteien stolz, wenn sie einen wie Oskar Lafontaine hätten. Sie sind bloß neidisch. Das ist das ganze Problem. Jetzt erlebt Ihr wiederum einen neuen Feldzug gegen mich. Ich sage Euch dazu: Auch meine politischen Gegner, auch ein Teil der Journalistinnen und Journalisten kann aus mir nicht etwas machen, was ich niemals war. Und was ich nicht wahr, räume ich auch nicht ein, und dagegen werden ich mich weiterhin wehren! Das ist ganz klar.
In einer Gesellschaft erfordern Veränderungen zunächst Veränderungen des Zeitgeistes. Wenn der Zeitgeist nicht verändert wird, kannst du auch in der Realität nichts verändern. Wir haben den Zeitgeist verändert. Ich möchte Euch an die Zeit des Wechsels von Kohl zu Schröder erinnern und wie sich dann Herr Schröder in der Bundesrepublik Deutschland verfestigte. Das neoliberale Zeitalter hielt Einzug. Der Kohl fing damit an: Rentenformel geändert, Kranke an den Unkosten beteiligt. Aber viel weiter wollte er nicht gehen. Und schon, weil er diese zwei Schritte ging, wählten die Leute plötzlich stark Sozialdemokratie, um die soziale Sicherung zu erhalten. Dann kam Schröder und machte den radikalen Neoliberalismus. Das hat zu einer Enttäuschung geführt, die wiederum zur Gründung der WASG führte. Damals gab es in den Medien einen neoliberalen Zeitgeist. Fast alle Kommentare lauteten: Das ist hart für Arbeitslose. Das ist hart für Kranke. Das ist hart für Rentnerinnen und Rentner. Aber es geht nun mal nicht anders. So sah es auch in den Talkshows aus. Und heute sieht es anders aus. Das ist das Entscheidende. Ob Ihr die Sendung ‘Anne Will’ nehmt oder die Sendung ‘Hart aber fair’ oder ob Ihr die Zeitungen in die Hand nehmt: Die soziale Frage wird in einem Maße diskutiert, wie wir das vor Jahren noch nicht kannten. Und wenn sie so diskutiert wird, dann wird sich auch etwas verändern. Das haben wir erreicht, weil es die Themen sind, die die Menschen bewegen, die sagen: Wir wollen eine Änderung! Sie waren nicht mehr bereit, diesen neoliberalen Kurs hinzunehmen, wie er auch von der gegenwärtigen Regierung praktiziert wird.
Ich kann mich sehr gut daran erinnern, als im Bundestag beschlossen wurde, dass es die Altersrente erst ab 67 geben soll. Da war ich noch gar nicht dran, da hatten die anderen Fraktionen schon gesprochen und haben gesagt, dass gleich der Populist Gysi kommt und sagen werde, dass er natürlich die Rente ab 65 beibehalten wolle. Natürlich werde er nicht sagen, wie er das bezahlen will usw. Dann war ich auch wirklich dran, und sie hatten recht. Ich sagte das wirklich. Aber vorher sagte ich: Mich würde Ihr Verhältnis zur repräsentativen Demokratie interessieren. Das heißt doch, dass unterschiedliche Interessen im Bundestag vertreten sein sollen. Vier Fraktionen sagen Rente erst ab 67 – Union, FDP, SPD und Grüne. 77 Prozent der Bevölkerung sind gegen die Rente ab 67. Das heißt, sie wollen, dass diese 77 Prozent nicht einmal mehr mit einem Argument im Bundestag vertreten sind. Der eigentliche Skandal ist, dass diese 77 Prozent nur durch eine Fraktion vertreten werden. Aber sie wollen nicht mal diese eine Fraktion, deren Interessen hier artikuliert. Damit müssen wir uns verschärft auseinandersetzen.
Was haben wir geschafft? Ich habe gesagt, wir haben den Zeitgeist verändert. Ich glaube, dass die Mehrheiten gegen den Krieg in Deutschland zugenommen haben. Nicht nur beim Irak-Krieg. Ich weiß, wie gespalten die Gesellschaft beim Jugoslawien-Krieg war. Ich glaube, heute wären die Mehrheiten eindeutig dagegen. Mittels Krieg kann man niemals Terrorismus bekämpfen. Man erzeugt nur neuen Terrorismus. Man kann überhaupt keine humanistischen Ziele mittels Krieg verwirklichen. Das ist die Wahrheit. Deshalb sind wir die Friedenspartei in Deutschland. Wenn ich jetzt höre, wie die amerikanische Administration schon wieder über einen Krieg gegen den Iran nachdenkt, kann ich nur sagen: Ein solcher Krieg würde die Welt in einem Grade verändern, wie wir uns das alle nicht vorstellen können. Das, was da von der US-Regierung kommt, ist verantwortungsloses Geschwätz. Ich hoffe, dass sie dort einen Präsidenten wählen, der das nicht macht, sondern einen anderen Weg geht. Denn eines ist klar: Frau Clinton wäre als erste weibliche Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika ein Jahrhundertereignis, aber Obama wäre ein Jahrtausendereignis. Ihr wisst auch warum. Wie dem auch sei. Wir werden es erleben. Aber eines muss man dazu auch erklären: Sie sagen ja immer, der Iran will Atomwaffen haben. Vielleicht will er es ja auch. Warum? Weil die Atommächte nicht mal das Ende des Kalten Krieges genutzt haben, um die Atomwaffen abzuschaffen, sondern die Regel aufgestellt haben: Nur, wer Atomwaffen hat, ist unabhängig. Dann können wir nämlich nicht angreifen. Das ist das Verheerende. Wir müssen die Atomwaffen weltweit beseitigen! Dann darf man auch kontrollieren, dass es sie nirgendwo gibt.
Nun sage ich Euch noch etwas zum Verhältnis Israel – Palästina. Ein Wunsch von mir: Ich weiß doch, wie unterschiedlich die Sichten darauf sind. Ich habe anlässlich des Libanon-Einsatzes der Bundeswehr dazu im Bundestag gesprochen, habe immer die Argumente, die so oder so kommen, gegenübergestellt, in der Regel, ohne Antworten zu geben. Was ich möchte, kann ich ganz einfach ausdrücken: Ich glaube, wir sind auf der einen Seite zu einer Solidarität mit Israel verpflichtet, weil die Nazis ungeheure Verbrechen an den Jüdinnen und Juden begangen haben. Das muss man wirklich wollen, das muss man fühlen. Wir sind andererseits zur Solidarität mit den Palästinenserinnen und Palästinensern verpflichtet, die seit Jahrzehnten durchaus glauben dürfen, dass sie einen Teil der Schuld der Deutschen aufarbeiten, und die seit Jahrzehnten völkerrechtswidrig unterdrückt werden, was überhaupt nicht hinnehmbar ist. Deshalb fordern wir Israel und ein lebensfähiges Palästina. Und wenn beide Seiten merken, dass wir mit beiden Seiten aus bestimmten Gründen wirklich solidarisch sind, dann können wir vermitteln. Alle anderen Parteien sind so oder so einseitig. Und ich möchte, dass wir das nicht sind. Wenn wir das hinbekommen, spielen wir eine neue, vielleicht sogar gravierende Rolle bei diesem Konflikt im Nahen Osten.
Lasst mich noch etwas zu den Hoffnungen sagen. Der Bush führt Kriege in Afghanistan, im Irak etc. Aber ich finde, wir können doch mal ein bisschen stolz darauf sein, dass er seinen sogenannten Hinterhof verloren hat. Immer mehr linke Regierungen werden in Lateinamerika installiert – die Linken verändern die Welt, viel stärker als gegenwärtig in Europa! Das ist die Wahrheit! Und natürlich sind die Regierungen unterschiedlich, und wir haben auch mal dieses oder jenes kritische Verhältnis. Aber es sind Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Ecuador, Kuba, Nikaragua, Paraguay, Uruguay, Venezuela. Ja, wo gibt es denn so was in Europa? So etwas gibt es nur in Lateinamerika! Daran müssen wir uns aufrichten. Von dort kommt die neue Linke für diese Erde!
Hier ist über die europäische Integration gesprochen worden. Ich muss das ja nicht wiederholen. Ich will nur sagen, wir sind an der europäischen Integration interessiert, wir wollen sie. Denn nur die europäische Integration kann neue Kriege innerhalb dieser EU, innerhalb Europas verhindern. Das ist schon ein Grund. Es gibt noch weitere Gründe. Das Problem ist nur, dass die anderen die EU so organisieren, dass die Leute sie nicht nur immer stärker militärisch empfinden müssen, weil sie ja aufs Militär setzen, sondern auch als Abbau ihrer sozialen Stellung, als soziale Talfahrt statt Wohlfahrt. Die Dienstleistungsrichtlinie, wenn die so gekommen wäre, sie hätte doch eine ungeheure Talfahrt bedeutet. Was heißt denn die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes, das Vergabegesetz von Niedersachsen – bitteschön, einem CDU-geführten Land! – aufzuheben? Die haben gesagt: Profit ist viel wichtiger als angemessener Lohn. Das ist die Quintessenz dieses Urteils. Und daraufhin haben wir gesagt, dann müssen sie doch wenigstens den Vertrag von Lissabon verändern und müssen auch soziale Grundrechte reinschreiben, nicht nur politische, weil politische nicht zu nutzen sind, wenn man keine sozialen Grundrechte hat. Wir müssen beides verlangen. Ich möchte nur, dass wir eines begreifen: Gerade weil wir die europäische Integration wollen, kritisieren wir an der EU soviel herum. Denn so, wie sie gegenwärtig organisiert wird, stärkt sie leider die NPD, weil diese sich hinstellt und den Leuten sagt, als früherer Nationalstaat funktionierten wir besser als europäisch integriert. Wer der NPD keine Erfolge gönnt – und ich gönne ihr überhaupt keine Erfolge -, muss für eine europäische Integration kämpfen, für die Menschen, die zu mehr Wohlstand und nicht zum Abbau von Wohlstand führt! Das ist das Entscheidende!
Und weil ich gerade bei der NPD bin, noch einen Satz dazu: Ich finde, wir müssen lernen, auch Widersprüche auszuhalten. Ich bin im Prinzip eher ein Gegner von Parteiverboten. Aber ich sage, es gibt eine Ausnahme. Und die eine Ausnahme ist für mich diese militante neonazistische NPD! Das können wir uns nicht leisten, und sie muss verboten werden!
Ich komme kurz zur Innenpolitik. Es ist ja so, dass Schröder und jetzt auch Merkel die innere Situation in Deutschland in eine Richtung entwickelt haben, wie sie natürlich für die LINKE überhaupt nicht akzeptabel ist. Deregulierung, Privatisierung, Sozialabbau. Die Deregulierung hat dadurch ein so hohes Maß erreicht, weil wir so viele Menschen in befristeten Arbeitsverhältnissen haben, weil die moderne Sklaverei in Form der Leiharbeit eingeführt worden ist, weil die Geringverdienenden sich so ausgebreitet haben, weil es Millionen Jobs für 400 Euro etc. gibt. Das nimmt den Gewerkschaften, das nimmt auch den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Kraft. Die holen sich Leiharbeiter, die kosten ja bloß die Hälfte, und setzen dann die eigenen Belegschaften unter Druck, Lohnkürzungen hinzunehmen. Das ist alles Deregulierung. Und alle Versprechen, die damit verbunden waren, sind nie erfüllt worden. Es geht nur um den Abbau von Rechten. Und genau deshalb stehen wir gegen Deregulierung, und zwar konsequent!
Und bei der Privatisierung möchte ich schon darauf hinweisen, dass es hier um gesellschaftspolitische Diskussionen geht. Ich bin ja nicht für die Staatsbäckerei, damit das klar ist. Wir wissen schon, wo Marktwirtschaft Sinn macht, wo sie über Konkurrenz für Qualitätssteigerung und Kostensenkung sorgt. Aber es gibt drei Bereiche, wo wir öffentliches Eigentum dringend benötigen: erstens bei der gesamten Rüstungsindustrie. Solange nämlich an Rüstung soviel verdient wird, hören Kriege auch nicht auf. Solange es sie also überhaupt noch gibt, muss sie wenigstens staatlich sein und niemals privat. Zweitens bei den Monopolen. Ein staatliches Monopol ist immer besser, weil politisch zu regulieren, als ein privates, das nur abzockt. Und das können die Leute doch jetzt auch erfahren. Vier Energiekonzerne haben sich Deutschland feudal aufgeteilt, und ich glaube, die telefonieren auch miteinander, bestimmen die neuen Preise, und das alles müssen die Bürgerinnen und Bürger, übrigens auch die Unternehmen, bezahlen. Das ist doch nicht vertretbar! Und das Dritte ist: Im gesamten Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge brauchen wir deshalb öffentliches Eigentum, weil dort andere Kriterien gelten müssen. Wenn sie ein Krankenhaus verkaufen, dann heißt es, dass es sich danach rechnen muss. Egal, wer von uns Geschäftsführer eines Krankenhauses würde, wenn es privat ist und wir keine Insolvenz wollen, ist man gezwungen, darüber nachzudenken, was sich rechnet. Und dann kommst du eben darauf, dass du sagst: Ich kriege für eine bestimmte Operation eine Fallpauschale, die kriege ich so beim 22-Jährigen und auch beim 70-Jährigen. Aber der 22-Jährige liegt danach nur drei Tage im Krankenhaus, der 70-Jährige drei Wochen. Dadurch rechnet sich der eine. Und dann frage ich immer: Wollen wir, dass so gedacht werden muss im Krankenhaus? Wer das nicht will, muss ganz klar für öffentliches Eigentum sein, damit wir nämlich eines erreichen – dass die Menschen in der Vorsorge und in der Behandlung nach der Art ihrer Erkrankung und niemals nach der Größe ihres Geldbeutels behandelt werden! Das ist das Entscheidende, das wir durchsetzen müssen!
Und das gilt doch auch für die Bildung. Die Bildung ist so entscheidend. Chancengleichheit in Deutschland – auch nur ansatzweise – ist nur über Bildung und Kultur herstellbar. Und der Zugang wird immer schwieriger. Diese vielen verschiedenen Schulen, diese privaten Angebote, die zum Teil teuer sind – das ist doch indiskutabel. Die FDP will mir immer erklären, alles muss nach Leistung gehen. Aber es gibt eine Gruppe, in der Gesellschaft, die ist völlig unschuldig, das sind die Neugeborenen. Da kann selbst die FDP nicht sagen, die haben leistungsmäßig versagt. Das geht einfach nicht, die haben noch gar nichts gemacht, die sind gerade erst da. Aber zwischen ihren Chancen liegen Tausende Welten. Das müssen wir überwinden. Wir sind nicht gegen Begabtenförderung, aber wir sagen: Die Begabung des Kindes des Professors ist genauso zu fördern wie die Begabung des dritten Kindes der alleinerziehenden Sozialhilfeempfängerin! Das müssen wir durchsetzen! Deshalb müssen wir hier Gebühren überwinden. Studiengebühren sind nichts anderes als eine soziale Ausgrenzung. Wenn wir heute feststellen müssen, dass in Deutschland prozentual weniger Kinder von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern studieren als in den USA, ist das ein Skandal sondergleichen. Das müssen wir ändern, und das werden wir auch ändern!
Der Staatssozialismus ist gescheitert. Oskar Lafontaine hat darauf hingewiesen, woran das lag – die Freiheitseinschränkung, die undemokratischen Strukturen und eine unproduktive Mangelwirtschaft. Aber wenn ich das sage, füge ich hinzu: Es gab dennoch auch beachtliche kulturelle und soziale Leistungen. Es gab sogar mehr soziale Gerechtigkeit. Für mich ist nun eines interessant. Ich wusste ja nicht, wie das läuft in der Geschichte. Die DDR ist weg und alles, was an ihr indiskutabel war und weshalb sie gescheitert ist, will ja keiner wieder haben. Aber das, was etwas taugte, was sie gleich mit weggeschwemmt haben, das wirkt wie Hefe. Das erreicht partiell sogar Frau von der Leyen. Es wirkt wie Hefe und wirkt inzwischen schon fast in Bayern. Ich will damit nur sagen, es ist interessant: Was man gesellschaftlich einmal erreicht hat, ist nicht so einfach totzukriegen. Auch nicht von den Gegnern, die dachten, sie können das einfach beseitigen. Auch diesbezüglich zeichneten wir uns immer durch eine differenzierte Aufarbeitung aus. Aber die müssen wir auch leisten. Aufarbeitung heißt nie Rechtfertigung, sondern heißt immer, sich die Strukturen sehr genau anzusehen und zu sagen, daran ist es gescheitert, auch zu Recht gescheitert, aber das taugte etwas. Der größte Fehler war eben, dass es ein Beitritt war, keine Vereinigung, dass den Westdeutschen nicht gegönnt wurde, in acht oder zehn Strukturen eine bessere Struktur aus dem Osten zu übernehmen, damit eine Steigerung ihrer Lebensqualität stattfindet. Das ist ihnen nicht gegönnt worden, und das bezahlen wir noch heute.
Zurück zu Schröder. Was hat Schröder gemacht, was war das Problem? Das Problem war, dass er im Unterschied zu früheren Zeiten alles zeitgleich gemacht hat, liebe Genossinnen und Genossen. Er hat zeitgleich entschieden, die Körperschaftssteuer zu senken, und zwar von 45 auf 25 Prozent, jetzt in der Großen Koalition auf 15 Prozent. Ich sage nichts dazu, dass diese Steuer in den USA über 30 Prozent liegt, in Japan auch, Frankreich auch, aber das lassen wir alles weg. Er hat sich entschieden, die Veräußerungserlössteuer der Kapitalgesellschaften gänzlich zu streichen. Er hat sich entschieden, den Spitzensteuersatz der Einkommenssteuer von 53 auf 42 Prozent zu senken. Und als er das alles gemacht hatte, drehte er sich um zu den Rentnerinnen und Rentnern, zu den Kranken und Arbeitslosen und erklärte, dass er für sie kein Geld mehr hat! Dadurch ist doch DIE LINKE in den alten Bundesländern entstanden. Weil die Leute sich gesagt haben, hier stimmt doch etwas an der Struktur nicht. Der kann doch nicht auf der einen Seite solche Geschenke machen und auf der anderen Seite uns erklären, dass er für uns nichts mehr hat. Und wenn das ein sozialdemokratischer Bundeskanzler macht, wo soll denn das Ganze enden? Die CDU war doch in der Schwierigkeit, gar nicht mehr zu wissen, wie sie Opposition machen sollte bei diesen Entscheidungen! Dadurch ist etwas passiert, was wir in der Bedeutung gar nicht unterschätzen dürfen. Dass eben nach 1949 das Bedürfnis nach einer Partei links von der Sozialdemokratie entstand, was vorher mit einem militanten Antikommunismus immer verhindert worden war. Das ist eine spannende Herausforderung, der wir uns stellen. Wir müssen dem auch gewachsen sein. Ich habe ja darüber gesprochen, wie auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beteiligt werden. Und jetzt kommt immer der Vorwurf bei all unseren Vorschlägen, ob Rente oder sonst was – alles sei unbezahlbar, Populisten, stellen sich hin und machen schöne Forderungen, aber können ja nichts bezahlen.
Liebe Genossinnen und Genossen! Die durchschnittliche Steuer- und Abgabenquote in der Europäischen Union liegt bei über 40 Prozent. Die durchschnittliche! Das rechnet Rumänien, Bulgarien, die Slowakei und Estland, Litauen usw. mit ein, nur dass man keine falschen Vorstellungen hat. Sie liegt durchschnittlich in Deutschland aber bei über 35 Prozent. Das stärkste ökonomische Land der EU liegt über fünf Prozent unter dem Durchschnitt der EU bei der Steuer- und Abgabenquote! Hätten wir nur den Durchschnitt, hätten wir jährlich eine Mehreinnahme von 120 Milliarden Euro! Damit ließen sich alle unsere Forderungen finanzieren! Man muss nur Steuergerechtigkeit herstellen in Deutschland. Dazu muss man allerdings auch bereit sein! Ich will dazu nur zwei Beispiele nennen, damit wir das konkret machen: Wenn man in den USA ein Firmenvermögen von vier Milliarden Euro erbt, zahlt man dort 1,6 Millionen Euro Steuern. Und in Deutschland 168.000 Euro Steuern. Ein lächerlicher Betrag! In anderen Ländern gibt es eine Börsenumsatzsteuer. In Deutschland nicht. Wenn wir nur die Inlandsaktien nehmen und deren Umsatz im vergangenen Jahr, der lag bei 5,5 Billionen Euro. Und wenn wir nur eine Börsenumsatzsteuer von einem Prozent hätten, bedeutete dies eine jährliche Einnahme von 55 Milliarden Euro! Da ist unser Beschluss zur Investition in die Infrastruktur schon bezahlt. Um nur eines klar zu sagen: Es stimmt nicht, dass das Geld nicht da ist! Sie sorgen nur dafür, dass das Geld nicht da ist, weil sie immer an den falschen Stellen die Steuersenkungen beschließen und die Geringverdienenden und die durchschnittlich Verdienenden und die Kleinunternehmen übermäßig zur Kasse bitten! Genau das wollen wir verändern!
Ich weiß, dass eure Zeit begrenzt ist. Ich weiß auch, dass wenn wir noch zusammen singen wollen, ich irgendwie zum Ende kommen muss. Und ich weiß auch, dass ihr da hinten immer so laut ruft. Eines will ich euch auch mal sagen: Als die DDR zu Ende ging, da ist der Staatssozialismus gescheitert, und das müsst ihr einfach eines Tages einmal zur Kenntnis nehmen. Aber ich war derjenige, der gesagt hat, das heißt keineswegs, dass die letzte Antwort der Geschichte der Kapitalismus ist. Und das wird täglich deutlicher! Deshalb streite ich für einen demokratischen Sozialismus!
Und dass der Kapitalismus nicht die letzte Antwort ist, ergibt sich aus drei Dingen. Erstens: Er tendiert permanent zu Kriegen! Schon deshalb ist er zu überwinden, weil er Zugang zu Rohstoffen und andere ökonomische Interessen auch mittels Krieg durchsetzen will.
Zweitens: Er tendiert zu Elend, zu Hunger und zu grober sozialer Ungerechtigkeit. Auch deshalb ist er zu überwinden! Und den Grünen muss ich dabei auch mal sagen, die so prokapitalistisch sind: Die ökologische Frage kriegst du grundsätzlich niemals im Kapitalismus geklärt. Das ist der dritte Grund, weshalb er überwunden werden muss. Wahrscheinlich gibt es noch mehr, aber diese drei wollte ich wenigstens einmal genannt haben.
Die nächste Wahl ist in Bayern. Es gibt ein Problem – es gibt noch nicht so viele, die daran glauben, dass wir dort in den Landtag einziehen. Aber ich glaube das! Das hat verschiedene Gründe, allerdings auf einen Umstand möchte ich hinweisen, weil ich den auch sehr spannend finde. In Bayern gibt es ein komisches Wahlrecht. Das weiß kaum jemand. Das ist die einzige Landtagswahl, bei der der Einzug über die fünf Prozent anders berechnet wird als in allen anderen Ländern. Sonst musst du immer fünf Prozent der Zweitstimmen erreichen, und wenn du die erreicht hast, bist du drin. Nicht aber in Bayern. In Bayern machen sie Folgendes: Sie nehmen die Zweitstimmen und addieren sie mit den Erstimmen und teilen diese Zahl durch zwei. Und danach erst entscheiden sie, ob du drin bist. Also angenommen, eine Partei hat sechs Prozent der Zweitstimmen und drei Prozent der Erststimmen, dann sagen sie, das macht zusammen 9, geteilt durch 2, macht 4,5 Prozent – schade, du bist draußen. Wenn du drin bist, kriegst du allerdings dann sechs Prozent der Sitze.
Wir müssen also dafür sorgen, dass das bekannt wird in Bayern. Wer uns dort die Zweitstimme gibt, der muss uns auch die Erststimme geben, weil wir die dringend brauchen, denn wir wollen ja einziehen in den Landtag! Das ist deshalb so nötig, weil es in Bayern eine Staatspartei gibt. Ich weiß, dass die immer freiwillig gewählt wurde. Aber trotzdem sage ich: So kann das nicht weitergehen! Der Huber war der Finanzminister. Der war der Verantwortliche der Landesbank. Und diese Landesbank hat Milliarden verspielt, weil er ohne jede Sachkenntnis sich weltweit an Spekulationen beteiligt hat. Dafür gehört er zur Verantwortung gezogen und nicht bestätigt durch eine Wahl. Denn die Schulden müssen ja die Bürgerinnen und Bürger bezahlen!
Außerdem ist es doch so: Wenn wir in einem westlichen Bundesland einziehen, verändern wir Deutschland. Aber wenn wir in Bayern einziehen, verändern wir die Welt! Deshalb sollten wir jetzt auch ehrgeizig um dieses Ziel kämpfen!
Ich weise noch darauf hin, dass die CSU in einer so schwierigen Situation ist, dass sie bei der Pendlerpauschale, bei der Einkommenssteuer, beim Grundfreibetrag, bei der Beseitigung des Steuerbauches für die durchschnittlich Verdienenden – die ja deshalb soviel bezahlen müssen, damit die Besserverdienenden weniger Steuern bezahlen, so ist das ja in Deutschland organisiert – bei alle dem schreiben sie jetzt von uns ab! Das ist ja eine Notsituation für die CSU, wenn sie das tun muss! Und ich finde, aus der Not sollten wir sie nicht herauslassen. Wir haben folgende wunderbare Idee. Wir haben jetzt wieder den Antrag eingebracht, die Pendlerpauschale ab dem ersten Kilometer zu berechnen – was Huber und Beckstein auch fordern. Jetzt werden wir dafür sorgen, dass wir das in 1. Lesung im Bundestag im Juni behandeln. Und dann wollen wir im September, vor der Wahl in Bayern, die 2. Lesung machen mit namentlicher Abstimmung. Und dann werden wir doch mal sehen, wie die CSU-Abgeordneten abstimmen, die im November 2007 alle noch mit Nein gestimmt haben. Nun können die natürlich in den Ausschüssen irgendwie versuchen, zu verhindern, dass die 2. Lesung stattfindet. Dann müssen wir in der letzten Woche eine Aktuelle Stunde dazu machen. Aber irgendwie vorführen, das muss sein, weil eines mag ich nicht – und das entwürdigt auch Politik und Demokratie in jeder Hinsicht: dass man Dinge vor der Wahl verspricht und dann nicht einhält! Ich darf euch an ein Beispiel erinnern, für mich mit das schlimmste: Wir hatten bei der Bundestagswahl ein Hauptthema. Frau Merkel sprach von zwei Prozent Mehrwertsteuererhöhung, und die SPD war dagegen und sagte: keine Mehrwertsteuererhöhung. Und der Kompromiss, der dann gefunden wurde, bestand in drei Prozent Mehrwertsteuererhöhung! Das ist die höchste Form von Verarschung, die man sich nicht bieten lassen darf in unserer Gesellschaft!
Lasst mich noch zwei, drei ganz kleine Bemerkungen machen, die mir wichtig sind. Ich muss noch einmal zurück zur Privatisierung: Wenn man der Politik die Möglichkeit nimmt, über die Preise für Energie, für Wasser etc. zu entscheiden, weil das alles privatisiert ist, dann reduziert man doch die Bedeutung der Demokratie! Bei den Energiepreisen ist es heute wurst, ob wir Merkel oder Lafontaine, mich oder sonst einen wählen – wir haben alle nichts zu entscheiden. Sie ja auch nicht, aber dafür haben die anderen gesorgt. Wenn wir diesen Weg nicht gehen wollen, brauchen wir öffentliches Eigentum, damit die Politik zuständig bleibt und damit die Wahl zwischen dem einen und dem anderen für die Bevölkerung Sinn macht! Deshalb: Wir sind diejenigen, die mehr Demokratie wollen, während die Privatiseure den Abbau der Bedeutung der Demokratie wollen! Das ist die Wahrheit. Und das müssen wir der Bevölkerung auch mitteilen.
Im nächsten Jahr haben wir Europawahl. Wir haben Wahlen in Brandenburg, in Sachsen, in Thüringen, im Saarland. Und wir haben Bundestagswahlen. Es wird sehr anstrengend, das weiß ich jetzt schon. Aber irgendwie freue ich mich schon auf die Sonntage, wenn die Ergebnisse bekannt gegeben werden. Ich weiß auch nicht – wegen Regierungsbeteiligung und so -, wie viele Ministerpräsidenten wir im Anschluss stellen, vier wären ja möglich. Aber selbst wenn es nur zwei werden, haben wir die Welt verändert! Ich bitte euch, strengt doch einmal eure Phantasie an. Stellt euch doch einfach mal vor, Oskar Lafontaine wird wieder Ministerpräsident im Saarland, als Juniorpartner hat er die SPD. Ich meine, bloß allein die Bilder im Fernsehen – es gibt so ein paar Gesichter, die ich dabei gerne sehen würde. Stellt euch vor, Bodo Ramelow wird Ministerpräsident in Thüringen – das ist doch eine klassische, eine wunderbare Vorstellung für die Thüringer. Kerstin Kaiser wird vielleicht Ministerpräsidentin in Brandenburg, und in Sachsen macht es André Hahn – ich meine, wir haben überall jemanden, der das machen kann. Die anderen sind doch am Ende, sie haben diese Länder abgewirtschaftet. Insofern finde ich, sollten wir optimistisch reingehen und natürlich auch mit dem Anspruch, es auch verantwortlich zu verändern. Und wenn wir das nicht schaffen, sind wir in Opposition. Das schadet auch nichts, denn jetzt sieht man ja in der Bundespolitik, wie wir aus der Opposition heraus schon die Politik verändern.
Liebe Genossinnen und Genossen! Es gibt ja immer Protest in der Bevölkerung, der läuft unterschiedlich. Ich muss euch dazu etwas von Frankreich und Deutschland erzählen – ich komme damit auch zum Schluss. Wie läuft Protest in Deutschland? Da macht der DGB-Bundesvorstand einen Beschluss, sagen wir mal im Oktober, dass wir im März eine Protestkundgebung in Berlin durchführen. Dann gibt es zwei schwierige Wochen, weil die Rednerinnen- und Rednerliste zu bestimmen ist. Sehr schwer. Wenn da einer direkt von der SPD dabei ist, dann wollen die LINKEN auch reden. Wenn man die nicht haben will, darf man nur Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter nehmen – alles sehr schwierig. Aber nach zwei Wochen ist diese Liste fertig. Dann geht es an die Organisation: Der Platz muss angemeldet werden, man braucht eine Tribüne, die muss gemietet werden, das ist alles klar. Dann braucht man Busse, die die Protestierenden von Bayern bis Mecklenburg-Vorpommern nach Berlin bringen, auch klar. Dann musst du für öffentliche Toiletten sorgen, für Getränke, es muss auch Ess-Stände geben. Dann müssen die Protestierenden ausgestattet werden mit Jacken und Trillerpfeifen. Dann gibt es noch eine Tanzgruppe von jungen Mädchen, die nicht übermäßig bekleidet sein sollen, damit auch etwas Freude beim Protest aufkommt, vor allem bei den männlichen Protestierern. – Und dann machen wir eine tolle Protestkundgebung in Berlin! Knallharte Reden, alle sind zufrieden, dann steigen wir wieder alle in unsere Busse und fahren zurück. Dann tagt der DGB-Bundesvorstand einen Monat später und sagt, das war eigentlich sehr gut, wir wiederholen das Ganze im Oktober.
Das kann man alles so machen. Frau Merkel ist davon nur sehr mäßig beeindruckt.
Wie läuft so etwas in Paris? Da beschließt das Parlament, den Kündigungsschutz für Absolventen für die ersten zwei Jahre zu streichen. Wenn das der Bundestag beschlösse und wir zu einer Protestkundgebung auf dem Alexanderplatz in Berlin aufriefen, kämen etwa 200 Rentnerinnen und Rentner, die an ihre Enkelkinder denken. Was passiert in Paris? In Paris marschieren 13 Tage hintereinander täglich über 100.000 Französinnen und Franzosen durch die Straßen – da wird nichts organisiert, keine Toiletten, keine Getränke, keine Esswaren, keine Trillerpfeifen. Die laufen 13 Tage hintereinander durch die Stadt, und zwar bis zu dem Tag, an dem Chirac sagt, er habe es nicht so gemeint. Und weg war das Gesetz.
Was ich damit unserer Bevölkerung mal sagen will, ist: Ihr lasst euch einfach zuviel bieten! Letztlich geschieht in jeder Gesellschaft nur, was Ihr zulasst! In dem Sinne könnten wir doch etwas französischer werden! Wir, die LINKEN, haben zu kämpfen, um immer mehr Menschen zu gewinnen, die sich deutlich weniger bieten lassen, die protestieren und ebenfalls kämpfen und dadurch mehr Frieden, mehr Gerechtigkeit, mehr soziale Sicherheit, mehr Freiheit und deutlich mehr Zukunft erreichen!